Die Einrichtung des Predigerseminars innerhalb der Evangelischen Kirche in Österreich war seit 1940 zwar eine beschlossene, aber doch umstrittene und schwer durchzuführende Unternehmung. In Analogie zu den Predigerseminaren der evangelischen Kirchen in Deutschland wurde bereits am 27. August 1940 vom Oberkirchenrat „in Übereinstimmung mit den Synodalausschüssen (…) die (…) bewährte Einrichtung des Predigerseminars auch für unsere Kirche gesetzlich eingeführt.“ So nachzulesen im Protokoll der 3. Session der 6. Synode A.B. am 15.11.1965, S. 8. Da aber das NS-Regime die Abhaltung einer Synode verbot, konnte diese provisorische kirchliche Verfügung nie umgesetzt werden. Erst die Generalsynode 1949 befasste sich erneut im Zuge der Verhandlungen über die Ordnung des geistlichen Amtes (OdgA) mit der Einrichtung eines Predigerseminars. Doch wurden auf Antrag von reformierter Seite die Worte „dem zu errichtenden Predigerseminar der Landeskirche“ gestrichen.

Dennoch verschwand das Thema nie ganz aus den Beratungen und Diskussionen. Dafür sorgten schon die Klagen der Lehrvikare (a.a.O., 11): „Die meisten Lehrpfarrer führten sie nicht richtig ins Amt ein; sie seien sich selbst überlassen, würden mit Arbeit überlastet und verheizt. In dieser Sorge waren sich Lehrvikare und Kirchenleitung einig.“ Der Problematik der innerkirchlichen Ausbildung konnte man nur dadurch Herr werden, wenn die Ausbildung aus einem Lehrvikariat – eben aus einer Ausbildungsphase an der Seite eines Lehrpfarrers – und (!) einer Art Reflexionsphase in einem externen Institut bestehen sollte; doch dies benötigte die Einrichtung einer eigenen Ausbildungsstätte. Zwischendurch wurde sogar überlegt, mehrere Lehrvikare auf Zeit bei einem bewährten Lehrpfarrer zusammenzuziehen. Dieser Vorschlag erschien aber undurchführbar, weil diese Lehrpfarrer dann kaum mehr Zeit für ihre Pfarramtsarbeit hätten, die Vikare nur schwer unterzubringen gewesen wären und es schließlich drei oder vier kleine „Predigerseminare“ in der ohnehin überschaubaren österreichischen Kirche gegeben hätte.

Im Zuge der Erörterungen über die Vorlage der OdgA an die Generalsynode 1949 hielten es die Lutheraner aber sogar für möglich, dass ein Lehrvikar auch ein Predigerseminar im Ausland besuchte, solange kein österreichisches vorhanden sei, und (!) zusätzlich im eigenen Land das Lehrvikariat absolvierte.

Eine Art Initialzündung ergab sich 1963 mit dem Angebot der inneren Mission, das neue Predigerseminar im Altersheim Hinterbrühl aufzunehmen. „Ausländische Spender wurden dafür interessiert und stellten in kurzer Zeit rund eine halbe Million Schilling zur Verfügung“ (ebd.). Doch es scheiterte an der Wohnungsfrage für den Leiter und an der Person desselben. Erst als der Kirche das frei gewordene Mädchenheim in Purkersdorf angeboten wurde und in Pfarrer Herwig Karzel eine neue, geeignete Person für die Leitung des Predigerseminars gefunden schien, nahm das Projekt konkrete Formen an. So wurde bei der Synode A.B. 1965 festgestellt (a.a.O., 13): „Weil die Klagen der Lehrvikare berechtigt erschienen und sich gerade in diesem Augenblick die Möglichkeit für die Verwirklichung des Predigerseminars bot, wäre es eine schuldhafte Versäumnis gewesen, wenn die Kirchenleitung nicht gehandelt hätte.“

