Mein Lebenspartner Peter Gabriel und ich haben einander am 1. November 1991 auf einer Tagung in Düsseldorf kennen gelernt. Es war „Liebe auf den ersten Blick“, obwohl wir keine Ahnung hatten, wie das gehen würde: Ich war Pfarrer in Saalfelden, einer kleinen Gemeinde im Salzburger Pinzgau, er war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät in Göttingen, einer Universitätsstadt im Norden Deutschlands. Aber es ging: Peter verbrachte etwa ein Wochenende im Monat und alle vorlesungsfreien Zeiten bei mir in Saalfelden und schrieb an seiner Dissertation, und ich fuhr dazwischen auch etwa ein Mal im Monat zu ihm: Meist sonntags nach dem Gottesdienst mit dem Auto bis München und dann weiter mit dem ICE nach Göttingen für 24 Stunden Zusammensein, Montag Nacht war ich wieder zu Hause. Und telefoniert haben wir jeden Abend – damals kostete ½ Stunde Auslandsgespräch ungefähr 350 Schilling, zusammen mit den Bahnfahrkarten blieb mir von meinem Anfängergehalt dann nicht mehr viel. Unseren ersten Sommerurlaub auf Malta musste Peter bezahlen, weil ich kein Geld mehr hatte… Aber es ging, weil wir das Glück spürten, einander gefunden zu haben.

In meiner Gemeinde, in der ich seit 1987 zuerst als Pfarramtskandidat und dann als Pfarrer lebte, war ich damals noch nicht geoutet. Meine Familie und meine Freunde wussten, dass ich schwul bin, aber vor einem Coming Out in der Gemeinde hatte ich Angst. Ein schwuler Pfarrer in einer Landgemeinde? Während das Thema in Deutschland bereits zu jahrelangen Kontroversen und teilweise zu Entlassungen von Pfarrern geführt hatte, war es in der Evangelischen Kirche in Österreich insgesamt nicht bearbeitet. Der Ausgang einer solchen Diskussion war höchst ungewiss.

Versteckspiel wollte ich auf der anderen Seite auch keines. So waren Peters regelmäßige Anwesenheiten im Pfarrhaus kein Geheimnis, und es gab wohl mehr Gemeindeglieder, die „sich etwas dachten“, als mir damals bewusst war. Peter erzählt gern die Geschichte von jener Mitarbeiterin des Frauenkreises, die schwer bepackt mit Einkäufen für eine Veranstaltung an der Pfarrhaustür klingelte, weil sie ihren Schlüssel vergessen hatte. Ich war nicht zu Hause, Peter öffnete die Tür und sie sagte: „Gut, dass Sie da sind, ach ich sag’s ja immer, unser Pfarrer braucht eine Frau.“ Worauf er erwiderte: „Na, dafür hat er jetzt ja mich!“ Ich habe dann kein „offizielles Coming Out“ mehr gebraucht …

Nach dem Outing von Helmut Jedliczka, damals Pfarrer in Wien, in der Zeitschrift „Basta“ zielte der Antrag von Gerhard Krömer in der 1. Session der XI. Generalsynode 1992 darauf ab, dass die Evangelische Kirche Homosexualität verurteilen sollte. Damit war das Thema auch in Österreich ins Rollen gekommen. Doch der Theologische Ausschuss der Generalsynode legte 1994 einen Bericht vor, der von der Rechtfertigungslehre her, also christozentrisch, für eine Akzeptanz Homosexueller in der Kirche eintritt. Die Generalsynode führte damals eine beeindruckende Diskussion – aus meiner Sicht hat damals der Ausschussvorsitzende Joachim Rathke enorm viel dazu beigetragen, dass authentisch gesprochen wurde, denn er erzählte von seinem Lernweg mit diesem Thema, das ihm völlig fremd und eigentlich unangenehm blieb bis zu dem Punkt, als er nicht über Homosexualität redete, sondern mit Homosexuellen.

Der Beschluss der Generalsynode, dass dieser Bericht an alle Gemeinden, Werke und Einrichtungen zur Beratung weitergeleitet werden sollte, markierte auch für mich den Startschuss, mich offiziell in die Diskussion einzubringen. Fallweise, auf Tagungen, in persönlichen Gesprächen mit Synodalen usw., hatte ich dies auch vorher schon getan. Doch wie sollten Gemeinden die von der Generalsynode gestellten Fragen beantworten, vor allem die, ob „sich offen zur Homosexualität Bekennende in der Gemeinde Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen, Pfarrer oder Pfarrerinnen sein“ dürfen, wenn sie nicht ein lebendiges Beispiel vor Augen gehabt hätten, dass so etwas geht? So reiste ich 2 Jahre lang durch zahlreiche Gemeinden zu Gesprächsabenden, meist gemeinsam mit Joachim Rathke, der die theologischen Überlegungen darstellte, und ich brachte die persönliche Perspektive ein. Natürlich waren auch viele andere sehr engagiert, unter anderem Klaus Schacht, der sich unermüdlich bemühte, die evangelikalen Positionen zu widerlegen, aber auch zahlreiche Vertreter der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK).

