Außer wenigen kunstgeschichtlich wohl Bewanderten und dem einen oder anderen Besucher des vor etlichen Jahren in diesem Ort neu eingerichteten Schulmuseums kennt den Namen und den Ort Michelstetten wohl kaum jemand. Das Schloss, das heute eher einer Ruine gleicht, stellt ein durchaus eigenartiges und wertvolles Denkmal aus der Renaissance dar. Sein kreisrunder Mauerring deutet Wehrhaftigkeit an, die Wohn- und Wirtschaftsgebäude sind alle innerhalb dieses „Beringes“, freilich mit ihren Dächern an die Außenmauern angelehnt errichtet. Der Bau gibt in seiner Gestaltung mancherlei Rätsel auf. Die Frage nach den Gründen und Vorbildern hat manche Kunsthistoriker bewegt.

Hier soll nicht der Bau, sondern der Erbauer interessieren. Und das deshalb, weil er zu der Gruppe evangelischer Adeliger im Land unter der Enns gehört, die im 16. Jahrhundert dafür sorgten, dass ein großer Teil der Bewohner dieses Landes dem reformatorischen Bekenntnis anhing. Und Franz von Gera gehört zu denjenigen, die auch in Auseinandersetzungen versuchten, ihrer Überzeugung treu zu bleiben und ihre Schutzpflicht als Edelleute und Herrschaftsbesitzer gegenüber ihren Untertanen zu erfüllen.

Die Familie gehörte dem Nürnberger Patriziat an. Einzelne ihrer Angehörigen waren im 16. Jahrhundert in der königlichen Finanzverwaltung in Wien tätig. König – seit 1556 auch Kaiser – Ferdinand I. wusste die Dienste anscheinend so zu schätzen, dass 1567 die Erhebung in den Adelsstand und die Aufnahme unter die Mitglieder des niederösterreichischen Ritterstandes erfolgte. Damit war der Älteste der Familie Mitglied des Landtages unter der Enns und konnte innerhalb der adelig-ständischen Verwaltung Funktionen übernehmen. Er war als Grundherr anerkannt und hatte dementsprechende Rechte. Nicht nur die Titulierung wies ihn als Höhergestellten aus, auch sonst gab es Rechte, die von der Kleidung und dem Auftreten bis zur Möglichkeit, Güter zu erwerben und Lehen zu empfangen, reichte.

Als Sohn des Jobst Gera und der Katharina Heim wurde Franz gegen 1545 geboren; er wuchs also noch als Bürgerlicher auf. Näheres jedoch ist nicht bekannt. Im Jahr, nachdem die Aufnahme in den Ritterstand erfolgt war, heiratet er zum ersten Mal. Durch seine schon 1573 oder 1574 verstorbene Frau erbt er Michelstetten – er war ja schon adelig geworden!

Die ganze Schrecklichkeit des Todes, die unter den adeligen Familien des 16. Jahrhunderts aus vielerlei Gründen so ausgeprägt in Erscheinung trat, lässt sich in dem Leben des Franz von Gera erkennen. Drei seiner Gattinnen verstarben nach zum Teil nur kurzer Ehe. Kindbett, Pest, englischer Schweiß, Influenza und ähnliches waren die medizinischen Gründe für diese raschen und frühen Todesfälle. Erbkrankheiten und ungesunde Lebensweise förderten wahrscheinlich die Sterblichkeit.

Erst die vierte Gattin, die er 1590 ehelichte, überlebte ihn. Freilich sind auch nicht alle Kinder, die ihm seine Frauen geboren hatten, verstorben. Er fand jedenfalls in seinem Sohn Ehrenreich einen Erben.

Wann er selbst gestorben ist, lässt sich derzeit nicht ausmachen. Es wird so gegen 1600 gewesen sein. Möglicherweise hat er aber noch im April 1601 ein Schreiben an die Vertreter der Stände geschrieben.

Einige seiner Nachkommen waren dann in die Katastrophe des protestantischen und protestierenden Adels im Lande unter der Enns des Jahres 1620 verwickelt, der nach der Niederlage des Winterkönigs in der Schlacht am Weißen Berg von Kaiser Ferdinand II. als aufrührerisch und rebellisch geächtet wurde.