Pfarrer Mag. Herwig Karzel
Pfarrer Mag. Herwig Karzel

Pfarrer Mag. Herwig Karzel hatte ab 1.1.1966 als der erste Rektor des neuen Instituts auch die Aufgabe, die inhaltliche Ausrichtung zu gewährleisten. Er betonte bereits 1965: „Wir brauchen ein Predigerseminar als Überleitung vom Studium zum Amt. Es dient der systematischen Verarbeitung der im Pfarramt gestellten Aufgaben. Sie sind durch die besondere Lage der österreichischen Diaspora und den Wandlungsprozess der Gesellschaft bestimmt. Lehrvikariat und Predigerseminar müssen dabei einander ergänzen. Darum wurde die Lehrpfarrerkonferenz ins Leben gerufen. Die Ausbildung geschieht durch Vertiefung und Festigung biblischer Erkenntnisse, durch praktische Übungen in gemeinsamer Arbeit, gemeinsamem Leben und gemeinsamem Gottesdienst.“

Die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden im April 1967 in der 4. Session der 6. Generalsynode dadurch geschaffen, dass für das Predigerseminar Satzungen beschlossen wurden, in denen Aufsicht und Verwaltung dem Oberkirchenrat A.B. zugeordnet wurden, dieser aber ein Kuratorium zur Seite gestellt bekam, um gemeinsam allgemeine Richtlinien für den Lehr- und Studierbetrieb zu erstellen.

Ein knappes Jahr später im März 1968 hat Rektor Karzel durchaus optimistisch vor der Generalsynode erste Bilanz gezogen (Auszug aus dem Protokoll, S. 36): Ein Kurssystem – dem heutigen schon ähnlich – habe sich herauskristallisiert. Die Studienbibliothek sei auf 3000 Bände angewachsen. „Der Arbeitsstil gründet sich auf das partnerschaftliche Denken. Jeder wird in seinen Aussagen persönlich ernst genommen, auch wenn er sich ungeschickt ausdrückt. Exemplarische Übungen werden durchgeführt, grundsätzliche Fragenkomplexe durch Referenten angeboten und unmittelbare Begegnungen vermittelt. Besonders lehrreich sind die jährlichen Studienfahrten.“

Herwig Karzel verschweigt auch nicht, dass es Schwierigkeiten gibt: „Skepsis gegenüber der Einrichtung selbst, die sehr unterschiedlichen Begabungen der Besucher und nicht zuletzt das Problem der verheirateten Vikare.“ Doch er schließt versöhnlich: „Die ermutigende Erfahrung ist die, dass die junge Generation zur Zusammenarbeit bereit ist; auch bei ganz verschiedenen theologischen Positionen hört man auf den anderen.“

Neben dem Hauptaufgabengebiet der Begleitung der Lehrvikare wurde in Purkersdorf vom 8. bis 19. Juli 1968 – also in der Ferienzeit – das erste österreichische Pastoralkolleg abgehalten. Thematisch war dieses Pastoralkolleg als Gang durch die Vielfalt der theologischen Disziplinen konzipiert, sodass mehrere Referenten den Teilnehmenden Einblicke zu ganz unterschiedlichen Fachbereichen anboten. Es nahmen daran aber nur 6 Pfarrer teil, obwohl sich insgesamt 11 angemeldet hatten. Rektor Karzel schrieb dazu in seinem Bericht vom 22.9.1968: „Es kann als geglückter Versuch bezeichnet werden.“ Ihm war wichtig, weiterhin allen Pfarrern freizustellen, sich anzumelden. Leider hatte er nicht mit Abmeldungen gerechnet. Diese waren auch dem Oberkirchenrat nicht entgangen, sodass bei einem Gespräch mit Rektor Karzel hierzu doch etwas Unmut aufkam. Deshalb wurde von Bischof Sakrausky angeregt, für den Besuch eines Pastoralkollegs im Amtsblatt zu werben. Schon das nächste Pastoralkolleg mit dem Titel „Seelsorge am heutigen Menschen“ sollte ein zündendes Thema haben und während der Schulzeit vom 17. bis 27. Februar 1969 mit der Möglichkeit auf Freistellung vom Religionsunterricht abgehalten werden.