Der Widerstand gegen die Position des Theologischen Ausschusses formierte sich ebenfalls. Spätestens mit der „Invokavit-Erklärung“ wurde deutlich, dass die Positionen zwischen Befürwortern und Gegnern sehr weit auseinander lagen.

Gleichzeitig, im Mai 1994, war Peter in seiner Heimatkirche, der Oldenburgischen, ins Vikariat gegangen. Davor war er bei der dortigen Kirchenleitung geoutet worden und man hatte ihm auferlegt, nicht öffentlich zum Thema Homosexualität aufzutreten. Dazu noch hatte sich unsere Entfernung um weitere 300 km erhöht, weil er nun in Apen im Ammerland, dem letzten Dorf vor Ostfriesland, war. Meine Kurzbesuche über Sonntag/Montag waren nicht mehr möglich. Abgesehen von Ferienzeiten sahen wir uns nur noch etwa ein Mal im Monat. Im Rückblick kann ich es nur als Wunder sehen, dass wir nie daran gezweifelt haben, dass wir unseren Weg gemeinsam gehen wollen. Und wir klammerten uns an die Hoffnung, dass Peter über das Gustav-Adolf-Werk der EKD für ein halbes Jahr ein Gastvikariat bei mir in Saalfelden würde absolvieren können.

Großen Rückhalt erlebte ich in meiner Saalfeldener Gemeinde. Sehr schön wurde auch deren Lernweg von Renata Schmidtkunz in einem Beitrag für die ORF – Fernsehsendung „Orientierung“ im Dezember 1995 eingefangen. Er wurde zur selben Zeit ausgestrahlt, als Peter sein Gastvikariat in Saalfelden begann. Teile des Oberkirchenrates nahmen uns übel, dass sie offenbar erst aus der Fernsehsendung erfuhren, dass der gerade nach Saalfelden gekommene Gastvikar eben auch mein Freund war … Bischof Herwig Sturm hatte soeben sein Amt angetreten, am Tag nach seiner Amtseinführung hatten wir einen Termin bei ihm, bei dem es uns darum gegangen wäre, ob und wie Peter in Österreich auch nach dem Gastvikariat bleiben könne. Doch Bischof Sturm teilte uns mit, dass der Oberkirchenrat soeben beschlossen habe, dass Peter Österreich wieder zu verlassen habe. Nach einem langen, guten Gespräch mit uns erreichte der neu amtierende Bischof, dass der Beschluss dahin gehend abgeändert wurde, dass Peter nach dem Ende seines Gastvikariates nach Deutschland zurückkehren müsse. Das tat er im Sommer 1996 auch und legte in Oldenburg sein Pfarramtsexamen ab. Das halbe Jahr davor war für uns aber eine wunderschöne Zeit, in der wir zum ersten Mal länger als nur wenige Wochen zusammensein konnten, aber auch mit einander gearbeitet haben und Peter wertvolle Erfahrungen mit dem Evangelisch Sein in Österreich gesammelt hat.

In der Zwischenzeit erfuhren wir unglaublich viel Solidarität. Das beeindruckendste Beispiel ist vielleicht Ilse Bichler, eine einfache Frau aus Saalfelden, die sich einen Termin bei OKR Johannes Dantine geben ließ, nach Wien fuhr und ihm erklärte, dass Peter unbedingt in Österreich bleiben müsse. Und die Pfarrgemeinde Salzburg-West hatte eine unbesetzte Schulpfarrstelle und bemühte sich, Peter dafür zu bekommen. Doch die Kirchenleitung konnte der Entscheidung der Synode, ob es homosexuelle Pfarrer geben dürfe, nicht vorgreifen. So kam es zu einem Kompromiss: Peter bekam eine vorläufige Ermächtigung als Religionslehrer und kam im September 1996 nach Salzburg, um als Religionslehrer die unversorgten Schulstunden zu übernehmen.

