„Die Evangelische Kirche A.u.H.B. in Österreich schließt die Evangelische Kirche A.B. und die Evangelische Kirche H.B. auf dem Boden Österreichs zusammen zu brüderlichem Dienst aneinander, zu gemeinsamen Handeln der Liebe und zu gemeinsamer Verwaltung. Beide Kirchen, durch Gott zusammengeführt in ihrer Geschichte, sind einig in der Bindung an den Weg der Väter der Reformation, vor allem in der Erkenntnis, daß allein in Jesus Christus Heil ist, dargeboten von Gott allein aus Gnaden und empfangen allein durch den Glauben …“ (Auszug aus der Präambel der KV)

In grundsätzlichen Erklärungen in beiden Kirchen findet diese positiv erlebte Gemeinschaft immer wieder ihren originellen Ausdruck:
„in ihr (=dieser Gemeinschaft) leben Lutheraner und Reformierte „unvermischt und ungeschieden“ – um eine altchristliche Formel zu gebrauchen – in gegenseitiger Achtung und vielfacher Tätigkeit verbunden nebeneinander und miteinander.“ (Bischof A.B.G. May 1964)

„Um ein etwas gewagtes Bild zu suchen: die Helvetier und die Augsburgischen sind im österr. Kirchenrecht gewissermaßen siamesische Zwillinge; an einer bestimmten Seite ihrer Körperlichkeit sind sie schon zusammengewachsen, aber mit Armen und Beinen können sie noch getrennt zappeln und mit ihren Köpfen auch noch getrennt reden, nicken oder Nein sagen. Es besteht aber die Hoffnung auf das Naturwunder, daß die siamesischen Zwillinge noch weiter zusammenwachsen.“ (Prof. A. Stein 1979)

„..drängt sich ja ein Vergleich auf: in der Ehe gibt es eine sinnvolle „Zweisamkeit“, wo die Einheit von Mann und Frau die Verschiedenheit der beiden nicht auslöscht, sondern ihr gerade den Sinn gibt. Ist die Zusammengehörigkeit der Kirche A.B. und der Kirche H.B. nicht auch eine „Zweisamkeit“, die die Verschiedenheit der Partner sinnvoll erscheinen läßt? Diese Partnerschaft schließt freilich das kritische Wort nicht aus…“ (Kurt Lüthi 1968)

„gesamtreformatorischer Humus“ (Karner 1984)

Das Verhältnis der Kirche A.B. zur Kirche H.B. erinnert in gewisser Weise an ein altes Ehepaar. Denn für alte Ehepaare ist doch typisch, daß bei ihnen Herzlichkeit herrscht, alles wohlgeordnet ist – man denke nur an unsere dynamische „Eheurkunde“, die Kirchenverfassung – und es sich längst eingespielt hat, wie man Konflikte löst. (Karner 1986)

„Wir grüßen die Brüder und Schwestern der Evang. Kirche A.B. als unsere treuen Weggenossen..“ (LSI Gynenge 1981)

Natürlich werden die Möglichkeiten des Zusammenlebens auch kritisch gesehen und, wenn es der Anlaß erfordert, pflegt sich das reformierte Selbst- und Sendungsbewußtsein ungeniert und kämpferisch auszudrücken:
„Es wird bei weiteren Vorstößen (Lithurgie, Abendmahlsauffassung, Beichte usw.) nicht leicht sein, daß JAKOB bei ESAU wohnen kann.“ (Grete Mecenseffy 1962)

„.. daß wir nicht ein Annex, ein Hinterstübchen des österreichischen Protestantismus sind, sondern die Vertreter einer Weltkirche in Österreich.“ (Johann Karl Egli 1931)

„Die Evangelische Kirche H.B. ist also nicht ein reformiertes Wimmerl am makellosen lutherischen Leib, sondern ein unverzichtbarer Teil des Ganzen.“ (Karner 1986)

Oder: „Wenn schon evangelisch, dann H.B.!“ (Karner)

„Aber – es hat ja auch seine Reize, wenn speziell den kleinen reformierten Kirchen manchmal die Rolle des lästigen Flohs im Peltz der großen kirchlichen Bären zufällt.“ (Karner 1990)

