Zur Abendmahlslehre Zwinglis

„In Zürich haben sie jetzt keine Kirchen mehr, sondern Pferdeställe!“ Dieser Ausruf des päpstlichen Legaten drückt das Entsetzen über die von allen Bildern und Statuen gereinigten Kirchen Zürichs aus. Aber noch radikaler als die Veränderung der Innenraumgestaltung war die .Liturgiereform“ Zwinglis. Während Luther vom überlieferten Messkanon ausging und lediglich einige ihm bedenklich erscheinende Stücke herausstrich, wurde in Zürich die reformatorische MittelpunktsteIlung der Predigt im Gottesdienst noch deutlicher gemacht.

Der Gottesdienst nach der 1. Zürcher Kirchenordnung:

Gebet um rechtes Hören
Fürbitte für die Obrigkeit und die um des Glaubens willen Verfolgten
Vaterunser
Predigt
Abkündigung der Verstorbenen mit Gebet
Offene Schuld
Bitte um Vergebung

(Keine Kirchenmusik und Gesang)

Diese Ordnung war keine völlige Neuschöpfung, denn sie ging vom mittelalterlichen sogenannten Prädikantengottesdienst („Pronaus“) aus. Neu war, dass dieser sakramentslose Nebengottesdienst zum (auch sonntäglichen) Hauptgottesdienst gemacht wurde.

Die liturgische Arbeit Calvins und anderer reformierter Theologen haben dann noch manche Änderung im Gemeindegottesdienst bewirkt, wobei die Konzentration auf die Predigt und einfache Formen von Gebet und Schriftlesung geblieben sind. Typisch ist ferner die starke Autonomie der reformierten Gemeinden in der Regelung dieser Fragen.

Die Feier des Abendmahles fand viermal pro Jahr statt. Zwingli hat in seiner Schrift „Aktion oder Brauch des Nachtmahls“ von 1525 eine in allen Einzelheiten ausgeführte Ordnung vorgeschlagen, die vom Stadtrat mit geringfügigen Änderungen genehmigt wurde.

Der Altar wird durch einen einfachen, mit einem Tuch bedeckten Tisch ersetzt. Die Schüsseln für das Brot und die Kelche sind aus Holz ( „Damit das Gepränge nicht wiederkomme“). Bei der Kommunion bleibt die Gemeinde auf ihren Plätzen, und die Pfarrer bringen Brot und Wein in die Bankreihen. Jeder Gläubige nimmt davon.

Wiewohl ererbte liturgische Mittel mitverwendet werden, haben wir hier die einzige original zu nennende Schöpfung der Reformation in liturgischer Hinsicht vor uns.

Der Schlüsselsatz für Zwinglis Abendmahlsverständnis ist das „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ der Einsetzungsworte. Von daher und von anderen exegetischen Überlegungen kommt er zur Deutung der Feier als Gedächtnis- bzw. Erinnerungsmahl. Folglich seine berühmte Übersetzung: „Das bedeutet meinen Leib (ist Zeichen meines Leibes).“ Diese Tatsachen haben Luther (Marburger Religionsgespräch von 1529 mit Zwingli) und viele andere bis zur Gegenwart den falschen Schluss ziehen lassen, Zwingli leugne die wirkliche Gegenwart („Realpräsenz“) Christi im Abendmahl. „Vergegenwärtigen“ ist aber für den an Plato geschulten Zwingli etwas anderes als Zurückdenken in (ferne) Vergangenheit. Nicht die Gemeinde versetzt sich 1500 oder 2000 Jahre zurück nach Golgotha, sondern der Gekreuzigte tritt durch den Vorgang des gläubigen Erinnerns in ihre Gegenwart. Vergegenwärtigung bedeutet so höchste Präsenz, in unseren Geist hinein nämlich, in die Bewusstheit des Glaubens.

Zürcher Abendmahlsordnung

Gebet
Lesung 1. Kor. 11,21-29
Lobpreis (Gloria) und „Lamm Gottes“ in Wechselrede
Lesung Joh. 6,47-63 (mit Buchkuss)
Apost. Glaubensbekenntnis im Wechsel
Vermahnung
Vaterunser (knieend)
Gebet
Einsetzungsworte (nach 1. Kor. 11)
Kommunion
Psalm 112 im Wechsel
„Gehet hin in Frieden“

Zwingli: „Die Christgläubigen, die auf ihn hoffen und vertrauen, bringen Christus selbst ins Nachtmahl durch den Glauben. Christus ist darin durch das Bekenntnis der gläubigen, Gott liebenden Seele. Denn bevor und ehe das Brot und der Wein dargeboten wird, muss der Glaube schon auf Christus gestellt und versichert sein, da er für uns geboren, gelitten und gestorben sei; und in diesem Sinn bekennen wir, dass Christus der gläubigen und Gott liebenden Seele im Nachtmahl zugegen sei.“

Besonders wichtig sind Zwingli die ethischen Konsequenzen der „Eucharistie“ (= Dank für die vollbrachte Erlösung), wie er das Abendmahl sehr gerne genannt hat. „Wandeln“ zu einem Leben im Sinne Jesu Christi soll sich die Gemeinde! Im Gemeinschaftsmahl mit Christus und den Brüdern und Schwestern legen die Teilnehmer ein öffentliches Bekenntnis vor Gott und den Menschen ab und verpflichten sich damit zu einer christlichen Lebensführung.

Zwingli: „Wer sich also zu den Christen gesellt, wenn sie den Tod des Herrn verkündigen, wer zugleich das symbolische Brot oder Fleisch isst, der muss natürlich hernach nach Christi Gebot leben, denn er hat den anderen bezeugt, dass er auf Christus vertraut. Wer auf ihn vertraut, muss wandeln, wie er gewandelt ist.“

Nur angedeutet kann hier werden, dass in der neuesten ökumenischen Diskussion der Begriff des „memorial“ für die Abendmahlsfeier einen neuen, für alle Konfessionen wichtigen Stellenwert bekommen hat.

Der Sinn des Abendmahles nach Zwingli

1. Danksagung („Eucharistie“) für Gottes Heilstat in Christus
2. Gedächtnismahl zur Vergegenwärtigung dieses einmaligen Geschehens
3. Gemeinschaftsmahl mit Christus und den Schwestern und Brüdern
4. Verpflichtungszeichen zu einem Leben im Sinne Christi
5. Bekenntniszeichen zur christlichen Gemeinde

Jedenfalls ist „Jesu letztes Gleichnis“, in diesem Sinn verstanden eine Herausforderung für alle Christen.

Erwin Liebert
Aus: Erika Fuchs, Imre Gyenge, Peter Karner, Erwin Liebert, Balázs Németh: Ulrich Zwingli Reformator. Die Aktuelle Reihe Nr. 27, S. 22-24.