Seine Arbeit als Jurist und sozialdemokratischer Justizminister veränderte die Gesellschaft in einem Ausmaß, wie es selten einem Minister gelang. Die 1970er Jahre waren seinen Reformvorhaben günstig gesonnen, brachen doch die alten Muster der Restauration, des Konservativismus auch in Österreich auf – Reformen waren »in«. Gesellschaftspolitisch epochal waren die Gleichstellung der Frau im Familienrecht, die Einführung der Fristenlösung, die Straffreiheit für Homosexualität und die Verbesserung des Kinder- und Jugendschutzes.

Die Fristenlösung trat am 1. Jänner 1975 in Kraft – 50 Jahre nachdem Sozialistinnen erstmals im Parlament den Antrag auf Straffreiheit für Abtreibung gestellt hatten. Seither kann eine Schwangerschaft bis zur zwölften Woche straffrei abgebrochen werden, danach nur noch auf Grund medizinischer Indikation.

Die Fristenlösung war auch in den Evangelischen Kirchen A.B. und H.B. bis in die Synoden hinein ein heiß diskutiertes Thema. Protagonisten für die Fristenlösung waren Wilhelm Dantine auf der Seite der Lutherischen Kirche und Peter Karner auf der Seite der Reformierten Kirche. Beiden ging es um eine Humanisierung des Strafrechts und um eine Ethik im Sinn des kleineren Übels. Innerkirchliche Gegner der Fristenlösung waren u.a. der damalige Bischof Oskar Sakrausky, der die Fristenlösung mit den Nürnberger Rassengesetzen verglich. Christian Broda verband vor allem mit Wilhelm Dantine ein reger Austausch in gesellschaftlichen und ethischen Fragen, die auch theologisch relevant waren.

Christian Broda war bereits im Widerstand gegen den Ständestaat aktiv gewesen und deshalb auch mehrmals in Haft. In der NS-Zeit musste er zum Militär einrücken, setzte seine illegale Arbeit jedoch fort und wurde deshalb 1943 verhaftet, ohne dass ihm etwas nachgewiesen werden konnte. Nach Kriegsende beendete Christian Broda sein Jus-Studium, nachdem er bereits 1940 zum Dr. phil. promoviert worden war, und begann 1948 als Rechtsanwalt zu arbeiten. Bald ließ er mit Veröffentlichungen zu rechts- und gesellschaftspolitischen Fragen an die Öffentlichkeit aufhorchen, war von 1957 bis 1959 Mitglied des Bundesrates, von 1960 bis 1966 und von 1970 bis 1983 Justizminister, und von 1962 bis 1983 Abgeordneter zum Nationalrat. 1987 erhielt er den Menschenrechtspreis des Europarates.

Christian Brodas evangelischer Taufpate (evang. A.B.) war Hans Kelsen, sein Vater war Rechtsanwalt. In väterlicher Linie gab es einen berühmten Rabbiner in Prag und in der mütterlichen Linie des Vaters acht Generationen früher Abraham Auspitz, der als »Haupt der mährischen Judenschaft zur Zeit. Maria Theresias, bei ihr zeitweise in Ungnade« in den Geschichtsbüchern vermerkt, ist. Seine Mutter hieß Viola Pabst und war Schauspielerin. Sie kam. aus einer katholischen Familie von Eisenbahnangestellten. Ihr Vater war in der Nähe von Znaim geboren worden und brachte es später zum Stationsvorsteher am Wiener Ostbahnhof. Viola trat am Wiener Bürgertheater und am Hoftheater von Mecklenburg-Schwerin auf. Ihr Bruder war Georg Wilhelm Pabst, der später international anerkannte Filmregisseur. Christian Brodas Eltern waren in einen wohlhabenden, vielseitigen und politisch interessierten Gesellschaftskreis eingebunden, in dem Sozialdemokraten und Liberale für die damals in Wien modernen, politischen Ideen eintraten. Einer Anekdote zufolge war die Familie vor 1914 sogar einige Zeit lang »Postamt« für einen russischen Emigranten namens Leo Trotzki. Engelbert Broda (1910-1983), sein älterer Bruder, wurde ein berühmter Chemiker.

Zentralfriedhof Ehrengrab, Gr. 14C, Nr. 53 Christian-Broda-Bildungsheim

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 47–48.