Zur Situation der Ev. Kirche in Österreich nach 1960

Dazu ist zunächst die Situation der evangelischen Kirche in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, wie sie sich dem Verfasser darstellt, stichwortartig in Erinnerung zu rufen. Erstmals war das in einem Referat versucht worden, das der Verfasser am 24. 8. 1966 auf der Wilheringer Studentenwoche der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ) und am 22.8.66 bei der Mitarbeiterrüstzeit der Evangelischen Jugend auf Burg Finstergrün gehalten hatte und das dann im „U-Boot“, dem Mitarbeiterblatt der KSJ, erschienen war. Dort ist den Motiven nachgegangen worden, die das Verhältnis der Römisch-katholischen Kirche zur Evangelischen Kirche bestimmen. Heinrich Schneider hatte dann[1] das Thema „Katholische Kirche und österreichische Politik“ aufgegriffen. Als Pendant dazu ist vom Verfasser ein Aufsatz über „Evangelische und evangelische Kirchen in der österreichischen Politik“[2] erschienen, der weitgehend Material aus dem Referat von 1966 aufgenommen hat. In der Besprechung dieses Beitrags meinte Gustav Reingrabner[3], erstmals wären damals „historische Entwicklungs- und Bezugslinien skizziert worden, die für das Verständnis der Situation der sechziger Jahre und zum Teil bis heute wichtig sind.“ Seither sind eine Reihe von Arbeiten veröffentlicht worden, auf die hier nur verwiesen werden kann. Karl Schwarz hat sie 2002 in dieser Zeitschrift[4] praktisch alle angeführt.

Unbestritten und wohl auch unbestreitbar ist die Beobachtung, dass das Ende der Nazi-Diktatur in Österreich zu keiner Zäsur in der Besetzung der kirchlichen Leitungsorgane geführt hat, wie das 1938 der Fall war. Eine der Folgen war, dass maßgebliche kirchliche Publikationen, u.a. das Amtsblatt, die Wiederherstellung Österreichs keineswegs so begrüßt haben, wie sie den „Anschluß“ von 1938 gefeiert hatten. Die Kontinuität der Organe der Kirche und der Gemeinden ist wesentlich, um die Konflikte der sechziger Jahre verstehen zu können. Zwei Gruppierungen – um nicht von Lagern zu sprechen – standen einander gegenüber: die eine, kirchenleitend maßgebliche, die meinte, Konsequenz aus der – ihrer – Geschichte sei es, Ruhe und Distanz zur Politik zu bewahren, und eine andere, jüngere, meist aus dem von Georg Traar geführten Evangelischen Jugendwerk und der von Wilhelm Dantine geprägten Stundentengemeinde kommende, die es als ihren Auftrag sah, kritisch Stellung zu nehmen, und zwar sowohl zu kirchlichen, wie auch zu politischen Vorgängen. Dieser Antagonismus musste früher oder später zu Konflikten führen.

Symptomatisch für die Position der „Bewahrer“ ist der von Bischof May am 20. Jänner 1949 auf der Generalsynode A.B. und H.B. erstattete „Bericht über das geistliche Leben“, in dem May sagt, dass die Evangelische Kirche die Solidarität der Schuld mit dem ganzen Volk (?) bekennen müsse, um 10 Zeilen weiter davon zu sprechen, dass auch mit denen, die sich noch immer nicht aus den Verstrickungen gelöst haben, die Gemeinschaft der Verantwortung für ihr Gewissen und ihre Seelen festzuhalten ist. Im Klartext hieß das damals: Keine Konsequenzen für niemanden.

Als erstes Wetterleuchten kann die Auseinandersetzung um das Kabarettprogramm „Kreuzerl vor der Brust“ von Evi Krobath auf einer gesamtösterreichischen Pfarrerkonferenz gesehen werden. Nur mit Mühe war damals die Einleitung eines Disziplinarverfahrens abgewendet worden. Stein des Anstosses war vor allem die Nummer „Kasperltheater“ um den König April[5], die als Verletzung der Achtung und Würde von Bischof Gerhard May gesehen worden ist.

Die erste große Auseinandersetzung brachten die Jahre 1963 und 1964 mit dem „anstoß-Konflikt“, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann. Eine ausführliche Dokumentation darüber liegt als Manuskript und auf CD vor[6], künftig zitiert als Manuskript. Schon damals standen sich als Protagonisten auf der Seite der Kirchenleitung Gerhard May und Oskar Sakrausky und auf der Gegenseite Wilhelm Dantine und Gottfried Fitzer gegenüber, sowie die Vertreter des Jugendwerkes, darunter auch der Verfasser. Bezeichnend für die Position der Kirchenleitung, und nur das ist hier für das Weitere von Interesse, dass von ihr scharf zurückgewiesen wurde, notwendige Gespräche zwischen den Generationen in der Kirche sollten in partnerschaftlicher Weise erfolgen. „Es sei ein kirchenrechtliches Mißverständnis, das Jugendwerk als Partner des Oberkirchenrates anzusehen“, so am 29. Jänner 1964. Der Konflikt eskalierte bis zu gegenseitigen Disziplinaranzeigen und wurde erst im Oktober 1964 mit dem Austausch von Erklärungen beigelegt.

In der Einführung zur Dokumentation zur „anstoß“-Affaire, die der Generalsynode zugegangen ist, haben Fitzer und Dantine analysiert, wieso aufgrund einer auf’s Ganze gesehen geringfügigen Einzelheit, eine vielschichtige und in die Tiefe gehende Problematik des kirchlichen Lebens zum Vorschein gekommen ist[7]. Die Autoren sehen die Kirchenleitung im Besitze einer eindeutigen Richterrolle, einer unantastbaren Autorität und darum auch einer einzigartigen theologischen Urteilskraft. Am „anstoß“ habe sich der Gegensatz zweier verschiedener Verstehensweisen von dem, was Kirche ist, entzündet. Auf der einen Seite identifiziere sich die Kirchenleitung mit Kirche, auf der anderen Seite wird Kirche mit den in ihr lebenden, sich als evangelische Christen bekennenden Gliedern gleichgesetzt. Bis heute ist dieser knapp sechseitige Beitrag von Dantine und Fitzer als Analyse der Situation der österreichischen evangelischen Kirche der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts lesens- und bedenkenswert. Erst auf diesem Hintergrund wird der Konflikt um die Berndorfer ökumenische Trauung, bzw. die Frage des Weisungsrechts verständlich.

