gehalten bei der Calvinfeier 1936 in der reformierten Stadtkirche in Wien

Johannes Calvin
Johannes Calvin; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jean_Calvin.jpg?uselang=de

1536 hat der noch nicht 27jährige Genfer Reformator seine Institutio, die Unterwerfung im christlichen Glauben, erscheinen lassen, deren an den französischen König Franz I. gerichtete Vorrede in einer an den humanistischen Kunstformen erwärmten Sprache die gedrängteste und tiefste Verteidigung des Evangeliums darstellt.

Wenn unsere Wiener reformierten Gemeinden diese Tat nicht unbeachtet lassen wollen, so tun sie es in tiefer Dankbarkeit für den Segen, den dieses große systematische Werk gebracht hat, mit dem heiligen Entschluß, sich auf die aus ihrem Recht, Mitglieder einer großen reformierten Familie zu sein, sich ergebenden Pflichten zu besinnen. Sie wissen und sagen es unumwunden heraus, daß die Verbindung Calvins mit den das jetzige Österreich umspannenden Ländern keineswegs rege war.

Calvin hat niemals seine Fuß in unsere Lande gesetzt. Er hat nur mit wenigen maßgebenden Persönlichkeiten den Verkehr gepflegt, so mit dem Freunde Melanchthons, dem Hofrat Ferdinands, von Ridbruck, mit dem er sich über den Plan einer allgemeinen Kirchengeschichte unterhielt, ferner mit dem evangelischen Landeshauptmann von Steiermark, Hans Ungnad. Calvin weiß aber, daß sich eine „solche Fülle guten Samens in Österreich und Bayern findet, den der Herr nicht vertilgt werden läßt“; er setzt große Hoffnungen auf Maximilian II., dessen Hofleute zu evangelischer Lehre neigten. Es müssen allerdings auch weitere Verbindungsfäden zwischen Genf und Wien bestanden haben; sonst hätte der bekannte Canisius nicht geklagt: Wien wird von Tag zu Tag mehr ein zweites Wittenberg oder Genf.