Mit der Niederschlagung der Oktoberrevolution 1848 setzte die Periode des Neoabsolutismus ein, zu dessen Beginn etliche Angelegenheiten geregelt wurden, die für die Evangelischen tiefgreifende Veränderungen gegenüber der Toleranzzeit und jedenfalls erhebliche Fortschritte mit sich brachten: Mit Verordnung des Innenministers vom 30. Jänner 1849, die Kaiser Franz Josef mit dem „Dezemberpatent“ vom 31. Dezember 1851 bestätigte, wurde die diskriminierende Bezeichnung „akatholisch“ generell abgeschafft, die Schlechterstellung gegenüber den Katholiken im Bereich des allgemeinen bürgerlichen Rechts aufgehoben; evangelische Pfarren erhielten das Recht selbständig Matriken zu führen, die bisher üblichen Stolgebühren an katholische Institutionen fielen weg. Nicht zuletzt wurde die Bestimmung aufgehoben, wonach nichtkatholische Gotteshäuser nicht als Kirchen erkennbar sein sollten: Nun war erlaubt, daß sie über Türme und Glocken, einen Eingang von der Straßenseite und über Kirchenfenster verfügen durften. Die erste evangelische Kirche Österreichs, die mit  Kirchturm und Glocken errichtet wurde, war die den Jahren 1849-1852 im neogotischen Stil erbaute Christuskirche in Wels

Die Periode des josefinischen Staatskirchentums mit der offenkundigen Gängelung der Kirchen war nun endgültig zu Ende. Auch das erstarkte Selbstbewusstsein der katholischen Kirche verlangte nach einer neuen Rechtsstellung, die ihr der Staat durch das mit dem Vatikan abgeschlossenen „Konkordat“ 1855 auch gewährte.

Nachdem der neoabsolutistische Staat seine Beziehungen zur katholischen Kirche im „Konkordat“ von 1855 geregelt hatte, ging er auch daran, das Verhältnis zu den Protestanten neu zu ordnen. Für den Staat war es dabei ein wesentliches Anliegen, die evangelischen Untertanen Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses zu seinen Stützen zu gewinnen, nahm doch die Bedeutung evangelischer Unternehmer, Financiers und Künstler für die Monarchie und deren Haupt- und Residenzstadt Wien stetig zu. Als deutliches Signal wurde an die Spitze der seit dem Jahr 1784 in Wien amtierenden Konsistorien Augsburgischer und Helvetischer Konfession (A.C. und H.C.) 1859 zum ersten Mal nicht ein katholischer Präsident berufen, sondern ein protestantischer Fachmann aus Siebenbürgen, Joseph Andreas Zimmermann, der in den kommenden Verhandlungen die Positionen sowohl des Staates als auch der beiden evangelischen Kirchen zu berücksichtigen und zu koordinieren hatte.

Zunächst wurde ein „Patent“ für das Königreich Ungarn erarbeitet: Da es aber nicht von der Landeskirche vorbereitet worden war, sondern ihr am 1. September 1859 gewissermaßen aufoktruiert worden war, erschien es den Ungarn als Symbol der Bevormundung durch die kaiserliche Zentralregierung in Wien und somit als Rückschritt; dementsprechend heftig war die Ablehnung. Damit war aber der Plan einer einheitlichen protestantischen Reichskirche im Kaisertum Österreich gescheitert. Was von den Ungarn abgelehnt worden war, war von den Evangelischen der österreichischen Reichshälfte, in Cisleithanien hingegen sehnsüchtig erwartet worden und wurde hier als gewaltiger Fortschritt empfunden.