Durchführung und Untersagung der ökumenischen Trauung

Hans Redl, römisch-katholisch, Mitglied der Nibelungia, einer römisch-katholischen Studentenverbindung, und Traute Mittermüller, evangelisch A.B., aktiv in der evangelischen Jugend und im Kindergottesdienst, hatten von der Möglichkeit einer Segnung eines gemischt konfessionellen Paares durch nicht-römisch-katholische Geistliche erfahren. Die Kathpress hatte darüber [8]> berichtet und die Meldung war breit durch die Presse gegangen. So wendete sich das Paar in der zweiten Augusthälfte 1965 mit der Bitte um eine ökumenische Trauung an ihre Seelsorger.

Für Hans Redl war das Peter Lorenz, der Dechant von Pottenstein. Erika Weinzierl erwähnt ihn in ihrem Buch „Zuwenig Gerechte“ [9] als Pfarrprovisor von Rohr im Gebirge, der 16 aus Ungarn verschleppte Juden vor der SS-Leibstandarte „Adolf Hitler“ versteckt hatte, u.a. im ersten Stock seines Pfarrhauses, in deren Erdgeschoß eine Leitstelle der SS eingerichtet war. Als nach der Befreiung Lorenz gegen die Vergewaltigungen durch russische Soldaten protestierte und die auf ihn ein Attentat versuchten, wurde er in das ruhigere Pottenstein versetzt.

Der Verfasser selbst war als Organisator des Ersten Europäischen Treffens Evangelischer Theologiestudenten 1961 bekannt geworden. Nun war er als evangelischer Pfarrer in Berndorf und als Jugendpfarrer für Niederösterreich tätig und arbeitete in einer ganzen Reihe ökumenischer Initiativen mit. Das hatte u.a. 1964 zu einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in Genf mit John Wood, dem internationalen Sekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen in den USA, und mit Albert van den Heuvel geführt, die gerade einen ökumenisch erfahrenen Jugendsekretär für die USA suchten.

In einem ersten Gespräch von Dechant Lorenz und dem Verfasser mit dem Wiener Erzbischof und Kardinal Dr. Franz König, wurde dem die Angelegenheit vorgetragen, wobei die Kernfragen die des Reverses, also der Verpflichtung des nicht-katholischen Teils zur katholischen Kindererziehung waren und die Verpflichtung des katholischen zur „Bekehrung“ des nicht-katholischen Teils. Der Kardinal erbat sich Bedenkzeit. Die Bedenkzeit sollte wohl auch eine Rückfrage in Rom ermöglichen, wie in diesem Fall vorzugehen sei. Am 31. August 1965 kam es dann um 9.45 Uhr zu einem weiteren Gespräch mit dem Kardinal, der der vorgeschlagenen Lösung zustimmte, dass nämlich von dem bis dahin verpflichtenden Revers abgegangen werden könne. Am 16. und 23. September fanden Gespräche mit den Brautleuten und Dechant Lorenz statt und am 2. Oktober 1965 erfolgte dann die Trauung[10].

Entscheidend für die weitere Entwicklung war das am Vortag der Trauung, nämlich am 1. Oktober, beim evangelischen Pfarrer eingetroffene schriftliche Verbot seines Superintendenten, die Trauung durchzuführen. Das konnte so weder konkret noch grundsätzlich akzeptiert werden, die Trauung erhielt dadurch gerade jene Publizität, die die Kirchenleitung und mit ihr der Superintendent vermeiden wollten. Wie schon zuvor wurde autoritär entschieden, in diesem Fall allerdings mit schwerwiegenden Konsequenzen, und zwar persönlichen, kirchenpolitischen und theologischen. Darauf soll in diesem Beitrag näher eingegangen werden [11].

Bericht von Bischof May und die weitere Entwicklung

Zunächst allerdings ist anzumerken, dass am 30. August 1965 auf der Pfarrerrüstzeit in Gallneukirchen Bischof May in seinem Bericht über die mehrfache Krise im Pfarrerstand und Nachwuchssorgen, von „gefährlichen Mißverständnissen über das Verhältnis von Gemeinde und Kirche, Kirche und Kirchenleitung, Gemeinde und Amt“ und schließlich über das Verhältnis zu Rom gesprochen hatte. „Ausnahmsweise“ so May, „hatte ich ihn – den Bericht – wörtlich niedergeschrieben und genau nach der Niederschrift gehalten. Ich wollte ihn bereits im November 1965 weitergeben, zögerte aber, weil ich Bedenken hege, das in eine bestimmte Lage hineingesprochene Wort abgelöst von dieser Lage weiterzugeben. Aber gewisse innerkirchliche Diskussionen veranlassen mich, diese Bedenken zurückzustellen.“ May hatte gesagt, dass „die Kirche“ nicht im staatlichen Sinne befehlen kann, dass sie nicht juristisch verstanden werden könne und nicht, wie der römische Bischof, jurisdiktionelle Gewalt über Leben und Lehre habe. Und wieder wörtlich:“ Ich habe die Sorge, dass … durch das von oben her das Wesen der Kirche verkehrt wird. Wir müssen auf der Hut sein vor jeder Verhärtung in ein Rechts- und Ordnungsdenken, das uns nach Analogie der Staates oder der römischen Kirche denken und handeln lässt.“(Unterstreichung im Original)

Für May hatte sein Bericht auf der Pfarrerüstzeit 1965 wohl den Charakter eines persönlichen Bekenntnisses. Ob und wie sehr für ihn die folgenden Auseinandersetzungen ein Grund für sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Bischofsamt gewesen sind, kann nur vermutet werden. Jedenfalls aber ist die Spannung zwischen diesen, kurz vor der Ökumenischen Trauung erfolgten Aussagen und dem darauf folgenden Handeln auch der Kirchenleitung, mit ein Grund für Schärfe und Tragweite der Auseinandersetzungen gewesen.

