Von Bernd Zimmermann

 

Die immer noch gern gelesenen Reiseerzählungen Karl Mays und in jüngster Zeit die Anwesenheit Tausender türkischer Gastarbeiter haben für viele von uns das Bild von der Türkei geprägt. Die meisten wissen wohl noch aus ihrer Schulzeit die Daten der beiden Türkenbelagerungen Wiens, 1529 und 1683, doch ist die akute Bedrohung des einzelnen durch dieses mächtige Reich für den Menschen des 20. Jahrhunderts kaum noch nachzuempfinden. Bereits im 15. Jahrhundert hat es türkische Einfälle in unseren Raum gegeben. Diese Raubzüge, vor allem nach Kärnten und in die Steiermark, versetzten die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Als jedoch 1521 mit dem Fall Belgrads und 1526 durch die unglückliche Schlacht bei Mohaćs auch der größte Teil Ungarns in osmanische Hände fiel, hatte die Stoßkraft der islamischen Heere die Grenzen der habsburgischen Länder erreicht. Die Grausamkeit der türkischen Soldaten und das Mitführen vieler Gefangener in die Sklaverei wurde durch Berichte und Flugschriften überall bekannt. Die Furcht vor diesem Gegner wuchs, da die militärischen Gegenmaßnahmen Ferdinand I. aufgrund ständiger Finanznöte unzureichend ausfielen. Kaiser Karl V. waren durch die Kriege mit dem französischen König Franz I. die Hände gebunden, sodass auch er seinem Bruder keine entscheidende Hilfe in der Türkenabwehr leisten konnte.

In dieser Zeit ständiger Kriegsfurcht übernahm im Jahre 1530 ein Mann die Landeshauptmannschaft der Steiermark, der zu einem der bedeutendsten Führer der österreichischen Protestanten in den ersten Reformationsjahrzehnten werden sollte. Hans Ungnad, Freiherr von Sonnegg, erhielt dieses hohe Amt als Nachfolger Siegmund von Dietrichsteins, dessen Eintreten für die neue Lehre bereits den Keim für ein rasches Erstarken des Protestantismus in Innerösterreich gelegt hatte.

Durch das Näherrücken der Front gegen den osmanischen Feind war die Steiermark zu einem Zentrum in der Organisation der Abwehrmaßnahmen geworden. Mehrmals wurden die steirischen Stände von Krain und Kroatien erfolgreich um Hilfe gebeten. Zu den Aufgaben der Behörden und des Landeshauptmanns an ihrer Spitze gehörte es in jenen Jahren vornehmlich, für den Schutz und die Sicherheit des Landes zu sorgen. Ungnad schaffte Waffen, Geschütze, Munition herbei, ließ Proviantmagazine errichten, warb Truppen an, sorgte für das Anlegen von Verhauen in den Tälern und erneuerte das Warnsystem der „Kreidfeuer“. Fast noch wichtiger als diese Verteidigungsmaßnahmen war jedoch das Aufbringen der dafür notwendigen Finanzmittel. Auf den Landtagen verstand er es als Vertreter und Beauftrager des Landesfürsten, die Vorschläge der Regierung zu begründen und die Stände zu bewegen, Geld und Truppen im Kampf gegen die Türken und gegen Zápolya, den ungarischen Gegenkönig und türkischen Vasallen, zu bewilligen. Bei Ausschusslandtagen, den Zusammenkünften mehrerer habsburgischer Länder, wurde Ungnad oft zum Wortführer der Gesandten der am meisten bedrohten Länder. Auch auf mehreren Reichstagen schilderte er mit Nachdruck den versammelten Fürsten die Größe der im Osten drohenden Gefahr, um sie für eine Reichshilfe gegen die Türken zu gewinnen.

