Berühmt – doch weitgehend unbekannt

Selbst in Genf, an der Stätte seines Wirkens, ist Calvin zwar berühmt, trotzdem weiß man wenig über ihn. Welche Gründe mag das haben?

Johann Calvin
Johann Calvin. Farblithographie, Maße: 24,3 x 23,5 cm, von François-Séraphin Delpech (1778–1825)

Zunächst ist wohl der Umfang seines schriftlichen Werkes daran schuld. Dieser stets kränkliche Mann hat im Laufe seines kaum 55-jährigen Lebens 60 Bände mit insgesamt 10.000 Seiten veröffentlicht, ungefähr 3.000 Predigten gehalten – das sind 250 im Jahr – und dies alles neben seinen Vorlesungen, seiner Tätigkeit als Seelsorger, neben unzähligen Sitzungen und einem Briefwechsel (erhalten sind 4.000 Briefe), den er mit der halben Welt geführt hat: von Russland und Polen bis nach Schottland und sogar nach Brasilien.

Diese Schriften sind teils im Französisch des 16. Jahrhunderts, teils in lateinischer Sprache abgefasst und daher heute nur wenigen Menschen direkt zugänglich. Vermutlich ist aber noch etwas anderes dafür ver­antwortlich, dass man so wenig über Calvin weiß: Die meisten Werke, die sich mit ihm beschäftigen, sind entweder von glühenden Verehrern oder von entschiedenen Gegner verfasst worden und beiden ging es weniger um die historische Wahrheit, sondern um eine Möglichkeit, ihn entweder als leuchtendes Vorbild oder als abschreckendes Beispiel darzustellen. Von den einen wird er in den Himmel gehoben, von den anderen verabscheut. Unterstützt wird das Ganze von den bildlichen Darstellungen aus dem letzten Lebensabschnitt Calvins, die ihn mehr oder weniger als lebenden Leichnam zeigen.

Solche Werke beherzigen nicht den Rat, den Calvin selbst oft seinen Freunden gegeben hat, und ersticken stattdessen – unter dem Vorwand der Gelehrsamkeit – das Wesentliche unter einer Flut von Zitaten und oft schwer verständlichen Kommentaren. Calvins Stil zeichnet sich hin­gegen durch die Kraft des Ausdrucks und die Klarheit der Gedanken aus. Einer seiner engsten Mitarbeiter, Pfarrer Des Gallars, bestätigt, dass er klar und verständlich lehrte, was in seinem Schreiben und Re­den auch deutlich zum Ausdruck kommt«.

Der Verfasser der folgenden Seiten hat sich von Jugend an mit Calvin beschäftigt, und zwar sowohl mit dessen eigenen Werken wie auch mit den Schriften seiner Anhänger und seiner Kritiker. Er hat sein Ziel er­reicht, wenn ihm eine schlichte Darstellung dessen gelungen ist, was über diese umfangreiche Thematik zu wissen unerlässlich ist.