Für die persönliche Dimension, um darauf zunächst einzugehen, ist die Übersicht im Manuskript um einige Hinweise zu ergänzen, die das Bild abrunden. Die Superintendenten befassten sich bei ihrer Sitzung am 3. und 4. November. 1965 mit der ökumenischen Trauung in Berndorf und sprachen sich für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Kauer aus „wegen bewußter Verheimlichung dieser wichtigen Angelegenheit und Nichtbefolgung der Vorschriften seitens seines Vorgesetzten.“ Bischof May warf ein, Kauer würde ein Märtyrer der Ökumenischen Bewegung werden, worauf der oberösterreichische. Superintend Mensing-Braun forderte, Kauer müsste eigentlich seines Amtes verlustig gehen. Am 6.11. beschließt darauf der niederösterreichische Superintendentialauschuss, Disziplinaranzeige zu erstatten, die erste von ingesamt fünf Anzeigen. Nachdem am 15. 3. Superintendent Mauer, Senior Schaefer und Superintendentialkurator Dr. Bousek an einer Sitzung des Presbyteriums teilgenommen hatten, erfolgt am 26. April eine Visitation. Mitglieder des Superintendentialausschusses nahmen am 15. Juli an einer weiteren Presbytersitzung teil. Nach der mehrstündigen „Sitzung“ mit ihnen, an der der Pfarrer nicht teilnehmen durfte, beschloß das Presbyterium den Antrag gem. § 128 der Kirchenverfassung. Gründe dafür wurden dem Pfarrer nicht angegeben.

Dieses Vorgehen führte auf der nächsten n.ö. Pfarrkonferenz zum Eklat. Bei dem von Sup. Mauer gehaltenen Abendmahlsgottesdienst verweigerten alle Pfarrer bis auf drei die Teilnahme am Abendmahl. Kauer war inzwischen für eine Entsendung nach Israel im Gespräch. Anfang Februar hatte die Superintendentenkonferenz (!) dem zugestimmt und am 28. Juni hatte Oberkirchenrat Schnell von der EKD dem Generalsekretär des Missionsrates, Pfarrer Meier-Schomburg, die Zustimmung dazu mitgeteilt. In der Superintendentenkonferenz vom 3. und 4. Mai 1966, auf die noch einzugehen sein wird, teilte dann der Bischof mit, „dass er bei der nächsten Sitzung des Missionsrates am 16. 5.1966 den Generalsekretär darauf aufmerksam machen wird, dass von Seiten der Kirchenleitung Bedenken bestehen, Pfarrer Kauer in diese verantwortliche und für die evang. Kirche in Österreich repräsentative Stelle zu entsenden. Diese Mitteilung ist deshalb notwendig, damit der Kirchenleitung nicht später der Vorwurf gemacht wird, sie hätte einen untauglichen Mitarbeiter entsendet.“ Am 7. Juli 1966 teilte dann May unter Zl. Gl. 755/66 Oberkirchenrat Dr. Schnell in Hannover diese Bedenken mit. Die Entsendung unterblieb daher.

Der Bischofsbericht vom Jänner 1967

Zur Darstellung der weiteren personalen Handlungslinie darf einfach der Bericht im Original wiedergegeben werden, den Bischof May auf der Superintendentenkonferenz am 11. und 12. Jänner 1967 gegeben hat.

“ 12. h) Pfarrer i.R. Robert Kauer (kurzer Bericht)
1. Auf Wunsch des Presbyteriums wurde Kauer gemäß § 128 KV durch den Oberkirchenrat nach Gmunden versetzt. Nachdem Kauer seine beabsichtigte Trauung mit der r.k. bleibenden Dr. H. Neumair dem Presbyterium bekanntgegeben hat, erhielt er ein ablehnendes Schreiben. Draufhin stellt ihm der Oberkirchenrat einen Termin bis zu dem er sich auf eine freie Pfarrstelle zu bewerben hatte. Als diese Frist ungenützt verstrich, wurde er in den Wartestand versetzt und Pfarrer Senior Neumayr in Bad Goisern zugeteilt. Auch von dort bekam er ein ablehnendes Schreiben, nachdem seine Trauung mit der katholischen Frau bekannt wurde. Er wurde ein weiteres mal zur Aushilfe Herrn Pfr. Dr. Deutsch in Fürstenfeld zugeteilt, trat aber seinen Dienst nicht rechtzeitig an. Aus diesem Grunde wurde ihm mitgeteilt, daß er seiner Bezüge im Wartestand mit Wirkung vom 1. 12. 1966 verlustig gehe. Kurz darauf teilte auch Pfr. Dr. Deutsch mit, daß er wegen der schon genannten Trauung seine Dienste ablehne. Der Oberkirchenrat mußte wegen Nichtbefolgung des rechtzeitigen Dienstantrittes eine D-Anzeige erstatten.

2. Im Zusammenhang mit der Ökumenischen Trauung in Berndorf wurden etliche Zeitungsartikel veröffentlicht, darunter auch ein Leserbrief Pfarrer R. Kauers an die Redaktion. Wegen dieses Briefes wurde eine D-Anzeige gegen Pfarrer Robert Kauer erstattet. Der D-Senat sprach ihn frei. Eine Berufung an den D-Obersenat ergab am 7.12.1966 das Urteil auf Versetzung in den dauernden Ruhestand Pfarrer R. Kauers. In Auswirkung dieses Urteils erhielt Pfarrer i.R. R. Kauer keinerlei Bezüge, da er weniger als 10 Dienstjahre hat.

3. Infolge verschiedener Unregelmäßigkeiten der Finanzgebahrung in der Pfarrgemeinde Berndorf, erhob das Presbyterium eine D-Anzeige gegen Pfarrer i.R. R. Kauer, die der D-Ausschuß zur Detaillierung dem Oberkirchenrat zuwies. Das weitere in dieser Sache muß abgewartet werden.

4. Nach einigen Vorbesprechungen bereits im Sommer des Jahres 1966 hat Pfr. Kauer um die Zustimmung zu seiner Eheschließung beim zuständigen Oberkirchenrat angesucht. Nachdem er bestätigte, daß seine zukünftige Frau das r.k. Bekenntnis beibehalten will, wurde diese Zustimmung nicht gegeben. Dagegen hat Pfarrer Kauer die Beschwerde an den Revisionssenat eingebracht. Diese wurde dem Oberkirchenrat zur Gegenäußerung übermittelt. Alles weitere muß abgewartet werden.

5. Pfarrer i.R. Kauer hat trotz der fehlenden Zustimmung des zuständigen Oberkirchenrates standesamtlich die Ehe geschlossen, dem Oberkirchenrat davon Mitteilung gemacht, worauf der Oberkirchenrat eine D-Anzeige gegen Pfarrer i.R. Kauer erstatten mußte, da er ohne Zustimmung des zuständigen Oberkirchenrates die Ehe geschlossen hatte. Am 26. 12. 1966 hat er sich von Prof. Dr.W.Dantine in der Auferstehungskirche in Wien 7. mit Frl. Dr.Helga Neimair (r.k.) trauen lassen.

