Zu den wesentlichsten Aufgaben der Gemeinden, die sich nach dem Toleranzpatent Josephs II. bildeten, gehörte die Suche nach geeigneten Predigern. Aus dem Lande selbst konnten diese Pastoren nicht kommen, auch aus dem deutschsprachigen Ungarn konnte der Bedarf nur zum Teil gedeckt werden, so mußte in verschiedenen deutschen Territorien nach geeigneten Personen gesucht werden. Zum Teil halfen dabei allerlei staatliche Behörden und Amtsträger, zum Teil blieb es den Gemeinden überlassen, durch entsprechende Kontakte Prediger ausfindig zu machen, die geeignet und bereit waren, einer Berufung nach Österreich Folge zu leisten, zum Teil meldeten sich nach dem Bekanntwerden des Toleranzpatentes stellenlose oder als Hofmeister beschäftigte Theologen selbst bei kirchlichen oder österreichischen Stellen, um ihre Bereitschaft zu erklären, nach Österreich zu gehen.

Wesentlichste Vermittlungsstation war dabei die „Christentumsgesellschaft“, beziehungsweise deren Mitarbeiter, Senior Johann August Urlsperger in Augsburg. Auch der Nürnberger Kaufmann Johann Tobias Kießling, der mit Drogen und Gewürzen die österreichischen Märkte bereiste, stellte die Verbindung zu manchen Theologen her. Tritschler kam allerdings auf andere Weise nach Rutzenmoos, dessen erster Pastor er 1782 wurde. Er stammte aus Württemberg und lernte in Zürich den bekannten Philantropen Lavater kennen, der auch zur Errichtung der Wiener evangelischen Gemeinden ein „Toleranzlied“ gedichtet hatte; Lavater war damals Administrator in Neuwied am Rhein. Durch den dortigen gräflichen Hof wird Tritschler mit dem österreichischen Gesandten und Vater des späteren Ministers, Grafen Metternich, bekannt, der ihn fragt, ob er bereit wäre, einen Ruf nach Österreich anzunehmen. Auf die Zusage Tritschlers teilt dies der Gesandte dem Staatskanzler Kaunitz mit. Die Staatskanzlei schlägt mit Wissen des Kaisers Tritschler der sich eben in der Herrschaft Puchheim in Pilling bildenden Gemeinde als Prediger vor. Freilich sollten die Vorsteher und Bevollmächtigten der Gemeinde selbst die weiteren Verhandlungen pflegen. Der Kontakt führte zur Berufung.

Tritschler war am 2. November 1757 in Eßlingen in Württemberg geboren, hatte in Tübingen und Zürich studiert; er heiratete vor seiner Abreise nach Österreich Juliane Seeger. Auf seiner Reise, die ihn über Augsburg führt, trifft er bei Urlsperger zwei Abgesandte der neuen Gemeinde, die zunächst „Pilling“ genannt wird, bald aber nach dem Ort des Kirchbaues den Namen „Rutzenmoos“ erhält. Die beiden, der Schulmeister und ein Gemeindeglied, befinden sich mit landesfürstlicher Erlaubnis auf Kollektenreise durch Deutschland; das gesammelte Geld soll zur Errichtung der Gemeinde, also zur Erbauung von Kirche und Pastorat sowie eines Schulhauses, dienen. lnsgesamt sammeln sie mehr als 600 Gulden

Während die beiden noch die Reise fortsetzen, kommen Tritschler und seine Gattin am 13. November 1782 in Pilling an. Er wird provisorisch bei einem der Kirchenvorsteher untergebracht und muß zunächst die behördlichen Genehmigungen für seine Anstellung und Amtsausübung erhalten

Die Gemeinde selbst war bereits am 13. August 1782 über Bewilligung der Regierung gegründet worden, hatten sich doch schon bis zum Juli 1782 536 Akatholiken behördlich registrieren lassen. Sofort nach Einlangen der Bewilligung wird mit der Sammlung von Geld begonnen

Am ersten Advent 1782, das war der 1. Dezember 1782, kann Tritschler seinen ersten Gottesdienst „in der Wagenhütte beim Nömer in Pilling“ halten. Natürlich ist diese Hütte bei diesem ersten und bei den weiteren Gottesdiensten viel zu klein, um alle Teilnehmer fassen zu können. Natürlich sind auch viele dabei, die sich noch nicht als „der Augsburgischen Konfession verwandt“ haben eintragen lassen, natürlich ist die Emotion und Gefühlsbewegung groß, so daß von „vielen Tränen der Versammelten“ berichtet wird