Als Folge der verfehlten türkischen Planung musste 1529 zwar die Belagerung Wiens abgebrochen werden – in jenen „glücklicheren“ Zeiten ruhten noch während der Wintermonate die kriegerischen Auseinandersetzungen -, doch waren dadurch die osmanischen Aggressionsbestrebungen keineswegs gebrochen. Bereits drei Jahre später, 1532, setzte das Herannahen eines türkischen Heeres von etwa 200.000 Kriegern unter der Führung Sultan Süleymans I. die Bevölkerung in Schrecken. Verzögert durch die Belagerung der von Niklas Jurischitz heldenmütig verteidigten kleinen westungarischen Stadt Güns und abgehalten durch die Nachricht eines bei Wien lagernden Reichsheeres, das sich nicht zu einer von ihm erhofften offenen Feldschlacht in den weiten Ebenen Ungarns gestellt hatte, beschloss der Sultan den Rückzug. Noch vor Eintreffen des kaiserlichen Heeres in Wien waren jedoch 16.000 „Akindschi„, leichte türkische Reiterei, in der Oststeiermark und im südlichen Niederösterreich eingefallen. Durch ihre Beweglichkeit waren diese als „Renner und Brenner“ bekannten Truppenteile besonders gefürchtet, da sie auch in abseits der Heerstraße gelegenen Dörfern und Einzelgehöften mordeten, plünderten, brandschatzten. Unter ihrem Anführer Kasim Bey waren sie bis zur Enns vorgedrungen. Um König Ferdinand zu schützen, der sich mit seiner Familie nach Linz geflüchtet hatte, eilte Hans von Ungnad an der Spitze von 1000 schweren Reitern nach Oberösterreich. Bei Gleink in der Nähe Steyrs konnte er eine Abteilung der feindlichen Truppen in die Flucht schlagen. In Linz erfuhr er vom Rückzug des Sultans mit dem Hauptheer. Auch Kasim Beg trat den Rückzug an, um den Zusammenhang mit der Hauptmasse der Truppen nicht zu verlieren. Nun erschien aber Graz durch Süleyman ernstlich gefährdet. Eilends musste Ungnad daher seine Reiter wieder in die Steiermark führen. Glücklicherweise war der Sultan jedoch bereits an Graz vorbeigezogen. Daraufhin eilte Ungnad neuerdings nach Norden, wo man das Ausbrechen der Truppen des Kasim Beg aus den Gebirgstälern in die Ebene des Steinfeldes erwartete. In der Schlacht bei LeobersdorfEnzesfeld wurden sie von an Zahl und Material überlegenen Reichstruppen unter Friedrich II., Pfalzgraf bei Rhein, und dem kühnen Sebastian Schertlin von Burtenbach entscheidend geschlagen. Einigen Tausend gelang die Flucht. An der Schwarza, im Föhrenwald zwischen Wiener Neustadt und Fischau, wurden sie jedoch vom Feldhauptmann Hans Katzianer, Hans Ungnad und Paul Bakić mit seinen ungarischen Husaren zu einem neuerlichen Gefecht gezwungen. Den sicheren Tod vor Augen kämpften die Türken mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Übermacht der christlichen Truppen und wurden bis auf wenige niedergemacht. Mit Stolz erinnerte sich Ungnad an seinem Lebensabend dieser Kämpfe, wie viele Feinde er getötet und wie viele Pferde er an diesem Tag verloren habe. Solche Kampfeslust mag uns heute abstoßen, ist jedoch aus den besonderen Voraussetzungen im Streit mit den „Ungläubigen“ – auf welcher Seite immer -, seien es nun Christen oder Muslime, zu verstehen. Leider ließen sich die Reichstruppen nicht bewegen, dem abziehenden Feind nachzueilen, um vielleicht einige türkische Eroberungen in Ungarn, also schon jenseits der Reichsgrenzen, zurückzugewinnen. Wenn auch die Ereignisse des Türkenjahres 1532 der Nachwelt nicht so allgemein bekannt sind wie etwa die von 1529, so wurde aber vor nun mehr als 450 Jahren doch dem Feinde Einhalt geboten. Über 150 Jahre, nämlich bis 1683, war unsere Heimat nicht mehr unmittelbar von türkischen Heerscharen bedroht.