6. Derzeit wohnt Pfarrer i.R. Kauer in Wien und versieht keinerlei Dienst im Auftrag der Evangelischen Kirche. Er erhält auch von dieser keinerlei Bezüge. Er besitzt aber noch die Qualität eines geistlichen Amtsträgers Es ist zu erwarten, daß der Oberkirchenrat in Ansehung der 3 D-Verfahren und des Verfahrens beim R-Senat, die vorläufige Enthebung von der Ausübung des Amtes aussprechen wird, damit nicht neue Schwierigkeiten entstehen.“
Und so geschah es auch. Es erübrigt sich, hier auf die insgesamt fünf (5) gegen den Verfasser eingebrachten Disziplinaranzeigen einzugehen, so reizvoll es wäre sie einer rechtlichen und theologischen Analyse zu unterziehen[12]. Das mögen andere tun, das Ergebnis jedenfalls stand, laut Bischof May, fest.

Das Sachproblem: Die Frage des Weisungsrechtes

Die kirchenpolitischen Konsequenzen waren schwerwiegend, weitreichend und zum Teil bis in die Gegenwart bestimmend. Sie sind naturgemäß von der theologischen Auseinandersetzung nicht zu trennen. Mit welchen Argumenten und mit welcher Schärfe sie geführt wurde, ist heute nur mehr schwer nachvollziehbar. Die Auseinandersetzung fand zunächst bei der Superintendentenkonferenz am 3. und 4. Mai 1966 vor allem zwischen Bischof May und Dekan Dantine statt. Die entscheidende und die Auseinandersetzungen bestimmende Frage war die des Weisungsrechtes kirchlicher Organe in seelsorgerlichen Angelegenheiten. Das Protokoll dieser Konferenz gibt die Positionen in ihrer Gegensätzlichkeit wieder und wird, weil diese Quelle bisher nicht zugänglich war, hier ausführlicher wiedergegeben.

Dantine führte als Beispiel die zweifach bestimmte Position des Richters an, die in Verwaltungssachen weisungsgebunden, in der Rechtsprechung weisungsungebunden ist. So ist auch der evangelische Pfarrer an das Evangelium, Bibel, Bekenntnisschriften und Rechtsordnungen der Kirche gebunden, darf aber durch keine „Weisung“ einer Behörde gezwungen werden, gegen seine eigene Erkenntnis zu entscheiden. Es gebe also kein „Weisungsrecht“ einer vorgesetzten Stelle, also kein Verbot eines Handelns des Pfarrers im Blick auf seine Verkündigung. Von den Mitgliedern der Kirchenleitung, insbesondere von Sakrausky wurde dem entgegengesetzt, daß in dem Begriff „Aufsicht“ auch das Weisungsrecht und damit die Weisungsgebundenheit enthalten sind. Bei der „sogenannten prinzipiellen Weisungsungebundenheit sei jeder Schwärmerei Tür und Tor geöffnet.“

Die im Folgenden erwähnten Dokumente sind im Manuskript wiedergegeben und es lohnt, sie im Volltext nachzulesen.

Fortgesetzt wurde die Auseinandersetzung mit dem 164. Amtsbrüderlichen Rundschreiben des Bischofs vom 18. Mai 1966. May vertritt dabei u.a. die Ansicht, daß kirchliche Ordnungen auch die Aufgabe haben, gegen Willkür und Unordnung „von unten“ die Kirche, die Gemeinden und die Amtsträger zu schützen und diese Ordnungen sind, solange sie bestehen, in der geltenden Form bindend und können nicht durch Willkürakte einzelner, sondern nur durch die berufenen Organe geändert werden. Dantine antwortete darauf in einem offenen Brief an alle geistlichen Amtsträger am 6. Juni 1966 und widerspricht gerade dieser Passage in aller Schärfe und bezeichnet sie als eindeutig häretisch, weil damit den zur Ordnung des kirchlichen Lebens bestellten Organen eine höchste Lehrgewalt zugesprochen wird, die praktisch in eine letzte Jurisdiktionsgewalt einmündet, weil diese „Organe“ alles authentisch interpretieren können: Heilige Schrift, Bekenntnis, kirchliche Gesetze und Ordnungen.

Superintendent Mauer seinerseits richtete im Juni 1966 einen offenen Brief an Dantine, in dem er es als Grundirrtum bezeichnete, der Berndorfer Pfarrer sei in der Ausübung seines ihm mit der Ordination übertragenen Amtes durch einen Eingriff der übergeordneten Stelle unbefugter Weise behindert worden. Ihm, Mauer, ging es darum zu verhindern, dass ein evangelischer Pfarrer die Stirn hatte, bei einer katholischen Trauung mitzuwirken und sich damit dem kanonischen Recht unterwarf. Und weiter wörtlich Mauer an Dantine: „Wenn Sie mir vorwerfen, in einer offenen, durch kein geordnetes Recht bestimmten konkreten Einzelsache kann, ja darf weder „geboten“, noch „verboten“ werden, dann handelt es sich in unserem Fall eben um solch eine Gesetzeslücke, die – weil wir keine Kasuistik haben – bei Dringlichkeit vom Vorgesetzten, der auch aus seinem an Gottes Wort gebundenen Gewissen handelt !, entschieden werden muss. Die Verfasser unserer Kirchenverfassung konnten allerdings nicht ahnen, dass auch der Fall eines Allotria treibenden Pfarrers mit einer ‚ökumenischen Trauung’ samt römischen Revers ernstlich erwogen werden konnte.“

Die Kärntner Pfarrer Ernst Guttner, Heinz Krobath, Paul Pellar, Joachim Rathke, Herbert Seeberg-Elverfeldt und Gerhard Wiesner wandten sich an alle Mitglieder der Generalsynode und alle geistlichen Amtsträger der evangelischen Kirche mit einem Brief, den sie als Gesprächsbeitrag zum 164. Amtsbrüderlichen Rundschreiben verstanden. Darin führten sie insbesonders aus, dass sich seelsorgerliches Handeln wesensmässig dem Zugriff durch eine rechtliche Ordnung entzieht und kamen so zu dem Schluß, dass der Superintendent aufgrund der damals geltenden rechtlichen Ordnung kein Weisungsrecht hatte. Durch die Vermischung von Seelsorge und kirchenleitendem Handeln wurde aus einer freien Entscheidung ein „Fall“ und weiter: “ Auch dem so lange die Gemüter bewegenden „anstoß“-Fall lag nichts anderes zugrunde, als dass die Kirchenleitung Maßnahmen durchsetzen wollte, die rechtlich nicht gedeckt waren. Einer übergreifenden geistliche Verantwortung, die mit zwingender Machtbefugnis in den von der kirchlichen Ordnung her freigelassenen Entscheidungsraum eingreift, kann nicht zugestimmt werden.“

