Während die evangelischen Gemeinden nach dem Toleranzpatent sonst überall aus der Verborgenheit heraus organisiert und eingerichtet werden mussten, wobei die ihnen Angehörenden erst die Registrierung als Akatholiken über sich ergehen lassen mussten, war das bei den bei den in Wien entstehenden Gemeinden anders. Hier gab es ja bereits vor dem Toleranzpatent regelmäßig und offiziell geduldete Gottesdienste, und zwar in den Gesandtschaftskapellen der evangelischen Mächte; in der holländischen fand der reformierte Gottesdienst statt, in der schwedischen und in der dänischen Gesandtschaftskapelle gab es lutherischen Gottesdienst. Und an diesen Gottesdiensten nahmen auch die anderen Gruppen und Personen teil, die in Wien als Protestanten leben durften

Vielleicht dauerte es gerade deshalb eine ganze Weile, bis Initiativen zur Errichtung eigener Gemeinden erwuchsen. Im Juni 1782 trafen sich Vertreter der evangelischen Großhändler Augsburgischer Konfession in Wien zu einer ersten Besprechung der für eine Gemeindegründung erforderlichen Schritte. In der Folge zeigte es sich, dass die Gesandtschaften den Bemühungen zwar freundlich gegenüberstanden und auch ihre eigenen Kapelleneinrichtungen sowie die dort angesammelten „vasa sacra“ den neuen Gemeinden übergeben wollten, dass von ihnen aber keine aktive Beteiligung an der Gemeindegründung zu erwarten war. Auch die Reichshofräte zogen sich sehr bald von den Bestrebungen zurück, sodass eigentlich lediglich die Handelsleute, Großhändler und Niederläger für die Gründung der Gemeinde verantwortlich blieben. Dabei waren Dienstboten, Handwerksburschen und andere nicht Sesshafte „natürlich“ von den Aufgaben, die ein gewisses Maß an Verantwortung erforderten, ausgeschlossen.

Auch die Berufung des ersten Predigers erfolgte aus dem, was bei den Gesandtschaftskapellen bereits bekannt war. Die reformierte Gemeinde berief den holländischen Gesandtschaftsprediger Hilchenbach zu ihrem Pastor, der lutherischen gelang es, nach einigem Widerstreben den dänischen Legationsprediger Johann Georg Fock zur Annahme einer Berufung zu bewegen. Fock war Schleswig-Holsteiner, also Untertan des Königs von Dänemark und eben erst fünfundzwanzig Jahre alt geworden. Erst nach der Erteilung des Toleranzpatentes war er nach Wien gekommen, hatte aber anscheinend doch soviel an positivem Eindruck gemacht, dass die „Vorsteher“ der neuen Gemeinde mehrere Male um seine Zustimmung zur Berufung anfragten. Am 25. März 1783 erfolgte die Berufung durch die Gemeinde, der dänische Gesandte nahm die Anfrage an den Hof, ob eine Entlassung aus den dänischen Diensten erfolge, gleich zum Anlass, auch eine Auflassung der Gesandtschaftskapelle zu erbitten.

Der König bewilligte beides unter dem 18. Mai, sodass Fock am 3. August 1783 seine Antrittspredigt als Pastor der Gemeinde in der dänischen Kapelle halten konnte, war doch der Umbau der neuen Kirche noch nicht vollendet. Erst am 1. Advent, dem 30. November 1783, konnte Fock die Weihe der Kirche vornehmen. Inzwischen war er aber unter dem 12. September 1783 bereits zum Superintendenten für Nieder- und Innerösterreich ernannt worden. Er war damit zum landesfürstlichen Aufsichtsorgan über alle Prediger in den Ländern Wien, Niederösterreich, Steiermark, Kärnten, Krain und Triest, zugleich aber auch zu deren geistlichem Leiter berufen worden. Mit 1. Juni 1785 begann auch seine Tätigkeit als erster geistlicher Rat des an diesem Tage in Wien seine Tätigkeit aufnehmenden Consistoriums A.C., also der obersten landesfürstlichen Kirchenbehörde. Für einen noch nicht dreißigjährigen Mann war das eine erstaunliche Karriere, die dadurch noch überraschender wird, dass Fock trotz einer Reihe von Erkrankungen diese Aufgaben durchaus zur Zufriedenheit der Beteiligten erfüllte.

