Egon Friedell, 1931, Foto von Edith Barakovich (Aus Wikimedia Commons)

1905 schreibt Friedell für die Fackel einen Artikel mit dem Titel »Vorurteile«. Und er entlarvt eines der ältesten und wichtigsten Vorurteile aller Eltern, Erzieherinnen und Erzieher: »Das schlimmste Vorurteil, das wir aus unserer Jugend mitnehmen, ist die Idee vom Ernst des Lebens. Die Kinder haben den ganz richtigen Instinkt: sie wissen, dass das Leben nicht ernst ist, und behandeln es als Spiel.«

Der Sketch »Goethe«, den er gemeinsam mit Alfred Polgar verfasst hat – er gehört zum Großartigsten, das je für eine literarisch-satirische Bühne geschrieben worden ist –, machte ihn rasch im deutschsprachigen Raum berühmt. Bald danach wurde er künstlerischer Leiter des Kabaretts Fledermaus. Und Felix Salten, Vater von »Bambi« und der »Josefine Mutzenbacher«, kommentierte: »Da stand nun Egon Friedell, Doktor der Philosophie, Hofnarr des Publikums und, wie die meisten Hofnarren, dem Gebieter weit überlegen.«

Friedells glänzendstes Werk ist seine dreibändige »Kulturgeschichte der Neuzeit«. Der Autor erzählt die Ereignisse vom späten Mittelalter bis zum Imperialismus. Er beginnt mit der großen Pest von 1348 und verblüfft durch erstaunliche Kommentare, Anekdotisches und Bonmots. Das Werk ist bis heute in sieben Sprachen übersetzt worden. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland wollte kein deutscher oder österreichischer Verleger dieses Werk veröffentlichen. Im Februar 1938 wurde es in Deutschland überhaupt verboten. Friedell hatte sich deklariert: »Das Reich des Antichrist. Jede Regung von Noblesse, Frömmigkeit, Bildung, Vernunft wird von der Rotte verkommener Hausknechte auf die gehässigste und ordinärste Weise verfolgt.« (1935)

»Es ist ein Erlebnis, heute Friedell zu lesen: Einerseits erregt es Erstaunen, wie sehr seine Ansichten, Analysen, Stellungnahmen, Charakterisierungen und Aperçus zur Allgemeinansicht geworden sind. Jede Wahrheit beginnt als Anachronismus, sie wird erst langsam wahr. Es braucht immer eine gewisse Zeit, bis ihre Tiefe heraufsteigt, nach oben kommt und sichtbar, das heißt oberflächlich wird. … Andererseits kommt in der »Kulturgeschichte« eine prophetische Gabe Friedells zum Vorschein, die intellektuell bestürzt. Die jüdischen Propheten waren weder Wahrsager noch Futurologen. Sie waren Analytiker der Gegenwart, vor allem Deuter des Eingreifen Gottes in diese Gegenwart. Erst später tauchen auch in der jüdischen Tradition Apokalyptiker auf. Ist vielleicht Karl Kraus ein apokalyptischer, Egon Friedell ein analytischer Prophet unserer Tage? … Prophetisch kann man auch zahlreiche Analysen Friedells über grundlegende Veränderungen in unserer Zivilisation nennen. Es wird, so aber spricht – im Gegensatz zum Apokalyptiker – der analytische Prophet, das Abendland zwar »untergehen, aber nur soweit es von Spengler ist.«« (Neue Freie Presse vom 10.2.1934)

Sein Vater war Seidentuchfabrikant. Die Ehe der Eltern wurde 1887 geschieden, die Mutter verließ die Familie. Nach dem Tod des Vaters lebte Egon bei seiner Tante. Er musste häufig die Schule wechseln, galt als unerträglicher Störenfried und Querdenker. Mit Ach und Krach maturierte er 1899 in Heidelberg. Schon mit 18 Jahren war er in Berlin als Gasthörer für Germanistik, Naturwissenschaften und Philosophie eingeschrieben. 1897 konvertierte er zum Evangelisch-Lutherischen Glauben. Gründe für diese Konversion sind nicht bekannt. Raoul Kneucker, sein jüngster Biograf und Kommentator, beschäftigte sich sehr ausführlich mit den Hintergründen dieser Konversion, dem Verhältnis der beiden Minoritätenjuden und Protestanten zueinander, bzw. damit, was eigentlich das Lutherische an Friedell sei.

Von 1900 bis 1904 studierte Friedell in Wien Philosophie. Er promovierte 1904 mit einer Dissertation über »Novalis als Philosoph«. 1916 änderte er seinen Namen von Friedmann in Friedell. In den folgenden Jahren entwickelte sich Friedell zum bunten Vogel und zum Universalgenie: Er war Schriftsteller, Essayist, Kritiker, Journalist, Schauspieler, Kommentator, Übersetzer, Kabarettist usw.

Von ihm sagte Hilde Spiel: »In ihm stand noch einmal die berauschende Fiktion vom universalen Menschen vor uns auf.«

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 67 – 68.