Rektor Herwig Karzel hatte das Schiff „Predigerseminar“ mit großem Einsatz auf Kurs gebracht. Immer wieder wurde der Wert seiner Arbeit betont. Gleichzeitig verstummten jedoch jene Stimmen von Seiten der Lehrpfarrer nicht, die diesem Unternehmen kritisch gegenüber standen. Anfang der 70er Jahre wurde auf der 3. Session der 7. Generalsynode (siehe dazu Auszug aus dem Protokoll S. 68ff.) heiß darum gerungen, ob das Predigerseminar weitergeführt oder geschlossen werden solle. Zwei Anträge aus den Superintendentialversammlungen Wien und Salzburg/Tirol wollten das Predigerseminar in seiner Form erhalten, zuvor hatten aber der Synodalausschuss A.B. knapp und die Synodalausschüsse A.B. und H.B. mit großer Mehrheit die Ablehnung ausgesprochen. Unklar war offensichtlich in weiten Kreisen der Pfarrer/innen/schaft die Ausrichtung der Arbeit des Predigerseminars. Erst einige beherzte Wortmeldungen und die abschließende Bitte von Prof. Wilhelm Dantine an die Synode „um ihr Ja zum Experiment des Predigerseminars“ (a.a.O., S. 70) brachten die Delegierten dazu, sich bis auf eine Stimmenthaltung zur Fortführung zu entschließen.

Eine kleine Episode brachte im Jahr 1973 erneut Unruhe in die Arbeit des Hauses in Purkersdorf. Durch den geplanten Neubau des Theologenheims war am 27. März 1973 von der Synode A.B. beschlossen worden, im Zuge dessen auch das Predigerseminar in das Areal in der Blumengasse 4-6 im 18. Wiener Gemeindebezirk zu verlegen. Doch diesmal verhalf das Wiener Baumschutzgesetz dem Predigerseminar dazu, den Standort zu behalten: Es durfte nicht so groß geplant und gebaut werden, dass neben dem Theologenheim auch das Predigerseminar im selben Gebäudekomplex Platz hätte finden können. So blieb alles beim Alten.

In geordneten Bahnen

Pfarrer Mag. Werner Wehrenfennig
Pfarrer Mag. Werner Wehrenfennig

Nach Herwig Karzel übernahm am 1.9.1980 Pfarrer Mag. Werner Wehrenfennig die Rektorenstelle in Purkersdorf. Mit ihm wurden die Arbeitsbereiche des Predigerseminars weiter konsolidiert. Das Auf und Ab der Pionierphase wich dem klaren Kurs in geordneten Bahnen. So wurde das Pastoralkolleg als eigener Zweig ausgebaut und etablierte sich als feste Form der Pfarrer/innen/fortbildung. Gab es anfänglich nur ein Angebot pro Jahr, so wurde dieses ab 1984 verdoppelt und entweder in Zusammenarbeit mit der Wiener Fakultät oder auch workshop-artig als Eigenproduktion gestaltet. Alle sechs Jahre wurde der/die Pfarrer/in einberufen und hatte die Möglichkeit, abseits von Gemeinde und Kanzel sich wieder auf theologische Themen zu besinnen.

Rektor Wehrenfennig hatte auch ein gutes Gespür als Verwalter des großen Gebäudekomplexes mit Keller und Kirche und Grundstück. Unermüdlich sahen ihn die Lehrvikarinnen und Lehrvikare in freien Stunden selber Hand anlegen, um hier etwas zu erneuern und da etwas auszubessern.

In die Amtszeit von Werner Wehrenfennig fällt auch die Phase der geburtenstarken Jahrgänge, die ihr Studium absolviert hatten und nun in der Kirche auf Ausbildungs- und Arbeitsplätze hofften. Im größten Kurs mit 22 Lehrvikarinnen und Lehrvikare hatte 1984/85 auch das Haus in Purkersdorf beinahe seine Grenzen erreicht.

Rektor Wehrenfennig bemühte sich aber auch in Verbindung mit der Kirchenleitung, der beschlossenen zeitlichen Ausweitung des Lehrvikariats auf weit mehr als zwei Jahren etwas Sinnvolles abzugewinnen. In seinem Grundsatz-Papier „Zur Ausbildung“ von 1987 versuchte er, seine Überlegungen zu den Ausbildungsfragen zu verdichten. Dabei war er um den Brückenschlag vom Praxisbezug während des Studiums über das Lehrvikariat und die Predigtamtskandidat/inn/enzeit bis hin zum Examen pro ministerio bemüht. Seine Erfahrung als Leiter des Predigerseminars machte ihn dann auch zu einem wichtigen Gesprächspartner für Kirchenleitung und Lehrvikarinnen und Lehrvikare. Ihm war daran gelegen, Dubletten in den beiden Prüfungen (Fakultät – Kirche) zu vermeiden, die Examensteile für die Amtsprüfung stärker an die Gemeinde zurückzubinden und zeitlich zu staffeln. Viele seiner Ideen sind heute Standard im Ausbildungskanon.

