Unter den evangelischen Pfarrern in Österreich finden sich nicht wenige, die neben ihrer beruflichen Tätigkeit auch auf anderen Wissensgebieten arbeiteten und nicht selten sogar durch besondere Leistungen auf diesen Gebieten Aufsehen erregt haben. Natürlich waren viele von ihnen im Bereich der Geschichtswissenschaft tätig, bei weitem aber nicht alle. Da gab es solche, die beachtliche Leistungen als Botaniker oder Geographen erbrachten; andere übten sich als Schriftsteller oder Dichter, wobei etliche von ihnen tatsächlich literarischen Ruhm erlangten. Manche verbanden berufliche Tätigkeit und literarische Ambitionen, indem sie sich etwa als Erbauungsschriftsteller versuchten.

Es waren aber doch recht viele, die Historiker waren und sich in diesem Bereich einen Namen machten. Das hing natürlich damit zusammen, dass sie sich um die Erforschung der Geschichte ihrer Kirche – in der Region oder insgesamt – bemühten. Angesichts der eher unbefriedigenden äußeren Situation des österreichischen Protestantismus und immer wieder aufbrechender Polemik gegen alles, was evangelisch war, hatte diese Forschungsarbeit eine nicht geringe Bedeutung, konnte man doch dadurch zeigen, dass das Luthertum in Österreich – also in den habsburgischen Ländern – einmal große Bedeutung besessen hatte und nicht durch die Kraft des Glaubens vom Katholizismus verdrängt worden war, sondern durch die brutale und gewaltsame Unterdrückung seitens der Landesfürsten. Damit verband sich bei manchem der Wunsch, dass es doch wieder einmal ein „evangelisches Österreich“ geben würde.

Es war aber auch wichtig, solche Forschungen durchzuführen, weil der unmittelbare historische Bezug, also das Bewusstsein der Kontinuität weithin verloren gegangen war. Die Toleranzgemeinden, die nach 1781 entstanden waren, pflegten bestenfalls eine mündliche und lokale Überlieferung, wobei diese aber anscheinend gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts abriss; die später entstandenen Gemeinden in den Städten stellten wirkliche Neugründungen dar, denen es an solchem historischen Bewusstsein überhaupt mangelte. Und in einer Zeit, in der die Geschichtswissenschaft so etwas wie das Um und Auf aller Wissenschaften darstellte, wo im Historismus die Erklärung für gegenwärtige Zustände und künftige Entwicklungen aus der Vergangenheit gesucht (und gefunden) wurden, da war solche Beschäftigung mit der Vergangenheit der eigenen Kirche, also mit den Bekennern und Märtyrern, besonders wichtig.

Da und dort weitete sich aber für einen solchen Forscher auch der Blick, und er erbrachte Leistungen, die über die enge protestanten-geschichtliche Forschung hinaus bedeutsam wurden.

Einer von diesen war Bernhard Czerwenka. Er kam wie so mancher Pfarrer in Österreich aus dem Katholizismus. Auf Wunsch des Vaters sollte der am 25. 3. 1825 in Böhmen Geborene katholischer Priester werden, wozu er auch nach Wien zum Studium gesandt wurde. Dort wurde er lutherisch und studierte ab 1849 an der hiesigen – evangelischen – theologischen Lehranstalt. Unmittelbar danach wählte ihn die Kärntner Toleranzgemeinde Arriach zu ihrem Pfarrer. Bevor er die Stelle antreten konnte, wurde er am 22. 5. 1853 in Wien zum geistlichen Amt ordiniert. Am 5. 6. dieses Jahres hielt er dann in Arriach seine erste Predigt, die Amtseinführung erfolgte am 3. Juli.

Schon bald übernahm er eine Aufgabe, die über seine Gemeinde hinauswies. In den Jahren 1855 und 1856 gab er als Arriacher Pfarrer den „Evangelischen Glaubensboten für Österreich“ heraus, zu dem er selbst auch Beiträge lieferte, unter denen sich bereits lokalgeschichtliche Darstellungen über Arriach, Schladming und Agoritschach befanden.

Es lässt sich nicht sagen, ob er wegen dieser Tätigkeit oder aus anderen Gründen einige Auslandsreisen unternahm; jedenfalls holte er sich 1855 aus Frankfurt am Main seine Gattin. Das sollte später doch noch für sein Leben bedeutsam werden.

