In seinen Träumen war Wien der Mittelpunkt eines zentraleuropäischen Wirtschaftsraums von der Nordsee bis zum Mittelmeer. Freiherr von Bruck war der erste Handelsminister der österreichisch-ungarischen Monarchie sowie Finanzminister und Gründer der Creditanstalt. Ihm gelang es zu einer Zeit, in der die offizielle Politik reaktionär und protestantenfeindlich war, eine große Karriere zu machen. Er war einer der bedeutendsten österreichischen Politiker der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts (Friedrich Heer) und wollte die Kleindeutschen und die Großdeutschen überspielen durch die Bildung eines wirtschaftlichen Großraums, der die Staaten des deutschen Bundes mit den habsburgischen Ländern verbinden sollte. Zur Hebung des österreichischen Seehandels gründete er 1832 den »Triester Lloyd« (ab 1833 »Österreichischer Lloyd«), der zur bedeutendsten Schifffahrtsgesellschaft bzw. zum Versicherungszentrum des Mittelmeers wurde wie das von ihm gegründete Journal des Österreichischen Lloyd 1835 zu einer international anerkannten Wirtschaftszeitung.

Seine politischen und unternehmerischen Fähigkeiten hatten in der Reichshauptstadt Wien Aufmerksamkeit erregt. 1845 legte er in der Diskussion um die Wiener Stadterweiterung ein eigenes Projekt vor, das eine Vergrößerung der Stadt vor dem Kärntnertor mit Theater und Börse vorsah. 1848 war Bruck noch Mitglied der Nationalversammlung in Frankfurt. Regierungschef Fürst Schwarzenberg berief ihn 1848 als Handelsminister – in ein Ressort, das erst durch Abtrennung vom Finanzministerium geschaffen worden war.

In nur drei Jahren, zwischen 1848-1851, hat er Großes für die wirtschaftliche Entwicklung und Finanzielle Konsolidierung des Staates getan. Sein liberales Wirtschaftskonzept – ihm schwebte übrigens die Schaffung eines zentraleuropäischen Wirtschafts-Großraums nach Art der EWG mit der Donau als Hauptschlagader vor – verband sich in glücklicher Weise mit seinem Organisationstalent. Er sorgte für den Ausbau der Verkehrswege, insbesondere der Semmeringbahn und der Verbindungsbahn vom Südbahnhof zum Hauptzollamt. Im Inneren widmete er sich dem Ausbau der Handels- und Gewerbekammern, außenpolitisch gesehen baute er das Konsularwesen aus. Er gründete Konsulate in Ostindien, China und, in Hinblick auf das Suezkanalprojekt, im Sudan.

Zur Ausbildung der Diplomaten wurde das Institut der Konsular-Eleven eingeführt, aus dem später die weltberühmte Konsularakademie hervorging. Als Pionier war Bruck im Postwesen tätig. Er verfügte u.a. die Einrichtung fahrender Postämter bei den Eisenbahnen, führte das System der Geldanweisungen bei der Post ein, ebenso die Frankierung der Sendungen durch Briefmarken und die Stempelmarke. Kostenüberschreitungen beim Bau der Semmeringbahn waren der äußere Anlass für seinen Rücktritt 1851. 1855 wurde er ein zweites Mal in die Regierung berufen, dieses Mal als Finanzminister, nachdem er in der Zwischenzeit als Direktor des Lloyd in Triest und als Botschafter in Konstantinopel gewirkt hatte. Vor welchen Schwierigkeiten der Finanzminister stand, mögen einige Zahlen beweisen. 1848 bis 1850 betrug – kriegsbedingt – das Normaldefizit 50 Millionen Gulden, die Staatseinnahmen 235 Millionen Gulden. Als eine Spekulationswelle ganz Europa erfasste, initiierte Bruck 1855 die Gründung der »K. K. priv. österreichischen Creditanstalt für Handel und Gewerbe«, heute Bank Austria Uni Credit Group. Motor sollte das Haus Rothschild sein, dazu kamen die Spitzen der Hocharistokratie, die durch Grundentlastung über beträchtliche Kapitalien verfügten. Die neue Bank, die mit allen möglichen Privilegien und – wie es der Art Brucks entsprach – beträchtlichem Kapital ausgestattet wurde, sollte bei der Bildung zahlloser neuer Aktiengesellschaften als Medium wirken. 1859 formulierte Bruck seine politischen und wirtschaftspolitischen Gedanken und Vorstellungen in seiner wichtigsten Denkschrift unter dem Titel »Die Aufgaben Österreichs« – die Schrift wurde posthum veröffentlicht.

Wohl war Bruck allen österreichischen Kriegsabenteuern zum Trotz erfolgreich in seinen Sanierungsbestrebungen gewesen, doch eine politische Intrige führte zu seiner Demissionierung und trieb ihn in den Selbstmord. Seinem Nachfolger blieb es vorbehalten, ihn zu rehabilitieren. Sektionschef Dr. Hock, einer der engsten Mitarbeiter Brucks, sprach aus, worum es eigentlich gegangen war: »Die Größe und Hochherzigkeit von Brucks Ansichten, die Genialität von Brucks Entwürfen, der Reichtum seiner Erfindungsgabe, sein edles und mildes Wesen, die bezaubernde Liebenswürdigkeit seines Umganges waren überwältigend … Sein Tod ist nicht bloß ein entgehender Gewinn, er ist auch ein positiver Schaden. Die Hochadeligen werden darauf hinweisen, von welchem Nachteil es ist, bürgerliche Minister zu wählen. Alle Reaktionäre, alle Ultras, alle Hochschutzzöllner, Zünftler, Feinde der Einigung mit Deutschland und Antizentralisten, kurz aller Kehricht der Rumpelkammern wird zur Geltung kommen … Vor großen, kühnen und freien Gedanken wird man fortan zurückschrecken, alle Mittelmäßigen werden sich in vollem Rechte glauben.«

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 48 – 49.