Zudem hatte Werner Wehrenfennig auch den Wunsch, dass künftige Lehrpfarrer/innen vor der erstmaligen Übernahme eines Lehrvikars oder einer Lehrvikarin eine mehrtägige Einführung erhalten sollten. Man mag dahinter den alten Konflikt der 1960er Jahre vermuten, der Sache nach ist dieser Wunsch bis heute gerechtfertigt und zu beachten.

Über seine lange Amtszeit von 1980 bis 1997 und die darin gewonnenen Erkenntnisse schreibt Rektor Wehrenfennig (Jahresbericht 1996, S. 3): „Es war mir immer sehr daran gelegen, im Kursgeschehen die Möglichkeit zu bieten und zu nutzen, gleichwie ein Maler von der Staffelei des Gemeindealltags zurückzutreten, um Zeit zum Ordnen und Nachdenken zu haben. (…) Der geschützte Raum mit den Kollegen sollte die Möglichkeit bieten, einmal noch ehrlicher – nicht unbarmherzig – an Gelingen und Misslingen heranzugehen.“

Neue Impulse und starke Umbrüche

Mit Dr. Gerold Lehner kommt 1997 ein junger, dynamischer Theologe in die Leitung des Predigerseminars. Rektor Lehner versteht es, den Schatz des Predigerseminars auf ganz neue Weise den Teilnehmenden zu eröffnen. Als ein Schatz zeigt sich beispielsweise die seit über 30 Jahren gut sortierte Bibliothek des Hauses. Rektor Lehner, selbst ein begeisterter Sammler bibliophiler Kostbarkeiten und Besitzer einer großen Bibliothek, versteht es, die Bibliothek des Hauses zu erweitern und vor allem um die Sparte der expandierenden kybernetischen Literatur auszubauen. Ebenso entstehen mit der Zeit für jeden Kurs Reader und Exzerpte wichtiger theologischer Positionen. Ein besonderes Anliegen ist für Gerold Lehner die Arbeit am Gottesdienst. So ergibt sich naturgemäß auch eine verstärkte Brücke zur Lektorenausbildung, die seit vielen Jahren im Haus in Purkersdorf ein Zuhause gefunden hatte.

Ein weiteres Thema, das sich gegen Ende der 1990er Jahre wieder auf die Tagesordnungen der Predigerseminare zurückmeldet, ist der Umgang mit Spiritualität und persönlicher Frömmigkeit im Zuge von Ausbildung und späterer Pfarrtätigkeit. Schon in seinem Bewerbungskonzept schreibt deshalb Gerold Lehner: „Ich halte es für ein echtes Defizit unserer Kirche und unseres Ausbildungsweges, dass in ihr kaum ein Gespräch über die eigene Spiritualität stattfindet. Die eigene Spiritualität gehört zu den am stärksten verdrängten und vernachlässigten Realitäten unter Pfarrern. (…) Eine im Predigerseminar bereits vorhandene und gute Übung stellt die tägliche Morgenandacht dar. Ich halte sie für unverzichtbar. Sie ist mit ihrer einfachen liturgischen Gestaltung ein Gegenpol zur intellektuellen Herausforderung und zugleich eine tragende Basis, die davor bewahrt, das eigene gottesdienstliche Tun als Leistung misszuverstehen. Darüber hinaus könnte ich mir vorstellen, dass ein Punkt in dieser Hinsicht die gemeinsame Lektüre klassischer Texte zur Spiritualität – aus allen Frömmigkeitsbereichen – wäre. (…) Damit soll ein offener, nüchterner Austausch über die eigene Spiritualität und Frömmigkeit erreicht werden. Auch die Frage nach der Spiritualität im Amt, in der Gemeinde, sollte zur Sprache kommen.“ Und Lehner beendet in seinem Konzept diesen Abschnitt mit dem programmatischen Satz: „Spiritualität so verstanden ist schlicht Gestaltwerdung des Glaubens in seinen sichtbaren und weniger sichtbaren Dimensionen. Auf diese Gestaltwerdung kann allerdings nicht verzichtet werden (…).“

