Erwin Kock wurde am 7. Dezember 1905 in einer deutsch-dänisch-baltischstämmigen Familie als Sohn des Pharmazeuten und Industriechemikers Oskar Kock und dessen Ehefrau Nadine geb. Busch in St. Petersburg geboren, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte. Er ist seiner Geburtsheimat lebenslang verbunden geblieben, ist dort zweisprachig aufgewachsen und hat gründliche Kenntnisse der russischen Sprache bewahrt, die er während des 2. Weltkrieges und darnach vielfach einsetzen konnte.

Während die Eltern nach der russischen Oktoberrevolution 1917 in (dann) Leningrad bleiben konnten, begann Erwin Kock 1924 am Herderinstitut in Riga (Lettland) das Studium der evangelischen Theologie. Durch Stipendien des Gustav-Adolf-Vereins konnte er das Studium in Rostock und Leipzig unter sehr beengten finanziellen Verhältnissen fortsetzen und 1929 mit dem ersten theologischen Examen in Rostock abschließen.

Ein erster Dienst in Österreich währte nicht lange. Durch den Gutav-Adolf-Verein als geistliche Hilfskraft zu Senior D. Paul Spanuth 1929 nach Leoben berufen, wurde er im April 1931 selbstständiger Vikar in Eisenerz. Als er sich dort in einem Arbeitskonflikt mit der Alpine-Montangesellschaft auf die Seite der Arbeitnehmer stellte, erreichte das Unternehmen seine Abberufung zum 31. Mai 1931.

Nach einigen Monaten in Diensten der lettischen Flößermission konnte er seine Tätigkeit in Österreich bei der Volksmission in Wien unter Pfarrer Max Monsky fortsetzen, wo er seine Frau Emilie (Milli) geb. Nörtemann als Gemeindeschwester kennenlernte und 1932 heiratete. Sie ist ihm in allen Belastungen des späteren Lebens eine unentbehrliche Stütze und Stärkung geworden. 1933 zum Pfarrer von Voitsberg gewählt, zog die junge Familie in das ebenso wie die Kirche neu gebaute Pfarrhaus, wo die drei Kinder Marion, Heinrich und Friedegard geboren wurden.

Während eines zwischenzeitlichen Urlaubs legte Erwin Kock in Riga das 2. theologische Examen ab und wurden am 16. Oktober 1932 in der Martinskirche von Riga ordiniert.

Nach der Annexion Österreichs durch das deutsche NS-Regime im März 1938 geriet Pfarrer Kock rasch in Konflikt mit den kirchenfeindlichen Maßnahmen der NS-Behörden. Als er am 19. Februar 1940 mit deutlichen Worten bei der Trauerfeier für den jüdisch-stämmigen ehemaligen sozialistischen Stadtamtsvorstandes von Voitsberg, Rudolf Roßmann, („Auch Juden sind Menschen“) in Anwesenheit von rd. 5 000 Menschen die menschenverachtende NS-Politik kritisierte, wurde er am 23. Februar 1940 von der Gestapo verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Seine Ehefrau wurde quälenden Gestapoverhören unterzogen. Am 19. Juni 1940 wurde er durch ein Sondergericht wegen vorgeblicher Gesetzesverstößen (u..a. Anhören von Feindsendern) zu 15 Monaten Zuchthaus verurteilt und in Einzelhaft gebracht. Schon vorher hatte die evangelische Kirchenleitung ohne Anhörung in einem Disziplinarverfahren seine sofortige und dauerhafte Entlassung aus dem kirchlichen Dienst veranlasst und diese Maßnahme der Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche in einem devoten Schreiben vom 26. Juni 1940 (OKR Präsident Dr. Heinrich Liptak) mitgeteilt. Damit waren der Familie mit der Ehefrau und den drei unmündigen Kindern nicht nur alle materiellen Mittel entzogen, sondern auch das erzwungene Verlassen der Dienstwohnung in Voitsberg verbunden. Die Familie fand vorübergehend bei Verwandten der Ehefrau Unterkunft, bis im November 1941 –wiederum der evangelische Oberkirchenrat – eine Wohnung im ehemaligen Freizeitheim des Christlichen Vereins Junger Frauen in Klosterneuburg Gugging zur Verfügung stellte, das inzwischen z.T. als Privatwohnung von Bischof D. Hans Eder bis zu dessen Tod 1944, später seiner Familie genützt wurde. Familie Kock konnte bis 1953 in diesem Haus wohnen, musste aber, als die Liegenschaft an den Christlichen Verein Junger Frauen als Tagungs- und Freizeitheim restituiert wurde, in eine private Wohnung in Klosterneuburg umziehen. Präsident Dr. Liptak hatte Frau Kock 1942 eine Kanzleiarbeit im Oberkirchenrat besorgt, womit eine notdürftige finanzielle Unterstützung gesichert wurde.