Die allgemeine politische Lage ließ den steirischen Landeshauptmann allerdings nicht zur Ruhe kommen. Im Sommer und im Frühherbst 1536 findet man ihn an der Spitze eines Kontingentes innerösterreichischer Soldaten in Piemont, um die Truppen Karls V. im Kampf gegen Franz I. von Frankreich zu verstärken; 1537 nimmt er an dem für die habsburgischen Truppen so unglücklichen Zug zur Rückeroberung von Esseg in Slawonien teil. Nachdem die Eroberung der Stadt aussichtslos erschien, empfahl Ungnad, die durch Seuchen und Lebensmittelmangel geschwächten Mannschaften zurückzuziehen. Uneinigkeit der Führer und Fehler des Oberkommandierenden Katzianer bewirkten den verfrühten Abzug einzelner Truppenteile. Die Zurückgebliebenen wurden von den Türken umzingelt und vernichtet. Da auch Ungnad vorher abgezogen war, musste er sich deshalb vor König Ferdinand und den Ständen verantworten. Es gelang ihm, sich zu rechtfertigen und seinen Ruf zu retten.

Das Vertrauen zu ihm und in seine militärischen Fähigkeiten wurde durch die auf wiederholte Bitten der österreichischen Stände – am 12. Januar 1540 erfolgte Ernennung zum „Generalcapitän der fünf niederösterreichischen, windischen und kroatischen Lande“ bestätigt. Anfang 1542 bürdete man ihm zu all seinen anderen Pflichten auch noch die eines niederösterreichischen Statthalters auf. Als solcher hatte Ungnad Sitz und Stimme in der Regierung. Dieses neue Amt musste er jedoch bald in die Hände eines Vertreters legen. Im Sommer 1542 nahm er nämlich an der Spitze von 10.000 Reitern am Kriegszug unter dem Reichsfeldherrn Joachim von Brandenburg zur Befreiung von  Ofen und Pest teil. Mit seiner Kavallerie konnte er natürlich in die Belagerung nicht eingreifen. Mit Erfolg deckte er aber den Abzug des Reichsheeres und konnte die nachrückenden Türken bis vor die Mauern Pests zurückschlagen. In Anerkennung dieser Leistungen ernannte Ferdinand Ungnad zum Oberbefehlshaber der königlichen Truppen in Ungarn. Mit vollkommen unzulänglichen Mitteln ausgestattet, konnte Ungnad nicht verhindern, dass 1543 in einem von Süleyman selbst befehligten Eroberungszug eine Reihe ungarischer Städte in die Hände der Türken fiel. Trotzdem gelang es ihm, in bedrohten Gebieten durch geschickte militärische Taktik den Feind zu täuschen, wodurch Schlimmeres verhütet werden konnte. Da Ungnads wiederholte Forderungen um Verstärkungen nichts fruchteten, bat er den König um Entlassung aus der obersten Feldhauptmannschaft. Alle Versuche, ihn umzustimmen, scheiterten. Doch auch weiterhin wandte man sich immer wieder in militärischen Fragen an Ungnad um Rat.

Die Familie Ungnad, aus altem Kärntner Adel, hatte bereits im 15. Jahrhundert Einfluss und Reichtum gewonnen. Sowohl der Großonkel als auch der Großvater Hans Ungnads waren enge Berater Kaiser Friedrichs III. gewesen. Privilegien, vor allem für ihr Eisenbergwerk Waldenstein, legten einen Grundstein zum Reichtum der Familie. Hauptsächlich in Kärnten, später auch in Kroatien, besaß die Familie weitere Bergwerke. Die darin gewonnenen Erze wurden zum Teil auch in eigenen Produktionsstätten weiter veredelt.