Die Pfarrer verwiesen schließlich auf Artikel 4 der Bekenntnissynode von Barmen und meinen, das „was Ergebnis eines schweren geistlichen Kampfes war, sollte auch von uns verantwortlich übernommen werden.“ Damit sprechen die Pfarrer einen wunden Punkt der Evangelischen Kirche in Österreich an. Die letzten theologischen Kontroversen hatte es um den Verfassungsentwurf von 1933 gegeben. Seither war unter dem austrofaschistischen Ständestaat und erst recht unter der NS-Diktatur oberstes Gebot: Konflikte in der Kirche, erst recht durch Parteibildungen, müssen vermieden werden. 1938, als der Kirchenkampf in Deutschland längst vorbei war, hatte der „verdrängte Präsident“ Dr. Kauer, wie ihn Ulrich Trinks in seiner demnächst erscheinenden Arbeit nennt, den Vikar Erich Wilhelm mit dem Fahrrad zum Westbahnhof geschickt, wo noch ein Postamt geöffnet war, und ihn ein Telegramm nach Innsbruck senden lassen, wo man dabei war einen nationalsozialistischen Pfarrerbund zu gründen. Text: „Bildung unerwünscht. Der Präsident: Dr. Kauer“.

Die Wende von 1945 brachte, wie schon erwähnt, keinerlei Veränderungen in den kirchlichen Organen, was u.a. dazu führte, dass die staatlichen Stellen, vornehm ausgedrückt, der Kirche gegenüber sehr zurückhaltend waren. So wurden Superintendentenwahlen lange nicht vom Staat bestätigt. Der theologische Prozeß, der zum Barmer Bekenntnis geführt hatte, war an der Evangelischen Kirche Österreichs ebenso spurlos vorbeigegangen, wie das Stuttgarter Schuldbekenntnis. Erst 2003 wurde hierzulande in der Präambel zur Kirchenverfassung Bezug auf das Barmer Bekenntnis genommen[13].

Der „anstoß“-Konflikt und nun jener um das Weisungsrecht waren die Anlässe, die die theologischen Gegensätze in der Evangelischen Kirche Österreichs aufbrechen liessen und dazu führten, dass um Kirche, Kirchenleitung und seelsorgerliche Verantwortung des Pfarrers weitum und flächendeckend diskutiert wurde. Von allen Seiten wurden Klärungen von der Generalsynode begehrt, für die zunächst das Thema „Jugend und Kirche“ vorgesehen war. Dazu kamen nun der Konflikt um das Weisungsrecht und eine Aufsichtsbeschwerde, die von Kauer am 4. April 1967 an die Generalsynode gerichtet worden war.

Verhandlungen auf der 6. Generalsynode im April 1967

Den Mitgliedern der Generalsynode gingen vor ihrer 6. und letzten Session eine ganze Reihe von Stellungnahmen zu, u.a. die bereits oben erwähnten, wie von der Evangelischen Akademikerschaft am 31. März 1967. Wie heftig die Diskussion auch um einzelne Personen geführt wurde, zeigt die Predigt, die Guttner am 15. Februar 1967 in Feld am See gehalten hat: Am Kirchenrechtler der Evangelisch-Theologischen Fakultät Prof. Dr. Wilhelm Kühnert liege es, „dass wir noch nicht zum Frieden gekommen sind, weil er nicht klar und deutlich sagt, was nach Schrift und Bekenntnis zu gelten hat“ und was der neue Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Dr. Kurt Scharf vor kurzem gesagt hat, „dass es ein Weisungsrecht im Sinne, wie es in der staatlichen Ordnung bei Beamten zwischen Vorgesetzten und Untergebenen gelte, in der Kirche nicht gebe.“ Deshalb, so Guttner, „müssen andere sprechen und reden. Daß aber andere sprechen müssen, ist ein Notstand.“ Seine Predigt setzt Guttner unter die Überschrift „Predigt im 450. Jubiläumsjahr des Thesenanschlages Martin Luthers, des gelehrten Doktors der heiligen Schrift zu Wittenberg“. Damit sind zwei Motive angeschlagen, die im Folgenden wirksam werden, nämlich die Qualität der Entscheidung und das Notrecht.

Vom 4. bis 7. April 1967 trat die 6. Generalsynode zu ihrer 4. und letzten Session zusammen.
Zunächst befassten sich der Rechts- und Verfassungsausschuss und der Theologische Ausschuss der Generalsynode am 7. April 1967 mit einer Resolution der Generalsynode, für die May einen Text verfaßt hatte. Nebst dem Vorsitzenden Dr. Otto Fischer waren May, Pickel und Sakrausky anwesend, sowie Dr. Körner, Schacht, Dr. Rigele, Dr. Gerhold, Igler, Dr. Kirchbaumer, Dr. Mecenseffy, Pellar, Meier-Schomburg, Traar, Dr. Hans Fischer, Dr. Bousek, Dr. Eder, Prof. Dr. Kühnert, Dr. Scheiderbauer, Wilhelm, Rogler, Dr. Temmel, Dr. Stöckl, Jacquemar, Achberger, Gäbler, Stroh, Guttner, Schaefer, Elicker und Dr. Steckel. Damit waren sowohl der n.ö. Sup.Ausschuß, wie auch die Verfasser des Briefes der oben erwähnten Kärntner Pfarrer vertreten. Diese waren allerdings in der Minderheit, was für die weitere Entwicklung entscheidend werden sollte. Ein inhaltliches Gespräch im Sinne des Eingehens auf Argumente, kam nämlich, folgt man den beiden Protokollen, nur ansatzweise zustande. Der Vorsitzende ließ über Anträge und Gegenanträge zu dem „Wort an die Gemeinden“[14] abstimmen und schloß die Sitzung nach zwei Stunden. Bezeichnend und berührend das wörtlich aufgenommene Votum von Paul Pellar: „Ich bin zutiefst erschüttert, nicht die Gemeinden sind beunruhigt, sondern Menschen werden beunruhigt. Man kann selbstverständlich auch über Bekenntnisse abstimmen, aber dabei werden die Geschlagenen in den Zustand des Getrenntseins versetzt. Solche Ansichten, wie sie hier in diesem Dokument vorliegen, haben Bekenntnis-Charakter.“ Als er im Anschluß seinen Entwurf verliest, wird dazu lakonisch festgestellt: „Der Vorschlag soll wohl gehört, aber im Ausschuß nicht behandelt werden.“
Die Verhandlungen in der Generalsynode verliefen dramatisch, kontrovers und endeten mit einem Mehrheitsbeschluß des schon erwähnten „Wortes an die Gemeinden“. Auf die Debatte im Einzelnen einzugehen, verbietet sich hier.[15] Für das Weitere entscheidend waren die Punkte 7. und 8. des „Wortes“, wo „notfalls auch die Möglichkeit Weisungen zu erteilen und auf deren Erfüllung zu bestehen“, festgehalten wird und „in gewiß seltenen Fällen auch vor dem letzten Mittel jedes seelsorgerlichen Handelns, vor einem deutlichen Ja oder Nein, vor Gebot oder Verbot nicht haltgemacht werden kann.“ Die Mehrheit der geistlichen Amtsträger stimmte für das „Wort“, wohl auch, weil nur auf den Pfarrerkonferenzen der Steiermark und von Kärnten die Frage des Weisungsrechtes behandelt worden war. Viele beklagten deshalb den Druck, unter dem entschieden werden mußte.