Nach längeren Beratungen unter dem Kultusminister Leo Graf Thun-Hohenstein legte Staatsminister Anton von Schmerling – nach dem Vorbild des ungarischen Protestantenpatents, allerdings mit etlichen Abänderungen – am 17. Februar 1861 das staatskirchenrechtliche Grunddokument der Evangelischen, das „Protestantenpatent“ (Dokument 1) vor. Vor dessen Inkrafttreten ordnete Kaiser Franz Josef freilich noch eine Prüfung des Entwurfs entsprechend den Bestimmungen des Konkordates, an welchem er festzuhalten entschlossen war, an. Obwohl die liberale Verfassungsbewegung bereits für den 29. April 1861 die Einberufung des Reichrates erzwungen hatte, der dann am 1. Mai seine feierliche erste Sitzung abhielt, war man in der Frage der Evangelischen zu der Erkenntnis gelangt, dass rasches Handeln geboten sei und die schon lange erwünschte Regelung nicht weiter verzögert werden solle. Und so erging am 8. April 1861 kein Gesetz, sondern ein Patent (Dokument 2), das einerseits der absoluten Gesetzgebungsvollmacht des Kaisers entsprang, andererseits als Indiz für die summepiskopale Stellung des Kaisers gewertet wurde. Tatsächlich war bei den Beratungen in verschiedenen Ministerkonferenzen von den kaiserlichen Kirchenaufsichts-Befugnissen (iura circa sacra), die als Majestätsrecht galten, gesprochen worden.

Die evangelische Kirche stand also unter kaiserlicher Oberaufsicht, die einerseits durch das Kultusministerium, in dem eine eigene evangelische Abteilung eingerichtet wurde, andererseits durch den neu geschaffenen k. k. Oberkirchenrat ausgeübt wurde. Diese nach preußischem Muster bezeichnete Behörde löste die alten Konsistorien ab, allerdings ohne daß dem österreichischen Oberkirchenrat eine adäquate Funktion des preußischen Vorbilds übertragen worden wäre. Die Mitglieder dieses obersten Organs des evangelischen Kirchenregiments wurden nicht durch eine Synode gewählt, sondern durch den Kaiser ernannt. Das kaiserliche Ernennungsrecht wurde von der evangelischen Kirche als Teil einer umfassenden staatlichen Religionspflege verstanden und ebenso gutgeheißen wie andere Beispiele staatskirchenrechtlicher Aufsicht, etwa der notwendigen kaiserlichen Bestätigung der Kirchengesetze und der Wahl der Superintendenten, wie auch der Genehmigungspflicht ausländischer Pfarrer und Lehrer.

Es gab zwei korporative Konfessionskirchen, die evangelische Kirche Augsburger Konfession (A.C.) und die Kirche Helvetischer Konfession (H.C.), deren rechtliche Grundlage freilich auf einer gemeinsamen Kirchenverfassung basieren sollte; auch der k.k. Oberkirchenrat war eine gemeinsame Behörde für beide Kirchen, die weiters das Recht erhielten, von ihren Angehörigen Beiträge einzuheben. Der organisatorische Aufbau der beiden evangelischen Kirchen sollte nach synodal-presbyterialem Prinzip in Form von „Gemeinden verschiedener Stufen“ erfolgen. Einzelheiten der Organisation und der verschiedenen Aufgaben hatten durch eine Kirchenverfassung geregelt zu werden: Zu diesem Zweck legte Staatsminister Schmerling bereits am 9. April 1861 mittels Verordnung eine provisorische Fassung vor, welche die Einberufung von verfassungsgebenden Generalsynoden ermöglichte. Sämtliche künftigen kirchlichen Gesetze konnten allerdings erst dann in Kraft treten, wenn sie durch den Kaiser genehmigt und von seiner Regierung verlautbart worden waren.

Unmittelbar nach Erlass des Protestantenpatents klagte Papst Pius IX., die Rechte der Nichtkatholiken in Österreich würden ständig erweitert. Tatsächlich hat das von liberalen protestantischen Kirchenhistorikern als „Magna Charta der evangelischen Kirche“ gepriesene Protestantenpatent zwar den Evangelischen, die neuerlich von sämtlichen rechtlichen Diskriminierungen befreit wurden, – jedoch nicht der Organisation der Evangelischen Kirche – den Zustand konfessioneller Gleichberechtigung beschert, was freilich am zutiefst katholischen Charakter der Donaumonarchie nichts änderte.

Von Ernst Petritsch