Ein neuer Gedanke, der sich im Zuge der Umwälzungen des Lehrvikariats in jenen Jahren ebenfalls aufdrängt, ist die Begleitung der jungen Pfarrerinnen und Pfarrer in den ersten Amtsjahren. Auch hier hat Rektor Lehner schon in seinem Konzept von Jänner 1997 die wegweisende Idee, „ob es nicht sinnvoll wäre, am Ende der dreijährigen Ausbildung, am ehesten nach der Ordination, eine Einkehrwoche anzubieten. In dieser Woche, die ganz anders zu strukturieren wäre als die Kurse, könnte, völlig abgekoppelt von aller Beurteilung, eine intensive Supervision, psychologische und geistliche Selbstprüfung stattfinden. Mit ausgewählten Seelsorgern und Fachleuten sollten, in Blick auf das beginnende Amt und das Leben als Pfarrer, Gespräche über Stärken, Schwächen und neuralgische Punkte in Bezug auf die eigene Person stattfinden. (…) So könnte ich mir vorstellen, die größten Konflikte und Enttäuschungen ebenso wie die positivsten Erlebnisse und Leistungen seelsorgerlich für Person und Amt fruchtbar zu machen. Diese Woche wäre als Seelsorge an den Seelsorgern zu verstehen und hätte für die Ordinierten verpflichtenden Charakter.“

Was die Arbeit an den Pastoralkollegs betrifft, so konnte Gerold Lehner umsetzen, was schon Herwig Karzel mit dem Prinzip „Freiwilligkeit“ im Jahre 1968 angedacht hatte: Jede Pfarrerin und jeder Pfarrer sollte nach beruflichen Möglichkeiten und persönlichen Motiven aus den Angeboten an Pastoralkollegs frei wählen. Dazu erstellte Rektor Lehner ein Heft mit angebotenen Pastoralkollegs für die jeweils kommenden zwei, drei Jahre. Dadurch mussten sich jedoch die einzelnen Kollegs gewissermaßen auf dem „freien Markt“ bewähren. Das hatte bisweilen seine Tücken, etwa wenn ein Pastoralkolleg weniger Zuspruch erhielt und deshalb abgesagt werden musste. Solange man im eigenen Haus in Purkersdorf war, hatte dies jedoch keinen besonders nachteiligen Effekt. Das änderte sich allerdings in den folgenden Jahren deutlich.

Denn – hatte es Rektor Wehrenfennig noch anfänglich mit sehr großen Gruppen von Lehrvikarinnen und Lehrvikaren zu tun, so wurden die Ausbildungseinheiten durch notwendige Einsparungsmaßnahmen im Personalbereich und eine klare Reglementierung kleiner. Und als eine weitere Möglichkeit, etwas einzusparen, wurde ab 1999 verstärkt wieder über die Schließung des Hauses in Purkersdorf nachgedacht. Der damalige Vikarsjahrgang mühte sich mit Rektor Lehner vergeblich um eine Umkehr der Stimmung. Schließlich schien es aber wirtschaftlich sinnvoller, das Haus in Wien 18, Severin-Schreiber-Gasse 1, einst Frauenschule für kirchlichen und sozialen Dienst mit ihren Studierendenwohneinheiten – damals schon umgewandelt in die Evangelisch-religionspädagogische Akademie – zu adaptieren und mit dem Gebäude der Kirchenleitung in der Severin-Schreiber-Gasse 3 durch einen Zwischentrakt zu verbinden. Die so entstandenen Seminarräume, die Zimmer im Dachgeschoß und der neu errichtete Mitteltrakt mit Bibliothek, Kapelle und Sitzungsraum sollten auch für das Predigerseminar eine neue Heimat ergeben. Der Rektor würde mit seiner Familie in einer Wohnung des Hauses, Blumengasse 4, Platz finden.