Hans von Ungnad dürfte 1493, vielleicht auch erst 1496, geboren worden sein. Nach einer Erziehung am Hofe Kaiser Maximilians wurde er zuerst von Kärnten, dann von der Steiermark für politische und militärische Dienste herangezogen. Mit den Gedanken der neuen Lehre dürfte er schon bald in Kontakt gekommen sein. Auch in der Steiermark war ja die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungskreise mit den Zuständen in der Kirche spürbar. Die Nachrichten über Reformbestrebungen des Wittenberger Augustinermönches wurden gerade von den führenden Kreisen, dem Adel, mit Interesse aufgenommen. Sehr wahrscheinlich hat Ungnad bereits während der Landeshauptmannschaft Dietrichsteins vom Geist der Reformation erfüllte Predigten auf der Grazer Burg gehört. Ungnads verwitwete Mutter war Obersthofmeisterin der Königin Maria von Ungarn. Bevor diese 1531 als Stadthalterin in die Niederlande gehen sollte, verlangte ihr Bruder, Kaiser Karl V., die Entfernung der Margarethe von Ungnad von ihrem Hofe, sie wurde nämlich beschuldigt, lutherisch gesinnt zu sein.

Schon bald nach Übernahme seiner neuen Stelle als Landeshauptmann wurde Ungnad mit der religiösen Frage konfrontiert. Ebenso wie sein Amtsvorgänger Dietrichstein bekam er es mit dem Vorhandensein von „Wiedertäufern“ zu tun. Diese reformatorische, aber auch soziale Bewegung hatte in der Steiermark Anhänger gefunden. Sie wurde von Kirche und Staat, aber auch von den lutherisch gesinnten Ständen erbittert verfolgt. Hatte Dietrichstein im Brucker Wiedertäuferprozess noch zwölf „Brüder und Schwestern“ hinrichten lassen, so versuchte Ungnad durch das Einsetzen von „Pönitential-Kommissären“ die Wiedertäufer durch Überzeugung von ihrer Lehre abzubringen. Ungnad hielt sie für „fromme, einfältige Leute“ und äußerte sich, dass er es nicht über sich brächte, einen Menschen um des Glaubens willen töten zu lassen. Dennoch musste er später dem Druck des Königs nachgeben und konnte ebenfalls Hinrichtungen nicht verhindern.

Die neuen Lehren fanden zunehmend Anklang, hatten aber in den ersten zwei, drei Jahrzehnten nach dem Auftreten Luthers in den österreichischen Ländern noch keinen allgemeinen Durchbruch erreicht. König Ferdinand bemühte sich, durch Erlässe und Strafmaßnahmen die Verbreitung dieser geistigen Bewegung zu unterbinden. Außerdem versuchte er durch eine Reihe von Maßnahmen, die Kirchenzucht und -ordnung zu heben, um damit den Grund der Unzufriedenheit aus der Welt zu schaffen. In starkem Maße wurden Adelige zu den Vorkämpfern einer eigenständigen evangelisch-kirchlichen Bewegung. Der oft gehörte Vorwurf, der Adel sei hauptsächlich an den Gütern der Kirche interessiert gewesen, mag wohl für einige zutreffen, verleugnet aber das Gewinnen einer glaubensmäßigen Überzeugung. Ohne Zweifel kam es zu einer Umschichtung von geistlichen Gütern in adelige, aber auch bürgerliche Hände. Dies ist jedoch auch darauf zurückzuführen, dass Ferdinand I. wegen des enormen Finanzbedarfes für die Türkenabwehr gezwungen war, die Kirche zur verstärkten Steuerleistung heranzuziehen. Durch die „Terz“ und später die „Quart“ mussten etliche, vor allem wirtschaftlich schwächere oder durch Misswirtschaft herabgekommene Klöster einen Teil ihres Grundbesitzes veräußern. Diesen dann zu erwerben, waren kapitalmäßig vor allem der Adel und das zu gesellschaftlichem Aufstieg drängende reiche Handelsbürgertum in der Lage. Außerdem waren es nicht nur evangelische Adelige, sondern auch Familien, die sich stets zur katholischen Kirche bekannt haben. Oft suchte man nur jene Güter zurückzuerhalten, die einst von den Vorfahren Pfarren und Klöstern gestiftet worden waren.