Interessant ist, dass er bei den Bemühungen zur Organisation der Gemeinde, etwa der Errichtung einer „Kirchenordnung“, nur beratenden Status hatte. Dazu hatte man ihn aber bereits vor seiner Anstellung auch gebeten. Natürlich trat er bei allen Deputationen in Erscheinung, die die beiden Wiener Gemeinden aus besonderen Anlässen entsandten, wie etwa zum neuen Kaiser Leopold II., natürlich war er auch bei den Beratungen zur Errichtung einer Schule anwesend und entwarf Grundsätze für die Gestaltung des Unterrichtes und die Ausrichtung beziehungsweise Zielsetzung der Schule und des Religionsunterrichtes; letztlich war es aber doch so, dass er in der Gemeinde von dem Willen und den Beschlüssen des Vorsteherkollegiums abhängig war.

Fock war ein durchaus als lutherisch zu bezeichnender Theologe, in dessen Ansichten natürlich die zeitgenössische Theologie der Aufklärung vorherrschend war. Vielleicht war das aber auch die einzige Möglichkeit, die ihm als Prediger in der recht differenzierten und den äußeren Einflüssen so sehr ausgesetzten Wiener Gemeinde blieb. Es hat übrigens fast den Anschein, als ob er in seinen katechetischen und homiletischen Schriften weit weniger extrem rationalistisch beeinflusst gewesen ist, als dies in seinen Entscheidungen als Consistorialrat der Fall war. Hier war er natürlich auch an die Ansichten der Juristen und des katholischen Präsidenten gebunden. Und denen waren alle „mystischen“ Ergüsse wohl noch viel mehr ein Greuel als dem Theologen Fock, der ja auch an der Gesandtschaftskapelle ohne weiteres die relativ reiche liturgische Ordnung gehalten hatte.

Seine „Anleitung zur gründlichen Erkenntnis der christlichen Religion (zum Gebrauche in den Schulen der protestantischen Confessionsverwandten in den k.k. Staaten)“ begann mit folgendem Satz: „Die gesunde Vernunft erkennet leicht, dass die Welt nicht von ungefähr entstanden sein könne, sondern einen Urheber haben müsse. Diesen Urheber der Welt nennen wir Gott. Aus der Menge, Größe und weisen Einrichtung der erschaffenen Dinge erschließt die Vernunft ferner, dass Gott ein höchstmächtiges, höchstweises und höchstgütiges Wesen sein müsse.“ Späterhin schreibt er in demselben Buch: „Gott ist Schöpfer und Vater aller Menschen, hat sie alle zur Glückseligkeit erschaffen und fähig gemacht, und will auch ernstlich sie alle zur Glückseligkeit führen.“ Dem diene eben das Kommen Jesu in die Welt, den Gott zum „Erlöser des ganzen Menschengeschlechtes, d.i. zum Befreier von allen Übeln, die die Menschen hindern, gut und glückselig zu sein“, gesandt hat.

Es ist unschwer zu sehen, wie Fock versucht hat, unmittelbar einleuchtend die „heiligen Wahrheiten des Christentums“ darzulegen und damit zur Nachfolge einzuladen. Es war seine Form der Zeugenschaft, in der die Fragen des Glücks, des christlichen Wandels, der Befreiung von Unwissenheit, Lastern, Unruhe und Furcht unter oftmaliger und recht eindrucksvoller Berufung auf biblische Stellen dargelegt werden.

Ungeachtet des Ansehens, dessen sich der „erste Prediger A.C.“ in Wien erfreute, nahm er doch einen an ihn ergangenen Ruf nach Kiel, in seine Heimat, an und zeigte mit Schreiben vom 15. Jänner 1796 dem Vorsteherkollegium seine Ernennung zum königl. dänischen Consistorialrat und ersten Pastor in Kiel-Hauptkirche an. Das Consistorium teilt Fock unter dem 10. März die „von höchsten Orts in Gnaden erteilte Entlassung“ mit. In Kiel wirkte er als Probst und Pastor bis zu seinem im Jahre 1835 erfolgten Tode.

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen. In: Glaube und Heimat 1981, S. 36-38