Wie starr die Kirchenleitung ihre Position weiter vertreten hat, geht aus dem Protokoll der Superintendentenkonferenz vom 8. und 9. Mai 1967 hervor, wo OKR Sakrausky nochmals (!) darauf hinweist, „dass in sogenannten geistlichen Dingen der kirchliche Vorgesetzte Verbote, Gebote und Weisungen aussprechen kann, die aber an sich nicht rechtsverbindlich sind, sondern erst dann, wenn der Betreffende eine bestehende Ordnung verletzt, er wegen des Verletzens der Ordnung, aber nicht wegen des Ungehorsam gegen das Gebot, ein Verfahren erhält.“ Die oben erwähnte Aufsichtsbeschwerde wurde übrigens glatt abgewiesen mit der Begründung, der Oberkirchenrat habe mit seiner Weisung an den Disziplinarsenat zur Anklageerhebung pflichtgemäß im Rahmen der bestehenden Kirchengesetze gehandelt. Dieser Beschluß ist bis heute nicht aufgehoben worden. Der Verfasser selbst war zu dieser Zeit mit der Durchführung des 2. Ökumenischen Jugendtreffens „rendezvous 67“ in Graz beschäftigt, an dem etwa 600 junge Christen teilgenommen hatten und das mit einem gemeinsamen ökumenischen Wortgottesdienst abgeschlossen wurde. Dieses Treffen harrt auch heute noch der theologischen Aufarbeitung.

AKTION 450

Das „Wort“ der Generalsynode sollte beruhigen und klären, genau das Gegenteil war der Fall: die Diskussion um das Weisungsrecht weitete sich aus. Nach der Synode ging es darum, wie Verantwortung in der Kirche und für die Kirche wahrzunehmen sei, wenn kirchenleitende Organe den Boden von Schrift und Bekenntnis verlassen und wenn sie gegen jedes gesatzte Recht vorgehen. Damit aber ging es, losgelöst vom Anlaßfall, um das Verständnis von Kirche auf dem Boden der Reformation.

Im Oktober 1967 bildete sich erstmals in der Evangelischen Kirche Österreichs eine Partei oder Fraktion, die sich in bewußtem Hinweis auf einen entscheidenden Punkt der Kirchengeschichte, im 450. Jahr des Thesenanschlags Luthers AKTION 450 nannte. Durch den Beschluß der Generalsynode sei die Klarheit über das evangelische Predigtamt und die Mündigkeit des Christen in seiner Bindung an die Heilige Schrift verdunkelt worden. „Er muß daher aufgehoben, geschehene Irrtümer müssen als solche erkannt werden, damit ein neuer geistlicher Anfang geschehen kann. Aus dieser Not“, so der Aufruf, „haben wir uns zusammengeschlossen.“ Als Ziel benennt der Aufruf, „das reformatorische Verständnis von Sinn und Auftrag des Predigtamtes zur Anerkennung zu bringen, das nur in freier Verantwortung der Amtsträger wahrgenommen werden kann, in engem Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit des mündigen Christen heute.“ (Ende Zitat) Nicht weniger als 63 Persönlichkeiten des evangelischen Österreich, darunter 53 Pfarrer schlossen sich dem Gründungsaufruf an.

Als Folge 1 des „Informationsdienstes Aktion 450“ wurde ein Gutachten des Göttinger Theologen Prof. DDr. Ernst Wolf zu dem „Wort an die Gemeinden“ weitergegeben, in dem dieses einer ausführlichen Analyse unterzogen wird. Im Wesentlichen werden dabei die schon von den Kärntner Pfarrern, bzw. von Dantine und Fitzer erhobenen Bedenken aufgenommen und weiter ausgeführt. Ausführlich geht Wolf auf das inzwischen erschienene 172. Amtsbrüderliche Rundschreiben ein und merkt zur These „In Fragen der äußeren Ordnung haben die kirchenleitenden Organe Weisungsrecht. Geistliche und weltliche Amtsträger sind daran gebunden. Übertretungen werden disziplinär geahndet.“ dringenden Klärungsbedarf an. Sein Gutachten schließt Wolf mit den Worten: „Wird diese Klärung nicht vorgenommen, so droht ein Kirchenregiment mit autoritärer Herrschgewalt ähnlich dem unter dem Gesichtspunkt des „Führerprinzips“ versuchten Kirchenregiment des Reichsbischofs im Dritten Reich, auch wenn man das im Grund allem Anschein nach nicht will. Es droht damit zugleich die Entmündigung des Pfarrers, wie der Gemeinde.“

Zur Bildung der Aktion 450 erschienen in dichter Folge eine ganze Reihe von Stellungnahmen, so von Bischof May gleich am 7. November 1967 im 182. Amtsbrüderlichen Rundschreiben, von Armin Scheiderbauer in dieser Zeitschrift im Jänner 1968, in denen die jeweils auf der Generalsynode vertretenen Positionen wiederholt wurden. Fitzer antwortete Scheiderbauer in einem Offenen Brief. In den „Lutherischen Monatsheften“[16], stellte Dantine unter dem Titel „Aktion 450“ die Situation und ihre Gründe dar und sieht die Züge eines autoritären Regimes dort heraufziehen, wo man die Weisungsfreiheit des Pfarrers in seinem Dienst bekämpft.