Schweren Herzens wurde dieser Plan auch von Rektor Lehner umgesetzt. Mit dem Ausbildungsjahrgang 2001/2002 ging das Predigerseminar in eine neue Phase seiner Existenz. Anstelle von Abgeschiedenheit im angrenzenden Wienerwald in Purkersdorf war nach der erfolgten Übersiedlung nun Nähe gleich zu mehreren Instituten und Einrichtungen angesagt: Das neue Evangelische Zentrum beherbergte neben ERPA und ERPI auch den Verwaltungstrakt der Kirchenleitung. Zusätzlich wurden die verschiedenen Bibliotheken dieser Einrichtungen zusammengeführt und im Kellertrakt des neuen Verbindungsbaues vereinigt. Das hatte Synergieeffekte, führte aber auch dazu, dass das Predigerseminar den Arbeitsbereich „Pastoralkolleg“ nur mehr in externen Bildungshäusern durchführen konnte; für die Abhaltung im Evangelischen Zentrum war die Zimmer-Kapazität nicht mehr gegeben. Kein eigenes Haus – bei aller Finanzierungs- und Instandhaltungsproblematik – mehr zu haben, war für das Predigerseminar ein schmerzlicher Verlust, den es aber in jener Zeit mit Predigerseminaren in deutschen Landskirchen teilen konnte.

An dieser Stelle ist auch der Ort, darauf hinzuweisen, dass in all den Jahren bis heute die Rektoren des österreichischen Predigerseminars in regem Austausch mit den Leitenden anderer Predigerseminare standen. Die jährlichen internationalen Konferenzen boten die Gelegenheit, Ausbildungsfragen und Konzepte gemeinsam zu diskutieren, Standards zu vergleichen und einander Hilfestellung zu geben. So kann es etwa durchaus hilfreich sein, vom langjährigen Vertreter für innerkirchliche Ausbildung in der deutschsprachigen Schweiz, Pfarrer Hansruedi Pfister, zu hören, dass die dortige Reformierte Kirche einen ähnlichen flexiblen Weg gewählt hatte und ohne eigenes Haus zu durchaus positiven Zielen gelangte.

Wandel und Kontinuität

Rektor Gerold Lehner wurde im Herbst 2005 – wie schon 25 Jahre zuvor Herwig Karzel – zum Superintendenten von Oberösterreich gewählt. Sein Nachfolger in der Leitung des Predigerseminars wurde Pfr. Dr. Gerhard Harkam.

40 Jahre nach dem offiziellen Beginn des „Experiments Predigerseminar“ präsentiert sich die Unternehmung als das etablierte innerkirchliche Aus- und Fortbildungsinstitut für Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich. Die Kursgruppen der Lehrvikarinnen und Lehrvikare schwanken zwischen 4 und 9 Personen, die mit den Möglichkeiten, die im Evangelischen Zentrum vorzufinden sind, bestens auskommen. Purkersdorf ist zwar nicht vergessen, aber es ist Teil der Geschichte geworden.

Die Fortbildungsschiene „Pastoralkolleg“ hat den mittlerweile seit Jahren eingeschlagenen Kurs fortgesetzt und erweitert. Pro Jahr gibt es etwa vier bis fünf spezifische Angebote, aus denen die Pfarrerinnen und Pfarrer wählen können. Besonders hervorzuheben ist auch, dass der ursprüngliche Zweck eines Pastoralkollegs, nämlich eine Art „Auszeit“ zur persönlichen Reflexion über Amt und Person zu sein, immer wieder mit spezifischen Angeboten ermöglicht wird. Als Beispiele könnten hierbei etwa dienen: „Sprechen Sie Österreichisch?“ Ein Pastoralkolleg speziell für ausländische Pfarrerinnen und Pfarrer, die durch Fünf-Jahres-Verträge in Österreich auf Zeit arbeiten – oder: „In der Zielgeraden. Die Amtszeit zwischen 50 und 60 sinnvoll nützen.“ Ein Pastoralkolleg für jene, die schon am Horizont den Gedanken an die Pension erkennen können, aber noch etliche Jahre bis dahin haben.

Von Gerhard Harkam