Tritschler steht vor der Tatsache, daß noch immer kein Grundstück für die Errichtung von Pfarrhaus und Kirche vorhanden ist. Erst am 7. Feber 1783 kommt es zwischen der Herrschaft Puchheim und der Gemeinde zu Pilling zum Abschluß eines Vertrages über den Verkauf eines schmalen Grundstückes in der Ortschaft Rutzenmoos. Nunmehr kann endlich auch ernsthaft in der Gemeinde für den Kirchenbau gesammelt werden. Der Bau geht äußerst rasch vor sich, sodaß bereits am 3. August 1783 das Toleranzbethaus in Rutzenmoos geweiht werden kann. Als Predigttext wurde Ps. 118, 24 gewählt: Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat! So einfach, ja unvollkommen die Ausstattung ist, hat man doch den Gmundner Kunsttischler und Künstler Schwanthaler mit der Ausführung der Kanzel beauftragt

Natürlich vollzog sich dieser Gemeindeaufbau nicht isoliert. Tritschler knüpft Verbindungen an zu seinen Nachbarn; bereits im Feber 1783 besucht er die Gemeinde Goisern, mit Urlsperger steht er in Briefkontakt und berichtet ihm über die Situation der Gemeinde. Auf Grund dieser Berichte gibt Urlsperger ein Buch, das eine Reihe pietistischer und lutherischer Erbauungsschriften enthält, „auf Kosten der Gesellschaft christlicher Freunde zum besten des Kirchen-, Schul- und Pfarrhausbaues der dermalen noch ärmsten und bedürftigsten Pilling’schen Evangelischen Gemeinde unter der Herrschaft Puchheim im Hausrückviertel des Landes ob der Enns der österreichischen evangelischen Jugend gewidmet“, heraus, von dem 3000 Stück verschenkt, der Rest aber gegen geringes Geld, das zur Gänze Rutzenmoos zufließt, verkauft wird

Nachdem im April 1783 der Schulmeister seine Prüfung abgelegt hatte, konnte im Oktober 1784 im ebenerdigen Schullokal des neuen Pastorates mit dem Unterricht begonnen werden, Tritschler selbst konnte im November 1784 das Pastorat beziehen. Aber nicht nur die äußerlichen Verhältnisse müssen geordnet werden, was schon wegen des Geldbedarfes, den auch die Freunde im Ausland nur zum geringeren Teil decken können, schwierig ist, auch der innere Gemeindebau ist mit Aufregungen und Sorgen verbunden

Die katholischen Nachbarn beschweren sich über die seelsorgerliche Tätigkeit und über Aussagen, die Tritschler in Predigten macht; die Regierung bestraft ihn, weil er nicht mehr erlaubte Gesangbücher aus dem Ausland einführen ließ; zu dem Superintendenten Thielisch in Scharten kommt kein rechtes Verhältnis auf. Der Rutzenmooser Pfarrer ist vom Geist des Pietismus geprägt und versteht es, die durch die alten Erbauungsbücher im Geist der lutherischen Orthodoxie bestimmten Glieder seiner Gemeinde – 1784 sind es bereits 940 Personen – durch seine Predigt anzusprechen. Die Frömmigkeit dieser Evangelischen wird dadurch weitgehend vom pietistischen Geist erfüllt und für die Zukunft – in Rutzenmoos weithin bis zur Gegenwart – geprägt

Die Mühsal, der sich Tritschler ausgesetzt sieht, vielleicht auch persönliche Gründe, über die nichts Näheres bekannt ist, bewegen ihn, im Sommer 1786 einen Ruf nach Vaihingen in seine württembergische Heimat anzunehmen. So währt seine Tätigkeit in Oberösterreich nicht einmal ganz drei Jahre. Was er aber an Erbe hinterlassen hat, zeigt doch der Beschluß der Gemeinde, daß sie wieder so einen Prediger und Seelsorger haben möchte, wie Tritschler einer war

Der Rutzenmooser Pfarrer teilt diesen raschen Wechsel der Stelle mit gar nicht wenigen jener Geistlichen, die als erste nach dem Toleranzpatent in die neu entstandenen Gemeinden berufen worden waren. Erst die Nachfolger verblieben dann durch längere Zeit in den Gemeinden. Auch der Nachfolger in Rutzenmoos verläßt erst nach achtzehn Jahren die Gemeinde

Es ist hier nicht der Ort, um vom weiteren Wirken des ersten Predigers in Rutzenmoos zu berichten; was er gesät hat, ist aufgegangen, wie die weitere Entwicklung der Gemeinde beweist.

 

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen – Johann Gottlieb Tritschler
In: Glaube und Heimat 1981, S.35-36)