Von Gustav REINGRABNER

Es gehört zu den Eigenarten der Evangelischen Kirche in Österreich, dass eine ganze Reihe ihrer führenden Männer aus der siebenbürgischen evangelischen Kirche hierher berufen wurde. Der erste evangelische Präsident der landesfürstlichen Kirchenbehörde, des Oberkirchenrates, Josef Andreas Zimmermann, war Siebenbürger, so auch sein Nachfolger Conrad Schmidt. Freilich hatte dieser bereits vor seiner Berufung in dieses Amt in seiner Heimat hohe Stellungen bekleidet. Conrad Schmidt war am 24. Juli 1810 als Sohn des evangelischen Predigers in Agnetheln in Siebenbürgen geboren worden. Er hat in Marosvasarhely am reformierten Kollegium Rechtswissenschaft studiert und im Jahr 1834 in Hermannstadt, der Hauptstadt von Siebenbürgen, eine Rechtsanwaltskanzlei eröffnet. Bald aber schon übernahm er öffentliche Ämter in der Nation der Siebenbürger Sachsen. Man hat ihm diese Funktionen übertragen ob seiner Fachkenntnisse und seines Auftretens. So wurde er als Deputierter zum Landtag des Landes Siebenbürgen nach Klausenburg und zum ungarischen Reichstag nach Pest entsandt. Nach der Eroberung von Hermannstadt durch die Ungarn im Zuge der revolutionären Bewegungen des Jahres 1848 fungierte er eine kurze Zeit als Polizeidirektor seines Wohnortes.

Nach 1848 wurden die Verhältnisse noch einmal neu geordnet, und Conrad Schmidt trat nun in den Staatsdienst ein, wo ihm 1863 die Funktion des „Sachsengrafen“ und „Königsrichters“ übertragen wurde. Der Königsrichter stellte in der siebenbürgischen Ordnung jeweils das höchste Amt in einem der Bezirke dar, der Sachsengraf hatte darüber hinaus überhaupt als Vertreter des Königs und als Leiter der sächsischen Nation starke und weitreichende Aufgaben. Er galt als der Vertreter der Siebenbürger Sachsen gegenüber den anderen Nationen im Lande, gegenüber dem König, er hatte Funktionen in der Rechtsprechung, ursprünglich natürlich auch im Militärwesen, und leitete die Verhandlungen der Nationsuniversität. Selbst nach den Maria-Theresianischen Reformen, durch die die alten Freiheiten der Sachsen beschränkt worden waren, kam dem Sachsengraf noch immer eine gewaltige Bedeutung zu. Erst die Aufhebung der Verfassung in Siebenbürgen als Folge des Ausgleichs zwischen Österreich und Ungarn im Jahr 1867, die eine Verschmelzung Siebenbürgens mit Ungarn brachte, bewirkten das Ende dieser besonderen Stellung der sächsischen Nation. Der auf Lebenszeit gewählte Sachsengraf Conrad Schmidt wurde im Jahr 1868 zwangsweise pensioniert und vom ungarischen Ministerium des Inneren seiner Würde entkleidet.

Schmidt ging darum nach Wien, und hier begann nun gewissermaßen seine zweite Laufbahn. Er widmete sich ganz kirchlichen Dingen. Zunächst trat er in das Presbyterium der evangelischen Gemeinde in Wien ein, wo er 1872 zum Kurator gewählt wurde. Das war angesichts der sich in der Großstadt ergebenden Probleme ein Amt, das einen Mann wohl zu fordern verstand. Wenn man bedenkt, welchen wirtschaftlichen Aufschwung Wien gerade 1872. genommen hat, welche Bedeutung der große Krach von 1873 hatte und wie alle diese Dinge sich auf die äußeren Verhältnisse einer Gemeinde, die von den freiwilligen Beiträgen ihrer Mitglieder lebte, auswirken mussten, der kann wohl verstehen, welche Probleme Conrad Schmidt zu meistern hatte. Dass er sie zu meistern verstand, beweist die Tatsache, dass er schon 1874 als Nachfolger von Josef Andreas Zimmermann zum Präsidenten der landesfürstlichen Kirchenbehörde, des Oberkirchenrates, bestellt wurde. Er erreichte damit den höchsten Rang, den ein Beamter in Österreich erreichen konnte. Bis zu seinem Tod am 6. Februar 1884 stand er dem Oberkirchenrat vor. Er wurde als lebenslängliches Mitglied in das österreichische Herrenhaus berufen, und seine Tätigkeit fand nicht zuletzt auch darin die Würdigung, dass er 1878 unter Verleihung des Prädikates „von Altenheim“ in den österreichischen Freiherrenstand erhoben wurde.

Er war einer von denen, die selbst nicht die Verkündigung ausübten, aber doch durch ihr Wirken die Verkündigung ermöglichten. Die zehn Jahre seiner Tätigkeit als Oberkirchenratspräsident waren durch den aufkommenden Nationalismus geprägt, und er hatte in den Synoden 1878 und 1884 sehr wohl damit zu kämpfen; vor allem in der reformierten Generalsynode, wo die Ablehnung des österreichischen Kaiserhauses mit bestimmten Forderungen im Blick auf die kirchliche Rechtsordnung und Verwaltung verbunden war (Schaffung eines eigenen tschechischen Oberkirchenrates), hatte er mit Diplomatie und Festigkeit den Standpunkt zu vertreten, der einerseits durch Treue zur Kirche ausgezeichnet war, andererseits aber auch der Verpflichtung gegenüber dem landesfürstlichen Oberaufsichtsrecht getreu zu bleiben hatte. Conrad Schmidt vermochte in dieser Doppelstellung vieles für die Kirche zu erreichen. Er vermochte wie manch anderer seiner Nachfolger zu zeigen, dass Loyalität zum Herrscher und evangelische Überzeugung sehr wohl sich vereinen lassen. Er war ein Zeuge für Jesus Christus als Vertreter öffentlicher Ordnungen – wie viele andere in unserem Lande.

 

Aus: Glaube und Heimat 1982, S. 36-37.