Vorerst aber zog es ihn in eine andere Gemeinde. Am 22. 8. 1858 wurde er zum Pfarrer in der steirischen Ramsau gewählt, wo er am Reformationstag seine Antrittspredigt hielt. Die Einführung folgte erst zwei Sonntage nach Ostern des darauffolgenden Jahres. Da hatte Czerwenka aber bereits eine über seine Gemeinde hinausreichende Tätigkeit aufgenommen, die ihn rasch zu verschiedenen übergemeindlichen Aufgaben führte. Im Jahr 1866 wurde er Stellvertreter des steirischen Seniors, 1870 selbst Senior. Im Jahr 1871 nahm er an der 2. Generalsynode teil und wurde in den Synodalausschuss gewählt, von diesem sogar zu seinem Obmann bestellt. Damit gehörte er – mindestens für eine Periode – zu den führenden Geistlichen der lutherischen Kirche Österreichs.

In der Zwischenzeit waren aber einige Werke im Druck erschienen, die von einer immensen Arbeitskraft und weitgespannten Interessen zeugen. Im Jahre 1867 wurde sein dickes Buch mit der Geschichte des kärntnerischen (und oberösterreichischen) evangelischen Adelsgeschlechts der Khevenhüller gedruckt, das bis heute seine Bedeutung bewahrt hat und immer noch zu den wichtigen Darstellungen über eine adelige Familie gehört, weil es die familiengeschichtlichen Fragen mit den Darlegungen über die öffentliche (und kirchliche) Stellung verbindet. Und die Khevenhüller waren ja auch nicht irgendein Adelsgeschlecht, sondern eines der bedeutsamsten; die Burg Hochosterwitz, andere Schlösser (wie etwa Wernberg), aber auch die Grabmäler in Villach künden davon. Schließlich ist es einem ihrer emigrierten Angehörigen sogar gelungen, durch eine Bestimmung des Westfälischen Friedens seine konfiszierten Besitzungen wieder zu erlangen, obwohl er Obrist in schwedischen Diensten war.

Das andere Buch, das Czerwenka verfasste, beschäftigte sich mit der Geschichte des Protestantismus und der evangelischen Kirche in seiner Heimat Böhmen. Es umfasst sogar zwei Bände.

Für diese Leistungen – und die kirchliche Tätigkeit – hat die evangelisch-theologische Fakultät Czerwenka im Jahr 1871 das theologische Ehrendoktorat verliehen.

Damals war er aber bereits auf dem Absprung aus Österreich. Im Jahr 1873 hat man ihn schon dringend gebeten, nicht wegzugehen. Er hat sich damals um die Stelle eines Pfarrers an St. Peter in Frankfurt am Main beworben und wurde im Feber 1874 mit großer Mehrheit dort gewählt. Am 1. Mai dieses Jahres verließ er die Ramsau.

Seine Gesundheit war wohl schon damals etwas angegriffen, was in seinem weiteren Wirken immer deutlicher hervortrat.

Aber auch in Frankfurt nahm er noch manche Gelegenheit wahr, um Beiträge zur Geschichte des österreichischen Protestantismus zu verfassen, darunter einen über Paul Odontius, „einen Bekenner aus der Zeit der Gegenreformation“. Sogar an der Gründung der „Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich“ nahm er Anteil und verfasste ein Werk über die Gegenreformation in der Steiermark. Czerwenka verstarb nach längerer Kränklichkeit am 22. 5. 1886 in Frankfurt.

Aus seinem Bewerbungsschreiben um die dortige Pfarrstelle sollen einige Sätze am Abschluss dieser Zusammenfassung stehen, weil sie etwas von der Frömmigkeit dieses gelehrten Mannes verraten:

„Sehr ferne von Ihnen, in Österreich, ist mir die Kunde geworden, dass das durch das Ableben des Hochwürdigen Herrn Pfarrer erledigte … Pfarramt … neu besetzt werden soll … Der wohlehrwürdige Gemeindevorstand wollte es nun nicht befremdlich finden, wenn auch ich „getrost und mit aller Zuversicht“ zu dem Herrn unserm Gott es wage, mich hiermit in die Reihe der Bewerber um das erledigte Pfarramt zu stellen …. Ich bekenne mich zur Augsburgischen Confession, … , stehe bezüglich der theologischen Richtung auf dem positiven Grund der hl. Schrift und bin in meinem Innersten von der Wahrheit überzeugt: dass ein anderer Grund nicht gelegt werden kann, als welcher gelegt ist, nämlich Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes und der Heiland der Welt …“

 

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen – Bernhard Czerwenka
Aus: Glaube und Heimat 1999, S. 36-37.