Die protestantischen Stände wurden oft auch beschuldigt, im Kampfe um die Glaubensfreiheit den Staat unter Druck gesetzt und dadurch den Türken Vorschub geleistet zu haben. Doch selbst am Höhepunkt ihrer Macht standen die Führer der Protestanten in den österreichischen Ländern ihrem Herrscher loyal gegenüber. Sie haben sich nicht an Aufständen beteiligt wie etwa in Böhmen und Ungarn. Als ein Beispiel dafür, wie staatstragend der evangelische Adel sein konnte, kann eine Initiative Ungnads aus dem Jahre 1541 gelten. Von der Notwendigkeit einer engeren Bindung der habsburgischen Länder durchdrungen, legte er Ferdinand ein Programm vor: Die durch den Herrscher vereinten, aber sonst ängstlich auf ihre Selbständigkeit bedachten Länder sollten durch eine Vereinheitlichung der Verwaltung, durch gleichmäßige Steuereinhebung, durch eine einheitliche Erbfolge usw. enger miteinander verbunden werden. Dieser von der Forschung als Anfang der österreichischen Gesamtstaatsidee bezeichnete Plan war jedoch zu zukunftsweisend und wurde auf der Prager Ländertagung von 1541 nur zum Teil angenommen. Für die Geschichte der evangelischen Kirche Österreichs ist diese Zusammenkunft deshalb bedeutsam, weil hier erstmals gemeinsam von den Ständen vom Herrscher die Gewährung der Augsburgischen Konfession erbeten worden ist. Ungnad als Sprecher der Abgesandten der Erbländer bat den König, um der Ehre Gottes willen zuzulassen, „dass Gottes Wort rein und lauter gepredigt werde, und dass er gegen niemand, der das Abendmahl unter beiden Gestalten nimmt, eine Ungnade tragen, sondern einen Stillstand bis auf ein allgemeines Konzil einhalten wolle“. Ferdinand antwortete, er sei geneigt, alle Missbräuche auszurotten, die Erledigung ihrer Bitten verweise er jedoch auf das Konzil.

Ungnad forderte daraufhin bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit die „raine gottliche leer“ und das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Diese Beharrlichkeit erregte den Unwillen des Herrschers. Mit immer schärferen Worten forderte er von Ungnad die strikte Einhaltung der königlichen Mandate gegen das um sich greifende Bekenntnis zur lutherischen Lehre. Ungnad, der zwischen seiner inneren Überzeugung und seinen Verpflichtungen als ausführendes Organ der Befehle des Landesfürsten entscheiden musste, reichte Ende 1553 seinen Rücktritt ein. Ferdinand, der ihn doch zuvor auch zum „Obristen veldhauptmann an der Windischen und crabatischen gränczen“ gemacht hatte, forderte ihn jedoch auf, seine Ämter wenigstens ein Jahr beizubehalten, da er seinen Platz in der gegenwärtigen militärischen Lage nicht so bald ersetzen könne.

Alle Versuche der Stände, Ungnad umzustimmen, waren vergeblich. Er fühlte sich gedrungen, die Heimat zu verlassen, da er seinen Lebensabend dort verbringen wollte, wo eine liebe „raine Kirch“ ist. Dieser Entschluss zum freiwilligen Exil erregte großes Aufsehen, da Ungnad nicht nur in den österreichischen Ländern, sondern auch im Reich hohes Ansehen genoss. In der zweiten Jahreshälfte 1555 wandte er sich nach Wittenberg. Von dort versuchte er, durch seine weitgespannten Beziehungen im Reich für eine neue politische Einigung der evangelischen Fürsten zu arbeiten. Es enttäuschte ihn sehr, dass Melanchthon seine Pläne nicht unterstützte. Dieser betonte die Unmöglichkeit, zu einer vorher notwendigen Verständigung der einzelnen Theologenschulen zu gelangen. Angewidert vom Streit der Theologen, oft um dogmatische Spitzfindigkeiten, nahm er eine Einladung Herzog Christophs von Württemberg an, in sein Land zu kommen.