Doch so, wie eben auch in der besten Ehe gestritten wird, so ist das Zusammenleben zwischen Reformierten und Lutheranern vom 18. Jh. Bis heute auch reich an Streit, Gehässigkeiten, Schimpfwörtern und „scherzhaft“ geäußerten Beleidigungen. So heißt es z.B. in der „Generalverordnung der beiden K.K. evangelischen Consistorien in Wien vom 25.11. 1789 zur Beförderung eines brüderlichen Verhältnisses zwischen den Augsburgischen und Helvetischen Confessionsverwandten in der K.K. Erblanden erlassen“:

Obschon beiderlei protestantische Confessionsverwandte durch eine BEKLAGENSWERTE STREITSUCHT und durch unglückliche Vorfälle früherer Zeiten in besondere kirchliche Gesellschaften getheilet sind, so besteht doch ein so genaues Band und gemeinschaftliches Interesse zwischen ihnen, daß von sämtlichen hierländischen Gemeinden und vorzüglich von den Predigern eine brüderliche Einigkeit und daraus fließendes Betragen in allen Rücksichten billig erwartet werden muß.“

Im einzelnen wurde geregelt: keine polemischen Vorträge von der Kanzel, im Unterricht etc., Vermeidung gehässiger Ausdrücke wie „Antichrist, Ungläubige, falsche Brüder“… die Vermeidung „unschicklicher Benennungen“ wie „Papisten, Halbkatholiken Kalvinisten, und Augsburaken …“ usw.

Aber gegenseitige „Beschimpfungen“ lassen sich schwer durch Verordnungen und Vereinbarungen aus der Welt schaffen, und sie zeigen in Hinblick auf das Verhältnis von ABlern und HBlern, daß es hier genug offene oder verborgene Aggressionen gibt. Dieses Thema ist „heiß“, soll aber wenigstens versuchsweise angegangen werden. Die genannten Beispiele sind zufällig, eine Sammlung wäre nicht uninteressant.

So wäre z.B. die ehrenrührige Beurteilung des Wiener reformierten Dogmatikers Johann von Patay (1822-50 tätig) durch sein lutherisches Pendant Gustav Frank zu nennen, die bis in die Gegenwart „treulich“ abgeschrieben wird. (vgl. Karner „Die Evang. Pfarrgemeinde H.B. in Wien“ /Seite 180).

Oder – so wird bis heute vom reformierten Superintendenten Zwernemann erzählt, dass er seinen Dackel grundsätzlich an die Hausmauer der Lutherischen Stadtkirche zum Äußerln geführt hat.

Oder dass Prof. Wilhelm Kühnert zwar jahrelang einmal pro Monat in der Zwinglikirche Gottesdienst gehalten hat (Pfr. Thomas, der „Papst von Fünfhaus“ hat ihm dafür mit dem Bemerken, dass dieser ja Kinder habe jeweils 50 Schilling überreicht), aber wenn in seiner Heimatgemeinde Döbling reformierter Gottesdienst gehalten wurde, demonstrativ in die Lutherische Stadtkirche gegangen ist.

Oder wenn Gustav Reingrabner in seinem Buch „Protestanten in Österreich“/Seite 247 von der Reformierten Kirche, weil sie mit dem Ende der Monarchie sehr klein geworden ist, als die reformierte „Kirche“ spricht.

Oder wenn der Kirchenkanzler im Amtsblatt einen Seelenstandsbericht 1991 veröffentlicht, in dem die lutherischen Mitglieder in den Vorarlberger Gemeinden der Kirche H.B. quasi mit einem Handstreich der Kirche A.B. zugezählt werden, und der Kirchenkanzler eine Berichtigung verweigert.

Ganz zu schweigen von den vielen offiziellen Anlässen, wo die reformierten Vertreter einfach übersehen oder vergessen werden. Und wenn sie das reklamieren, dann werden sie oft noch als kleinliche Nörgler hingestellt oder verspottet.

Das Leben in „doppelter Diaspora“, die Erfahrungen einer ganz kleinen Kirche lie0en die Reformierten immer wieder ihre Situation mit den Lutheranern im Gleichnis vom Schalksknecht abgebildet sehen:

