1871 berief ihn Kaiser Franz Joseph nach Wien. Dem berühmten Architekten traute man zu, Großes für die Ringstraße, die neue Prachtstraße, zu planen und einen Weg aus der verfahrenen Situation der Museen für die kaiserlichen Sammlungen (Kunst und Natur) zu finden. Eigentlich sollten ja alle kaiserlichen Sammlungen an der Ringstraße ein prächtiges Domizil bekommen, aber das hatte man bereits aufgegeben.

Kaiserforum, 1869 (Wien, HHStA)
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Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der Calvinist Semper beauftragt wurde, Bauten von »monumentaler Festlichkeit« zu planen. Aber es reizte ihn, einen »Ort eindrucksvoller Öffentlichkeit« zu schaffen. Also Motivation genug, ein »Kaiserforum« zu planen, das sich von der Hofburg bis zu den beiden Hofmuseen erstreckt hätte. Da der bekannte Maler Rudolf von Alt Sempers Entwurf bildlich dargestellt hat, kann man sich eine ungefähre Vorstellung davon machen. Warum das Kaiserforum nicht gebaut wurde? Erst waren es finanzielle Gründe, dann das herannahende Ende der Monarchie. Aber Wien bekam dennoch Sempers Gesicht durch seine Werke: Er entwarf das Burgtheater, gebaut 1873-1888, das Kunsthistorische Museum, gebaut 1872-1881, vollendet 1889, das Naturhistorische Museum, gebaut 1872-1881, vollendet 1891, die Neue Burg, gebaut  1881-1923 und das k.k. Hoftheater-Kulissendepot bzw. Decorations-Depot (Semperdepot), gebaut 1874-1877.

Semper war zunächst in Dresden erfolgreich. Mit seiner Schrift »Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten« erregte er Aufsehen. Zuvor glaubte man nämlich, dass die antiken Bauten und Plastiken, die so schön weiß in der südlichen Sonne glänzen, genau so konzipiert waren. Durch Semper wissen wir, dass diese Bauten und Plastiken farbig angemalt waren. 1834 wurde er Professor für Baukunst und Vorstand der Bauschule an der Dresdner Kunstakademie. Er baute das Maternihospital 1837-1838, die Synagoge 1838-1840 und begründete so seinen Ruf als bedeutender Baumeister. In einer Zeit allgemeiner stilistischer Unsicherheit konnte er mit dem überlieferten Formengut souverän umgehen. 1838-1841 baute er die Dresdner Hofoper, heute als »Semperoper« weltbekannt. Mehrfache Pläne zum Zwinger-Forum wurden nicht berücksichtigt. Aber ein neuer Plan für den ganzen Platz wurde 1847-1855 als vollkommenes Ensemble realisiert. Die damit entstandene Platzanlage zwischen Zwinger, Hofkirche und Schloss durch den Bau der Gemäldegalerie und des Hoftheaters beeindruckt bis heute als einzigartiges Ensemble.

1839-1840 baute er die Villa Rosa für den Bankier Martin Wilhelm Oppenheim, die bis heute als Prototyp deutscher Villenkultur gilt. Semper gewann den ersten Preis in einem Wettbewerb um die Hamburger Nikolaikirche, sein Vorschlag war ein in byzantinischen Formen gehaltener Sakralbau. Sempers Plan wurde zugunsten eines neugotischen Projekts verworfen, was seine Ablehnung neugotischer Sakralbauten noch verschärfte. Die Verteidigungsschrift »Über den Bau evangelischer Kirchen« 1845 wurde zu einer Programmschrift für seinen universalhistorischen Standpunkt in der Stilfrage. Im Pariser und Londoner Exil schloss er seine »Vergleichende Baulehre« ab. Seine Mitarbeit an der Weltausstellung in London und die dortigen Kunstzustände reflektierte er in »Wissenschaft, Industrie und Kunst«. Dafür erhielt er 1852 eine Professur am neu gegründeten Department of Practical Art im Marlborough House in London. 1863 erschien dann sein zweibändiges theoretisches Hauptwerk »Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik« (1.Teil, 2. Teil).

1855 übernahm er die Direktion der Bauschule am neu gegründeten Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich. Semper verwarf alle vorliegenden Baupläne. Sein Plan wurde ausgeführt, und deshalb ist die ETH Zürich bis heute eine Sehenswürdigkeit. Ab 1855 wirkte Semper hier als Professor für Architektur und wurde so zum weltberühmten Lehrer vieler erfolgreicher Architekten in der ganzen Welt. 1863-1869 baute er sein klassischstes Werk, das – polychrom konzipierte, aber so nicht realisierte – Stadthaus von Winterthur.

Semper war politisch konsequent, und deshalb wurde 1871-1878 das zweite Hoftheater in Dresden zwar nach seinen Bauplänen, aber unter der Bauführung seines Sohnes Manfred gebaut.

Ab 1868 war er Mitglied der Akademie der bildenden Künste und ab 1869 der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens. Zunehmend freute Semper die Arbeit in Wien bis 1876 immer weniger: die leidige Bürokratie, die ewigen Querelen mit seinem »Partner« Hasenauer zwangen ihn zum Aufhören. Semper war als Star aus dem Ausland geholt worden, der 30 Jahre jüngere Hasenauer tat nach Sempers Abgang so, als ob er alles alleine gebaut hätte.

Ein berühmter Wissenschaftler, der einem Ruf im Ausland folgte, soll gesagt haben: »Im Ausland kann ich die Zeit, die ich in Wien für die Intrige brauche, für meine Arbeit verwenden.«

 

  • Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien: Picus-Verl. 2009, S. 136-138.