Brachte dieses „Echo“ auch keine neuen Argumente, so war ein möglicherweise ungewolltes Ergebnis, dass die Information über die Auseinandersetzung und worum es dabei geht, das evangelische Österreich tatsächlich erreicht hat. Der Oberkirchenrat sah sich sogar veranlaßt, „Mitteilungen“ herauszugeben. Nr. 1 machte daher folgerichtig auch mit sieben Zeilen über die „Mitwirkung bei Trauungen konfessioneller Mischehen“ auf…. Gegen diese „Mitteilungen“ äußerte die Aktion 450 schwere Bedenken, vor allem deshalb, weil sie „eine ganz bestimmte Auffassung strittiger Probleme als so einzig richtig den Lesern weitergeben“ und „da sie für den Dienstgebrauch bestimmt sind, bekommen sie den Charakter kirchenamtlicher Verlautbarungen.“

Beendigung und Wirkungen des Konflikts

Mit der Resolution der Reformierten Synode, die Diskussion über den Beschluß der Generalsynode vom 7. April 1967 müsse wieder aufgenommen werden, war klar, dass sich die 7. Generalsynode damit werde befassen müssen und da May seinen vorzeitigen Rücktritt vom Amt erklärt hatte, personalisierte sich die Auseinandersetzung auf die Kandidaten des „progressiven“ und des „rechten“ Flügels der Kirche. Die Aktion 450 zeigte sich überrascht und appellierte, die Sachfragen nicht in den Hintergrund treten zu lassen.

In einer gemeinsamen Sitzung des Rechts- und Verfassungsausschusses und des Theologischen Ausschusses am 16. März 1968, bei der Bischof May den Vorsitz führte (!) und über die nur ein Beschlußprotokoll vorliegt, einigte man sich, Punkt 8) des „Wortes“ mit dem Satz zu ergänzen: „Solche seelsorgerlichen Gewissenappelle vom Wort Gottes her sind nicht rechtsverbindlich, ihre Nichtbeachtung kann daher nicht disziplinär geahndet werden.“

Die 7. Generalsynode trat am 26. März 1968 zu ihrer 1. Session zusammen. Es lagen ihr zur Streitfrage Anträge von fünf Superintendentialversammlungen vor, die Kärntner Superintendentialversammlung beantragte, das ganze „Wort“ der Generalsynode vom 7. April 1967 aufzuheben, eine Neuformulierung dieses „Wortes“ durch Superintendent Achberger lag vor und Kärnten und Steiermark beantragten, auch das Weisungsrecht in Verwaltungsangelegenheiten zu klären. Die Aktion 450 nahm zu den Anträgen in Nr. 7 ihres Informationsdienstes Stellung und wendete sich gegen eine „Radikalkur“: „Es würden damit wichtige Gedanken, wie der Schutz der geistlichen Freiheit und Verantwortlichkeit aller Glieder der Kirche, also auch der weltlichen (Punkt 2), beseitigt, die Aufhebung des Punktes 5 würde die Presbyter entmächtigen und entmündigen“.(Ende Zitat) Achbergers Entwurf wurde als kluge Verbesserung gesehen, Punkt 8 des „Wortes“ sollte um die Formulierung erweitert werden, dass das Aufsichtsrecht nicht beinhalte, im Einzelfall dem Pfarrer Befehle oder Verbote zu erteilen.

Über die Verhandlungen auf der 1. Session der 7. Generalsynode liegt ein Protokollauszug vor, der ebenfalls im Kirchenamt erhältlich ist, so dass hier nur das Ergebnis zu berichten ist. Der Punkt 8 des „Wortes“ wurde dem Antrag von Rechts- und Verfassungsausschuss und des Theologischen Ausschuss entsprechend ergänzt. „Damit“, so die Aktion 450 in Nr. 8 ihres Informationsdienstes vom Mai 1968, „ist in Fragen der Verkündigung und Seelsorge geklärt, dass es im geistlichen Sinn keine rechtsverbindlichen Vorschriften und Befehle geben kann, sondern die Bindung an Schrift und Bekenntnis die Kontrolle darstellt, unter der wir stehen.“ Der Informationsdienst wurde mit dieser Nr. 8 eingestellt. Fitzer und Johannes Dantine, der die Vervielfältigung übernommen hatte, schliessen mit den Worten: „Wir, die wir durch die Ereignisse gedrängt wurden zu beraten, zu sprechen und zu schreiben, sind dankbar für die Gemeinschaft, die wir erleben durften – sie zeigte uns den Geist der Brüderlichkeit und des Einstehens füreinander bei sachlichen Fragen. Wir danken allen für jede Mitarbeit, besonders aber den Achtzig, die mit ihrem Namen für die Sache eingetreten sind.“

In seinem 190. Amtsbrüderlichen Rundschreiben vom 29. April 1968 beginnt May seine „Nachlese zur Synode“ mit den Worten: „Die Massenmedien entdeckten unsere Kirche“ und sieht als Grund dafür „die viele Monate dauernde Kampagne gegen Kirchenleitung und Disziplinarbehörden und dann die von den Zeitungen vergröbert und entstellt wiedergegebene Aktion 450.“ Nach seiner Medienschelte hebt aber May zwei Berichte als objektiv und sachlich hervor, nämlich den von Univ.Prof. Dr. Dantine in der Furche vom 6.April und jenen von Ulrich Trinks in der Kleinen Zeitung vom 3. April. May schließt seine Nachlese damit, dass „nun die Bahn für weitere Gespräche und, was wohl wichtiger ist, für unbelastete gemeinsame Arbeit in der Kirche geschaffen ist.“ Die Superintendentenkonferenz am 20. und 21. Mai 1968 behandelte „Folgerungen aus der Generalsynode“. Im Protokoll findet sich unter Punkt 21. a) die Feststellung: „Überraschenderweise wurde aus der allgemeinen Annahme des Wortes der Generalsynode vom März 1967 von der Presse keine Sensation gemacht. Daraus ist zu schließen, daß die Presse mit Vorliebe nur das berichtet, was abträglich ist. Nach Meinung der Superintendenten ist das allgemein so und nicht nur auf die Evangelische Kirche bezogen.“

Im Amtsblatt wurde der Beschluß der Generalsynode nicht kundgemacht. Sein Inhalt wurde erst im Zuge der Totalredaktion der Kirchenverfassung in Art. 22 als Abs. 4 aufgenommen und so von der 12. Generalsynode 2005 beschlossen[17].