Matthäus 18, DAS GLEICHNIS VOM GROSSMÜTIGEN KÖNIG UND VON SEINEM UNBARMHERZIGEN KNECHT oder „Das Gleichnis vom Schalksknecht“:
21 Da trat Petrus hinzu und sagte zu ihm: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der wider mich sündigt, vergeben? Bis siebenmal?
22 Jesus sagt zu ihm: Ich sage dir: Nicht bis siebenmal, sondern bis 77mal.
23 Deshalb ist das Reich der Himmel gleich einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte.
24 Als er aber anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war zehntausend Talente schuldig.
25 Weil er jedoch nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, dass er und sein Weib und seine Kinder und alles, was er hatte, verkauft und die Zahlung geleistet würde.
26 Der Knecht warf sich nun vor ihm zu Boden und sagt: Habe Geduld mit mir, und ich will dir alles bezahlen.
27 Da hatte der Herr Erbarmen mit jenem Knecht und gab ihn frei, und die Schuld erliess er ihm.
28 Als aber jener Knecht hinausging, fand er einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denare schuldig war; und er ergriff ihn, würgte ihn und sagte: Bezahle, wenn du etwas schuldig bist!
29 Sein Mitknecht warf sich nur nieder und bat ihn: Habe Geduld mit mir, und ich will dir’s bezahlen.
30 Er aber wollte nicht, sondern ging hin und liess ihn ins Gefängnis setzen, bis er die Schuld bezahlt hätte.
31 Als nun seine Mitknechte sahen, was geschehen war, wurden sie sehr betrübt und kamen und berichteten ihrem Herrn alles, was geschehen war.
32 Da liess sein Herr ihn herbeirufen und sagt zu ihm: Du böser Knecht, jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest;
33 hättest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmen sollen, wie ich mich deiner erbarmt habe?
34 Und sein Herr wurde zornig und übergab ihn den Folterknechten, bis er alles bezahlt hätte, was er im schuldig war.
35 So wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht jeder seinem Bruder von Herzen vergebt.

Das soll keine kränkende Attacke sein. Die schwierige Situation der Kirche A.B. wird durchaus gewürdigt, aber: Die Reformierten erwarten eben, daß sie von der Kirche A.B. so behandelt werden, wie diese von der Römisch-katholischen Kirche behandelt werden will. Doch oft genug haben die Reformierten eher den Eindruck, daß die Lutheraner die Reformierten so behandeln, wie sie eben gerade nicht von den Katholiken behandelt werden wollen. Wer selber eine winzige Kirche ist (im Vergleich zur r.k.-Kirche!) sollte für die kleine Bruderkirche wohl mehr Verständnis haben.

Ein und dieselbe kirchenpolitische Situation wird wohl von beiden Kirchen recht unterschiedlich erlebt. Lutherische Kirchenleitende Persönlichkeiten haben oft den Eindruck, daß ihre gutdurchdachten Konzepte und Gesetze ständig durch reformierte Sonderwünsche bzw. Extrawürschte gestört, verzögert oder gar verhindert werden. Sie haben etwa den Eindruck, daß die Reformierten und mißbräuchlicher Anwendung von „Bekenntnisangelegenheit“ als die wesentlich Kleineren der großen Schwesterkirche ihren Willen aufzwingen wollen. Für diese Einstellung hat Superintendent Reingrabner ein klassisches Bild geprägt: „Der Schwanz will mit dem Hund wedeln!“

Die Reformierten hingegen verstehen sich absolut nicht als surrealistischen Hundeschwanz, sie wollen sich allerdings nicht zur Annahme von Gesetzen und Ordnungen zwingen lassen, di si für ihre Kirche als ungeeignet, ja manchmal sogar für schädlich halten. Reformierte reagieren aggressiv, wenn sie den Eindruck haben, die lutherische Mehrheit in gemeinsamen Gremien würde sich anmaßen, besser zu wissen, was für die Kirche H.B. heilsam und gut sei als die Reformierten selbst. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, wie sehr den beiden evangelischen Kirchen verbindende Persönlichkeiten wie der große Wilhelm Dantine abgehen.

Weitere Beispiele sollen emotionale Hintergründe des luth.-ref. Ehelebens sichtbar machen:
A.B. :H.B. = Rotkäppchen : Wolf
A.B.: H.B. = Mimose : Margerite
A.B.: H.B. = Gerbera : Sonnenblume
H.B.: A.B. = Knopf : Anzug
A.B.: H.B. = Regenbogen : Malkasten
Farbassoziationen/ A.B.: weiß / gold / silber / violett / braun
Farbassoziationen/ H.B.: rot / grün / blau / gelb / orange

Vielleicht sollte die „Leuenberger Konferenz“ für die Erstellung einer „negativen Konfessionskunde“ des Protestantismus sorgen, um die Aufarbeitung innerprotestantischer Aggressionen zu erleichtern.

Von Peter Karner
(Peter Karner war von 1986 bis 2004 Landessuperintendent der Evangelischen Kirche H.B. in Österreich)