Pfarrer Kock wurde nach einer gesundheitsbedingten Haftunterbrechung ab 9. Juli 1940 – lebensgefährliches Bronchialasthma in einer Einzelzelle –– ab 29. Januar 1941 zur weiteren Strafverbüßung nach Karlau gebracht, wo er unter etwas besseren Bedingungen bis 2. September 1941 in Haft gehalten wurde. Die zwei Mal geplante Überstellung in das Konzentrationslager Buchenwald kam nicht zustande. Er konnte durch die ständigen und unerschrockenen Bemühungen seiner Ehefrau Emilie Kock bei kirchlichen und staatlichen Stellen zur Bewährung entlassen werden Nach einer durch einen ehemaligen Presbyter aus Voitsberg vermittelten kurzfristigen Arbeitsstelle – Gemeindeglieder und andere Teile der Bevölkerung aus Voitsberg unterstützten die Familie während der Haftzeit nach Möglichkeit – wurde Pfarrer Kock Anfang 1942 zum Wehrdienst eingezogen und musste zunächst wegen seiner Sprachkenntnisse in der Briefzensur, ab August 1942 in der Abwehrstelle des Wiener Wehrkreiskommandos Dienst tun. Er konnte in dieser Position durch seine Gestapoerfahrungen einen seiner Vorgesetzten, Robert Prinz Arenberg, aus den Untersuchungen nach dem Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 heraushalten und verheimlichte bei einer anderen Gelegenheit die geheime Zeitschrift von französischen Kriegsgefangenen. Ein Monat vor Kriegsende desertierte er und schlug sich zu seiner Familie in Klosterneuburg durch.

Sofort nach dem Ende der NS-Herrschaft berief ihn Bischof D. Gerhard May zurück in den kirchlichen Dienst und beauftragte ihn mit der Krankenhausseelsorge in Wien, 1946 – 1951 zusätzlich als Gefängnispfarrer. Bis zum Ruhestand wirkte Pfarrer Kock als Krankenhausseelsorger und beteiligte sich ab 1969 an den Telefonpredigten der Wiener Stadtmission, aus denen eine Auswahl 1972 gedruckt erschienen sind. Sein seelsorgerlicher und sozialer Einsatz in der Krankenhausarbeit fand hohe Anerkennung bei Patienten, Familienangehörigen und beim Personal. In der Evangelischen Kirche blieb er durch sein unerschrockenes demokratisches Engagement ein Außenseiter.

Durch die Erfahrungen im Widerstand gegen das NS-Regime geprägte, schloss sich Pfarrer Kock nach dessen Ende dem Bundesverband der österreichischen Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus an, wirkte an zahlreichen Gedenkveranstaltungen mit und wurde 1948 in das Präsidium des Verbands berufen. Von 1949-1952 und nochmals von 1957-1968 war er Obmann des Österreichischen Friedensrates und seit dessen Gründung m Vorstand der Aktion gegen den Antisemitismus. In Reden und Presseveröffentlichungen kritisierte er die Unbußfertigkeit von Kirchen und Gesellschaft im Verhältnis zum NS-Unrechtsregime und wies u.a. darauf hin, dass in vielen Gedenkfeiern oder Weihnachtsansprachen an die Toten der deutschen Wehrmacht oder von Flucht und Vertreibung gedacht wurde, nicht aber an die Opfer des Widerstands. Als Mitglied bzw. Obmann des Österreichischen Friedensrates nahm Pfarrer Kock an den frühen Bemühungen teil, mit den Regierungen des Ostblocks einen ausgleichenden Dialog aufzunehmen. In dieser Absicht nahm er an zahlreichen Tagungen und Kongressen wie u.a. 1952 in Moskau, in Budapest Bukarest, Warschau und Prag teil. 1951 eröffnete er in Wien den internationalen Friedenskongress. Diese antifaschistischen politischen Aktivitäten brachten Pfarrer Kock fünf kirchliche Disziplinarverfahren ein, die allerdings alle ergebnislos endeten.

Als Pfarrer Erwin Kock, erschöpft von Krankheit und den Belastungen seines Lebens, am 23. Januar 1979 in Wien stirbt, erscheinen zwei Nachrufe. Die (kommunistische) Volksstimme würdigt seinen Widerstandgegen das NS-Regime, während das Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Österreich diese Phase seines Lebens mit der beschämenden Formulierung umschreibt: „unterbrochen durch die Zeit vom Mai 1940 bis Mai 1945, wo er an der Ausübung seines geistlichen Amtes gehindert war“. Sein Einsatz gegen das mörderische totalitäre NS-Regime darf in der Geschichte der Evangelischen Kirche in Österreich nicht vergessen werden.

Von Prof. Dr. Dr. Harald Uhl