Herzog Christoph, einer der eifrigsten Förderer der Reformation, setzte ebenso wie Ungnad große Hoffnungen auf eine Einigung aller Evangelischen durch einen Fürstentag. Ungnad, der mit den politisch regsten Führern der Protestanten, Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Albrecht von Preußen, in Briefwechsel stand, konnte Christoph in mehreren diplomatischen Missionen gute Dienste leisten.

Im ehemaligen Stift von Urach, das ihm vom Herzog zur Verfügung gestellt wurde, begann nun ein Abschnitt in der Geschichte der Reformation, der stets mit dem Namen Ungnads verbunden sein wird. Das Wort Gottes den Menschen in ihrer Muttersprache nahezubringen, gehört zu den Grundanliegen der Reformation. In diesem Bestreben hatte der aus Glaubensgründen aus seiner slowenischen Heimat vertriebene Domherr Primož Trubar einige Teile des Neuen Testamentes in seine Muttersprache übersetzt und drucken lassen. Mangels Unterstützung konnten diese Drucke jedoch nicht die erhoffte Verbreitung finden. Als Truber sich mit dem Freiherrn Ungnad in Verbindung setzte, fand er in diesem einen begeisterten Anhänger seiner Bestrebungen. Im Stift von Urach wurde eine Bibelanstalt begründet, die innerhalb der wenigen Jahre ihres Bestehens Grundfesten legte für die Reformation bei den Slowenen und Kroaten. Ungnad verstand die Aufgabe, den südslawischen Völkern die „reine Lehre“ in ihren Muttersprachen zu vermitteln, nicht nur als einen Auftrag des Glaubens. Der alte Feldherr sah darin auch eine politische Notwendigkeit, denn nur eine Ausbreitung des Evangeliums und die dadurch ausgelöste Glaubensfestigung könne die bedrohten Länder stark genug machen, dem Ansturm des türkischen Erbfeindes standzuhalten und ihn zu brechen. In diesem Lichte muss man auch die Missionierungsversuche in den türkischen Gebieten sehen, die von Ungnad und seinem Kreis geplant wurden. Für die Übersetzungen ins Kroatische gewann Ungnad neben anderen zwei Priester aus Istrien, Stephan Consul und Anton Dalmata, die wegen ihrer protestantischen Gesinnung in ihrer Heimat amtsenthoben waren.

In den kurzen Jahren (1561-1565) der „windischen, Chrabatischen und Cirulischen Trukherey“ entstanden 37 Druckwerke mit Übersetzungen von Bibelteilen und Reformationsschriften in ca. 31.000 Exemplaren. Vor allem für die slowenische Sprache sind diese Bücher von entscheidender Bedeutung, da sie den Beginn ihrer gedruckten Literatursprache überhaupt bilden. Ungnads Verdienst liegt nicht nur in der Bereitstellung großer Summen aus seinem eigenen Vermögen, sondern auch in seinem unablässigen Bemühen, bei Fürsten und Reichsstädten Unterstützung für das Unternehmen zu finden. Wie sehr sein Sendungsbewusstsein und seine Tatkraft dieses Werk getragen haben, wird dadurch deutlich, dass bereits wenige Monaten nach seinem am 27. Dezember 1564 erfolgten Tod die Arbeiten eingestellt wurden. Er, der aus Gewissensgründen bereits die Heimat verlassen hatte, bevor noch evangelisches Leben in den österreichischen Landen seinen Höhepunkt erreichte, musste nicht mehr erleben, dass der rauhe Wind der Gegenreformation jene Keime, die er durch sein Werk bei den südslawischen Völkern legte, fast restlos zerstörte.

 

Aus: Glaube und Heimat. Evangelischer Kalender für Österreich 36. Jg. 1982, S. 77–81.