Franz erlebte das mit Sicherheit nicht mehr. Er hat von etwa 1570 an die Herrschaft Michelstetten bewirtschaftet, dort und in dem benachbarten Klement die Schlösser gebaut, beziehungsweise um- und ausgebaut und schon 1570 dafür gesorgt, dass der Pfarrer von Michelstetten der wahren Augsburgischen Konfession „zugetan“ war.

Von 1581 bis 1585 wirkte er als Vertreter des Ritterstandes im Landhaus und erreichte –- wahrscheinlich aufgrund des sich mehrenden Wohlstandes und dieser Tätigkeit –, dass er 1589 in die obere Schicht des Adels, in den „Herrenstand“ aufgenommen wurde. Nunmehr durfte er sich als „Freiherr“ oder „Baron“ bezeichnen.

Im Jahre 1592 kam es zu jener Auseinandersetzung, die sich durch fast zehn Jahre hinzog und von der jenes letzte Schreiben, das bereits erwähnt wurde, noch kündet. Der Erzherzog Matthias, der als Statthalter das Land verwaltete und durch seinen Ratgeber Melchior Khlesl beeinflusst immer wieder versuchte, der Gegenreformation zum Durchbruch zu verhelfen, wobei auch kleine und kleinste Belange nicht außer Acht gelassen wurden, schrieb im Oktober 1592 an den Besitzer von Michelstetten, der auch Patronatsherr der dortigen Pfarre war, dass sich sein „Predicant“ der „Religions Concession gemäß zu verhalten“ hätte. Er solle Angehörige anderer, insbesondere natürlich katholisch pastorierter Pfarren vom Gottesdienst ausschließen; vor allem wurde ihm aufgetragen, die Angehörigen der Pfarre Asparn an der Zaya „zu ihrer ordentlichen hern Pfarr hinweisen“.

Damit sollte erreicht werden, dass wenigstens jener Teil der Bewohner des Landes, die zu keiner der damals etwa 230 evangelischen Pfarren gehörte, beim Katholizismus verblieb. Dazu sollten auch Strafmaßnahmen dienen, die auch dem Franz von Gera und seinem Pfarrer Mag. Lucas Kirchmeyer angedroht wurden.

Der Prediger antwortete dem Landesherrn und wies darauf hin, dass er der wahren Augsburgischen Confession anhinge und keinerlei ketzerische oder sektiererische Sonderlehren vertrete. Und obwohl für ihn das Papsttum alle Kennzeichen des Antichristen aufweist und er sich nach Hes 33 als von Gott gesetzter Wächter fühlt, „hielte er den religions friedt“.

Franz von Gera hingegen erklärt, dass er noch nie in fremde Rechte eingegriffen hätte. Gleichzeitig gab er allerdings ein grundsätzliches Bekenntnis zur gegenseitigen Achtung der Religionen ab: „… es mögen gleichwohl von anderen ortten personen zu seiner predig und gottesdienst auß aigner bewegnuß khommen, wie ich demenntgegen meinen unndterthanen, so nit der Evangelischen Religion, anndere kirchen zu besuchen niemals verwehrt … “

Der Erzherzog war freilich damit nicht einverstanden und es war eine Zeit durchaus offen, ob nicht der Michelstettener Herrschaftsbesitzer den Weg ins Gefängnis anzutreten hätte.

Das war wohl die deutlichste Form des Bekenntnisses des Adeligen Herrn von Gera zum Luthertum. Ansonsten versuchte er, in seiner Herrschaft und auch während seiner Tätigkeit im Landhaus seine klare konfessionelle Position zu wahren, ohne freilich in irgendwelche Extreme zu verfallen.

Seiner Generation war es noch geschenkt, durch die Verbindung von adeligen Privilegien mit religiöser Überzeugung dem evangelischen Bekenntnis im Lande unter der Enns für seine Zeit eine Heimstatt zu bereiten. Zwei Jahrzehnte nach seinem Tod war die Intoleranz der Gegenreformation siegreich. Nunmehr war es überhaupt niemandem mehr erlaubt, in diesem Lande den evangelischen Gottesdienst, die Predigt eines evangelischen Geistlichen aufzusuchen.

 

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen – Franz von Gera
Aus: Glaube und Heimat 1989, S.36-38.