Von Prof. Dr. Dr. Harald Uhl

Hans Karl Gustav Döring wurde am 16. Dezember 1875 in Osnabrück (Niedersachsen) als Sohn des Oberstleutnants Friedrich Döring und seiner Ehefrau Emilie geb. Franzius geboren. Beide Eltern stammten aus Ostfriesland und waren evangelisch-lutherisch, so dass Hans Döring in einem traditionell evangelischen Elternhaus aufwuchs. Der Bruder der Mutter, Ludwig Franzius, (1832 – 1903), hat als Wasserbauingenieur durch die sog. Weserkorrektur den Anschluss des Hochseehafens von Bremen an Bremerhaven geschaffen und war für Hans Döring zeitlebens Vorbild eines erfolgreichen Ingenieurwissenschaftlers. Sein Berufsweg sollte aber ein anderer werden. Kindheit und Jugend mit mehreren Geschwistern wurden durch den großbürgerlichen Zuschnitt des Elternhauses in Osnabrück mit Kindermädchen, Reitstall und weiterem Personal, durch Gymnasium und wegen der mangelnden Sprachbegabung Realgymnasium geprägt. Den Konfirmandenunterricht und die Konfirmation übernahm der örtliche Garnisonpfarrer, ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen, im Gegenteil: Es folgte eine kirchenferne Phase, die sogar Kontakte zu frühen antisemitischen Strömungen brachte. Eine militärische Kadettenausbildung zerschlug sich durch den Misserfolg bei der Aufnahmeprüfung. Die einjährige Militärdienstzeit wurde absolviert.

Inzwischen setzte sich in einem wechselhaften inneren Prozess der Wunsch durch, als Missionar in die Dritte Welt zu gehen. Er besuchte für Sprach- und theologische Studien eine Bibelschule in England und kam dort mit der 1804 in London gegründeten und dort ansässigen Britischen und Ausländischen Bibelgesellschaft in Verbindung, die ein weltweites Netz der Bibelverbreitung und –übersetzung entwickelt hatte. Sie entsandte Hans Döring im Jahr 1900 in die chinesische Hafenstadt Hongkong, von 1843 – 1997 britische Kronkolonie. Dort organisierte er in den nächsten 17 Jahren mit Einsatz von zahlreichen einheimischen Bibelboten (Kolporteuren) erfolgreich zunächst in der Stadt und im Hafen von Hongkong, in der Folge auf ausgedehnten Reisen per Pferd und Kamel in den Norden und Nordwesten von China eine ständig wachsende Verbreitung biblischer Schriften in verschiedenen chinesischen Übersetzungen und ließ sich weder durch eine Pestepidemie in der Hafenstadt noch durch den sog. Boxeraufstand (1899-1901) beirren, dem zahlreiche chinesische Christen und europäische Kaufleute und Missionare zum Opfer fielen. Auf seinen Reisen verfasste er umfangreiche handschriftliche Berichte, die bis heute unveröffentlicht geblieben sind.

Am 2. Mai 1908 heiratete Hans Döring in der lutherischen Kirche von Hongkong die am 2. Juli 1878 Berlin geborene Missionsschwester Martha-Maria Döring, geb. Wollermann. Der Ehe wurden vier Kinder geschenkt, zwei Töchter, Anna und Martha-Maria (Mia), und zwei Söhne, Hans Gottfried (Hanfried) und Ernst. Die Bibelverbreitung konnte trotz Unterbrechungen durch lokale revolutionäre Vorkommnisse bis 1916 fortgesetzt werden. Im weiteren Zuge des Ersten Weltkriegs musste Hans Döring, wie die meisten westlichen Ausländer, China mit seiner Familie verlassen. Die Bibelgesellschaft wies ihm neue Aufgaben im Deutschen Reich zu, in den Nachkriegsmonaten unter Kriegsgefangenen.

1923 entsandte ihn die Bibelgesellschaft in die inzwischen zur Republik Österreich geschrumpfte ehemalige Donaumonarchie, um die Möglichkeiten eines neuen Anfangs von Wien aus zu prüfen. Dort war 1918 die für Österreich-Ungarn seit 1864 zuständige Zentrale mit dem Zerfall der Doppelmonarchie geschlossen worden. In Budapest, Prag und Belgrad waren neue Bibeldepots eröffnet worden, aus denen sich später selbstständige nationale Bibelgesellschaften entwickeln sollten. Hans Döring plädierte nach Besuchen in verschiedenen Landesteilen Österreichs für die Wiederaufnahme der Bibelgesellschaftsarbeit von Wien aus. Er konnte am 1. Juli 1924 in Räumen der Schwedischen Israelmission in Wien 9, Seegasse 16, die Arbeit der Britischen und Ausländischen Bibelgesellschaft wieder aufnehmen, die nach mehreren kurzfristige Lokalwechseln ab 1937 bis 1950 im Bibeldepot Operngasse 26/Ecke Faulmanngasse einen längerfristigen Standort fand.

Für seine Familie erwarb Hans Döring in der freikirchlichen Wohnbaugenossenschaft „Siedlung Eden“ in Wien Hütteldorf ein Einfamilienhaus, das auch für Mitarbeitertreffen, später gastfreundlich für Begegnungen mit in- und ausländischen Freunden genützt wurde. In kurzer Zeit gelang es Hans Döring, ein Team von Bibelboten aufzubauen, die jeweils in Wien und den Bundesländern biblische Schriften in evangelischen und katholischen Übersetzungen anboten. Die Kolporteure hatten bei ihren Besuchen von Haus zu Haus mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Auch 400 Jahre nach der Reformation war in der überwiegend durch die Gegenreformation wieder katholisch gewordenen Bevölkerung eine weitgehende Unkenntnis des gedruckten Gotteswortes anzutreffen. Die schwierige wirtschaftliche Lage breiter Bevölkerungskreise nach dem Ersten Weltkrieg bedeutete ein weiteres Hindernis, das durch die kostenlose Abgabe von Evangelien einigermaßen überwunden werden konnte. Ein besonderes Hindernis bildete die Gegnerschaft, ja Feindschaft weiter Teile des katholischen Klerus gegen das Lesen oder Kaufen von biblischen Texten in der Volkssprache. So mussten es die Bibelboten häufig erleben, dass ihre verkauften oder verteilten biblischen Schriften von katholischen Priestern eingesammelt und vernichtet wurden, nachdem vorher oder nachher von den Kanzeln gegen diese „lutherischen Schriften“ gewettert worden war. Trotz dieser Widrigkeiten konnten die sieben Bibelboten unter Leitung von Hans Döring die Bibelverbreitung von wenigen Tausend Exemplaren im Jahr 1924 bis 1936 auf rd. 35 000 Exemplare Evangelien, Neuen Testamenten und Bibeln steigern.

Inmitten dieser blühenden Pionierarbeit in Österreich wurde Hans Döring hinweggenommen, indem er am 11. Juni 1936 einem Herzschlag erlag. Als seinen Nachfolger berief die Bibelgesellschaft seinen engsten Wiener Mitarbeiter, den Wiener evangelischen Religionslehrer Karl Uhl (1907-1998), dem es gelang, unter den bedrängten Verhältnissen der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs die Arbeit der Bibelgesellschaft zu sichern. Im Jahr 1950 konnte das Bibelhaus in Wien 7, Breite Gasse 8, eröffnet und 1970 die Österreichische Bibelgesellschaft gegründet werden. Die Pionierarbeit von Hans Döring hat die dauerhafte Bibelverbreitung in dem Land der Gegenreformation bis in die Gegenwart zum Erfolg geführt.