Doch dann kam der Oktober 1996 – die für uns unvergessliche Session der Synode und Generalsynode in Graz. Die Annahme der „Erklärung des Theologischen Ausschusses zur Homosexualität“ zeigte, dass die Synoden entschlossen waren, den Weg von 1994 fortzusetzen. Mit dem Beschluss: „Kriterium zur Beurteilung von Menschen darf in unserer Kirche nicht die sexuelle Prägung als solche sein, sondern ausschließlich der verantwortungsvolle und menschenwürdige Umgang mit ihr“ fiel von mir die Last der Sorge, dass ich mein Pfarramt verlieren könnte und war der Weg dafür geebnet, dass Peter in den Dienst als Pfarrer der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich übernommen werden konnte. Folgerichtig wurde er zur Ablegung der Ergänzungsprüfungen in österreichischer Kirchengeschichte und österreichischem Kirchenrecht zugelassen, von der Gemeindevertretung der Pfarrgemeinde Salzburg – West mit nur 1 Gegenstimme gewählt und im September 1997 von Superintendentin Luise Müller ordiniert und in sein Amt eingeführt.

Der an alle Mitglieder der Synoden von der neu gegründeten „Arbeitsgemeinschaft bekennender Christen in der Evangelischen Kirche Österreichs – ABCÖ“ versandte Protest dagegen wurde von der Kirchenleitung in ungeahnter Schärfe zurückgewiesen.

Neben der Frage von homosexuellen Partnerschaften von kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen stand immer die Frage der Segnungen homosexueller Partnerschaften im Raum. Die theologische Argumentation hatte sich daher neben einer grundsätzlichen Beschäftigung mit dem Schriftverständnis vor allem auch mit dem evangelischen Verständnis von Segen und von der Ehe zu befassen. Zu beiden Themenbereichen wurden in diesen Jahren vom Theologischen Ausschuss eindrucksvolle Dokumente vorgelegt. Dennoch konnte sich die Synode A.B. nicht zu einem „magnus consensus“ in der Frage öffentlicher Segnungsgottesdienste durchringen. Immerhin sind mittlerweile Segnungen im seelsorgerlichen Rahmen in der Kirche A.B. möglich. In der 2. Session der 14. Synode H.B. im November 1999 in Bregenz wurde hingegen die „Segnung nicht standesamtlich geschlossener Partnerschaften (heterosexuell und homosexuell)“ beschlossen.

Nach all den Jahren der Entfernungsbeziehung war unser Wunsch nach Zusammenleben sehr gewachsen. Zwar war das Pendeln zwischen Salzburg und Saalfelden im Vergleich zu früheren Jahren für uns schon ein großer Fortschritt, aber das Teilen des Alltags war das natürlich noch nicht. Nach zwei erfolglosen Bewerbungen, bei denen die Angst der Mehrheit der jeweiligen Gemeinden vor einem schwulen Pfarrer sicher auch eine Rolle gespielt hat, bot daher mein Wechsel in die Schulaufsicht als Fachinspektor eine neue Chance. So konnte ich in der neuen Funktion im Sommer 2000 zu Peter nach Salzburg ziehen.

Für uns war das ein neuer, wichtiger Lebensabschnitt. Wir spürten deutlich den Wunsch, Gott auch öffentlich dafür zu danken, dass er uns durch all die Höhen und Tiefen dieser ersten 10 Jahre unserer Partnerschaft getragen hat und ein Fest mit all den Menschen zu feiern, die uns nahestehen. So feierten wir am 8. September 2001 in der Reformierten Stadtkirche in Wien unseren Segnungsgottesdienst, den der damalige Landessuperintendent Peter Karner eindrucksvoll und berührend gestaltete. Im gleichen Jahr hatte die Bundesrepublik Deutschland das Partnerschaftsgesetz beschlossen. So ließen wir auf den Tag genau zum 10jährigen Jubiläum unseres Kennenlernens, am 1. November 2001, am Standesamt in Peters Heimatstadt Delmenhorst unsere Partnerschaft eintragen. Diese Lebenspartnerschaft wird seit dem 1. Jänner 2010 übrigens auch in Österreich anerkannt.

Die bislang letzte Etappe der Verflechtung unserer Lebensgeschichte mit der Evangelischen Kirche in Österreich erreichten wir im Jahre 2006. Senior Wolfgang Del-Negro, der auch mein Lehrpfarrer im Vikariat in Hallein gewesen war, beabsichtigte, in den Ruhestand zu treten. Und Peter bewarb sich auf die frei werdende Pfarrstelle. Zu Ostern 2006 wurde er mit 72,5% der Stimmen gewählt. Davor hatte sich die Gemeinde intensiv mit der Perspektive eines schwulen Paares im Pfarrhaus auseinander gesetzt, danach war das so gut wie kein Thema mehr. Seither leben wir also in Hallein, in einer wunderbaren, lebendigen und engagierten Gemeinde. Ich bin weiterhin Fachinspektor – aber eigentlich auch so etwas wie ein „klassischer Pfarrmann“, der den Kirchenchor leitet, den Blumenschmuck für den Altar gestaltet, im Krabbelgottesdienst Akkordeon spielt und sich halt um alles kümmert, was so anfällt in einem Pfarrhaus.

Von Peter Pröglhöf