Zu Ökumenischen Trauungen wurde bei der Superintendentenkonferenz am 23. und 24. September 1968 in Villach festgestellt, daß bisher zehn solcher Trauungen in Innsbruck stattgefunden hätten. In der sich daraus ergebenden Diskussion wird vor allem betont, daß das Elternrecht gewahrt werden müsse. Da der Erlaß des Oberkirchenrates[18], der die Teilnahme an solchen Trauungen verbietet, im Amtsblatt nicht veröffentlicht worden war, wurde vom Innsbrucker Pfarrer Jonischkeit dessen Gültigkeit angezweifelt. Superintendent Sturm entgegnete, dass die Innsbrucker Trauungen keineswegs unter den genannten Erlaß fallen und als sich die Frage erhebt, was in dem Falle zu geschehen habe, wenn Pfarrer. Jonischkeit die Reihe dieser Trauungen fortsetzt, wurde festgestellt, daß für Jonischkeit kein anderes Recht gelten kann, als es für Pfarrer. Kauer gegolten hat.

Nach ziemlich genau zweieinhalb Jahren war mit dem Beschluß der 7. Generalsynode die Auseinandersetzung um die Weisungsfreiheit beendet worden. Bewältigt war der Konflikt noch lange nicht. Für die Kirchenleitung, insbesondere dem auf der März-Session im 19. Wahlgang gewählten Bischof Oskar Sakrausky, blieb ein tiefes Mißtrauen gegen die Fakultät und die von ihr Ausgebildeten zurück. Nach Versuchen, mehr Einfluß zu gewinnen (Stichwort: Fragerecht des Oberkirchenrates bei den Prüfungen), suchte und fand Sakrausky strenggläubige Männer, Absolventen der F.E.T.A., der Freien Evangelischen Theologischen Akademie in Basel, die nun auf Pfarrstellen in der Evangelischen Kirche Österreichs berufen wurden. Bis heute (Stichworte: Debatte um die Homosexualität, Superintendentenwahl Oberösterreich) ergeben sich aus dieser Berufungspolitik Konflikte. Mehr als zwei Dutzend junge österreichische Theologinnen und Theologen wurden entweder nicht übernommen oder brutal entfernt: Stichworte: Gottfried Stritar, dann Dekan von Traunstein in der Bayerischen Lutherischen Kirche, oder Dieter Kelp, Pfarrer in der Rheinischen Kirche. Die Wolf’schen Befürchtungen erwiesen sich als prophetisch, wie die Zahl der Disziplinarverfahren in der Ära Sakrausky beweist.

Beide Konflikte, der um den „anstoß“ und jener um das Weisungsrecht hatten aber auch positive Effekte. Für eine jüngere Generation waren die Verhandlungen um eine neue Ordnung des Jugendwerks und die Auseinandersetzungen um den „anstoß“ ein Prozeß, in dem ihnen die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen bewußt wurden und sie zugleich, dank des Engagements von Wilhelm Dantine und Gottfried Fitzer, diesen großen Lehrern unserer Kirche, die theologischen Fragen erkennen konnten. Für ihre weitere Arbeit in der Kirche war das ohne Zweifel prägend.

Der Konflikt um das Weisungsrecht führte dazu, dass eine entscheidende und grundsätzliche theologische Frage in der ganzen Kirche behandelt worden ist, vergleichbar nur mit der Auseinandersetzung in den deutschen Landeskirchen in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Dabei ist hier der Vorgang an sich und nicht so sehr das Ergebnis wichtig gewesen. Das gilt auch und besonders für die Behandlung der Frage in den Synoden, die damit auch erstmals eine theologische Richtungsentscheidung getroffen haben, wenn auch erst im zweiten Anlauf und mit einiger Mühe, aber doch.

Bleibt zum Schluß nur noch, dem Ehepaar Traute und Hans Redl in Bad Vöslau zu ihrem 40. Hochzeitstag am 2. Oktober von Herzen zu gratulieren.

Von Robert Kauer

MMag. Robert Kauer ist juristischer Oberkirchenrat im Evangelischen Kirchenamt A.B. in Wien


Anmerkungen

[1] Österreichisches Jahrbuch für Politik 1977, S.153 ff.

[2] Österr. Jahrb. f. Politik 1979, S.121-152.

[3] Jahrbuch f. d. Gesch. d. Prot i. Ö., 96/1980, Heft 4, S. 423-427.

[4] Heft 8-9, S. 170 ff.: Karl Schwarz „Der österreichische Protestantismus im politischen Diskurs des 20. Jahrhunderts“.

[5] Karner – Kauer: „Cabaret Clerikal“, Edition Atelier, Wien 1998, S. 286 ff.

[6] Robert Kauer: „Prinzipielle Weisungsungebundenheit eines evangelischen Pfarrers“, Wien 1966.

[7] AaO., S.III.

[8] Kathpress am 18.8.1965 Nr.190, S. 3.

[9] Innsbruck 1969, S. 110.

[10] Darüber und über die vorab erfolgte Information des lutherischen Superintendenten Mauer gibt das Manuskript, das in Kopie und auf CD beim Verfasser erhältlich ist.

[11] Die Datenübersicht im Manuskript S. 8 ff. gibt Auskunft über den Ablauf der Ereignisse und über das Echo in der Presse, das die ökumenische Trauung und die Reaktion darauf hervorgerufen hat.

[12] Die Unterlagen über diese Disziplinarverfahren sind vom Verfasser freigegeben und seinem Personalakt angeschlossen worden.

[13] Siehe dazu ABl.Nr.241/2003 und den Motivenbericht dazu auf S.139 ff.

[14] Siehe. ABl. 1967, 4. Stück, S. 28.

[15] Der „Auszug aus dem Protokoll der 4. Session der 6. Generalsynode“ ist nach wie vor beim Kirchenamt erhältlich.

[16] Lutherische Monatshefte, Januar 1968, S. 21-27.

[17] ABl.Nr.136/2005, S. 114.

[18] Zl.9968/65 vom 25. November 1965.