Napoleon stand am Beginn der Familiengeschichte der Wittgensteins. Als Konsequenz von Napoleons Forderung nach Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz wurden alle Juden im Königreich Westphalen 1808 angewiesen, binnen drei Monaten einen Nachnamen anzunehmen. Moses Meyer nannte sich nun nach seinem Geburtsort Moses Meyer-Wittgenstein. Sein Sohn Hermann Christian Wittgenstein (1802–1878) trat zum evangelisch-reformierten Glauben über und heiratete 1839 Fanny Figdor (1814–1890), die Tochter aus einer bedeutenden jüdischen Wiener Handelsfamilie, die vor der Eheschließung ebenfalls evangelisch geworden war. Das Ehepaar hatte elf Kinder und taufte sie evangelisch (H. B.). Diese heirateten weitere Protestanten, und ihre Familien nahmen und nehmen bis heute bedeutenden Einfluss auf das gesellschaftliche, kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Leben Wiens.

Die Familie Wittgenstein, vor 1913 (v.l.n.r.): Clara, Karl, Josefine, Anna, Marie, Clothilde, Berta, Ludwig (Louis), Lydia, Milly, Paul
Die Familie Wittgenstein, vor 1913 (v.l.n.r.): Clara, Karl, Josefine, Anna, Marie, Clothilde, Berta, Ludwig (Louis), Lydia, Milly, Paul. Aus Wikimedia Commons.

Die älteste Tochter Anna Wittgenstein (1840–1896) heiratete den k.k. Landesgerichtsrat und Mitglied des Reformierten Oberkirchenrates Emil Franz (1839–1884), Sohn des reformierten Superintendenten Gottfried Franz (1803–1873) und Maria Feodora Plattensteiner (1811–1878). Die zweite Tochter, Marie Wittgenstein (1841–1931), heiratete August Pott. Der erste Sohn, Paul Wittgenstein (1842–1928), heiratete Justine Hochstetter (1858–1918). Deren Tochter Hanna heiratete den Arzt Johannes (Hans) Salzer, der ein Enkel von Superintendent Gottfried Franz gewesen ist. Dessen Vater Friedrich Franz Salzer (1827–1890) war aus Birthälm/Siebenbürgen gekommen und hatte sich als Lutheraner in Wien niedergelassen. Er studierte in Wien Medizin, wurde ein angesehener Arzt und heiratete 1864 Ida Hermine Marie Franz (1838–1906). Josephine Wittgenstein (1844–1933), die dritte Tochter, heiratete den Techniker und Professor an der Technischen Hochschule Johann Nepomuk Oser (1833–1912). Der zweite Sohn, Ludwig Wittgenstein sen. (1845–1925), auch Louis Wittgenstein genannt, adoptierte mit seiner Frau Marie Wilhelmine geb. Franz (1850–1912), einer Tochter des Superintendenten Gottfried Franz, zwei Schwestern der Salzer-Familie, Marie und Hermine Salzer. Der jüngste Sohn Karl Wittgenstein heiratete die zum Katholizismus konvertierte Leopoldine Kalmus, mit der er neun katholisch getaufte, begabte Kinder hatte, unter ihnen der Philosoph Ludwig und der Pianist Paul Wittgenstein. Tochter Bertha Wittgenstein (1848–1908) heiratete den Juristen, Mäzen und Sohn des Malers Leopold Kupelwieser (1796–1862), Karl Kupelwieser (1841–1925), der in Lunz am See 1906 das Hydro-Biologische Institut, die erste Forschungsstelle im ostalpinen Raum, und 1910 das Institut für Radiumforschung in Wien gründete. Clara Wittgenstein (1850–1935) heiratete nicht. Ihre Schwester Lydia Wittgenstein (1851–1920) heiratete Joseph Sieben. Emilie Wittgenstein (1853–1939) heiratete den Juristen Theodor von Brücke, Sohn des berühmten Physiologen Ernst Wilhelm von Brücke (1819–1892). Ihr Sohn Ernst Theodor von Brücke wurde ebenfalls bekannter Physiologe. Clothilde Wittgenstein heiratete nicht.

Viele Nachkommen der Familie Wittgenstein-Figdor sind Mitglieder der Evangelischen Kirche A. B. oder H. B. und einige auch ehrenamtlich in ihnen tätig.

 

Aus: Monika SALZER/Peter KARNER, Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 156–157

 

 

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