Calvin
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Die enorme Ausstrahlung von Calvins Ideen, die sich gerade in Ländern ausbreiteten, in denen der Protestantismus verfolgt wurde, lässt sich nur verstehen, wenn man sich sowohl die Grundzüge seiner Theologie als auch die Zeitsituation, in die Calvin hinein gesprochen hat, vergegenwärtigt. Um die Mitte des Jahrhunderts befand sich der Protestantismus insofern in einer Krise, als das Luthertum, das bislang die Reformation geprägt hatte, weitgehend in obrigkeitlich regierten Landeskirchen erstarrt und und überdies von inneren Lehrstreitigkeiten geschwächt war. Es verfügte somit nicht über die nötige Kraft und Dynamik, um dem Elan der nach dem Trienter Konzil wieder erstarkten katholischen Kirche entgegenzutreten. Daher konnten sich gerade die von einem aggressiven Katholizismus bedrängten Untergrund- und Diasporagemeinden in Frankreich und den Niederlanden vom deutschen Protestantismus nur wenig Unterstützung erhoffen.

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Umso wichtiger wurde nun das Wirken Calvins in Genf, in dem der europäische Protestantismus ein neues geistiges Zentrum fand. Der Reformator, der Verfolgung und Exil am eigenen Leib erfahren hatte und der das reformierte Genf immer nur als Vorbild „für das weit umfassendere Königreich Christi in Frankreich und Europa“ betrachtete, war gleichsam die berufenen Gestalt, um diese neue Phase der Reformation, die man auch als die „Reformation der Flüchtlinge“ (Heiko o. Oberman Zwei Reformationen. Luther und Calvin – alte und neue Welt, Berlin 2003, 151 und 218) bezeichnet hat, anzuführen.

Der existentielle Erfahrungshintergrund von Flucht und Verfolgung bildet auch den Quellgrund von Calvins Theologie mit ihrer Zuspitzung der biblischen Heilsbotschaft in „Vorsehung, Erwählung und Fürsorge angesichts eines Ausgeliefertseins an diese Welt“ (Christoph Strohm, Johannes Calvin. Leben und Werk des Reformators München 2009, 120). So ist der Ausgangspunkt seiner Theologie nicht die innere Not des Menschen aufgrund seiner Schuldverfallenheit, sondern die Ungesichertheit seiner Existenz, die ständig von Tod umgeben ist. Angesichts der selbst erlebten Bedrohtheit menschlicher Existenz ging es Calvin darum, den Glauben der angefochtenen Christen zu stärken, den er als „starke und unerschütterliche Zuversicht des Herzens“ verstand, „durch die wir sicher in der Barmherzigkeit Gottes ruhen, die uns durch das Evangelium verheißen ist.“

Michael Becht

 

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