Von Gustav REINGRABNER

Am 12. Februar 1967 verstarb im 84. Lebensjahr der frühere Pfarrer von Krems und Bregenz Professor Helmuth Pommer, nachdem er seit 1961 in Bregenz im Ruhestand gelebt hatte. Schon seine Amtszeit in Bregenz zeigt, in wie hohem Maße Pommer, wie auch andere Geistliche an anderen Orten – die Entwicklung von Gemeinden und der Kirche beeinflusst hat, wie auch er selbst in den geistigen Strömungen der Zeit stand. Pommer ist im Jahr 1917 zum Pfarrer von Bregenz gewählt worden, hat dort also die gesamte Entwicklung vom Ende des Ersten Weltkrieges bis weit in die Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg mitgemacht und gestaltet.

Bevor Pommer nach Bregenz gewählt wurde, war er Pfarrer in der jungen Gemeinde in Krems. Diese war als Los-von-Rom-Bewegung  gegründet worden, bildete zunächst ein Vikariat von St. Pölten und erstreckte sich bis weit ins Waldviertel hinein. Sie war ganz notdürftig in Räumlichkeiten untergebracht, die der erste Vikar von Krems, Max Monsky, hatte auftreiben können. Ein Teil eines aufgelassenen Klosters (heute ist dort die Weinakademie untergebracht) hat der Pfarrgemeinde für ihre Arbeit als Räumlichkeit gedient. Pommer, der 1906 aus Morchenstern nach Krems gekommen war, hat seine wichtigste Arbeit darin gesehen, der Gemeinde in Krems zu einem Gotteshaus zu verhelfen. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, welche Widerstände in der Stadt und vonseiten der katholischen Amtskollegen gegen die Errichtung einer evangelischen Kirche, die noch dazu den Namen „Heilandskirche“ tragen sollte, entgegengebracht wurde. Es ist fast ein Paradox, dass heute in Krems jene Straße, die unmittelbar an der evangelischen Kirche vorüberführt, den Namen jenes Propstpfarrers trägt, von dem der heftigste Widerstand ausgegangen ist.

Pommer gelang es, seinen Freund, Architekt Professor Otto 8artning, dazu zu bewegen, die Pläne für die Kremser Kirche zu zeichnen. Diesen hatte er in den Tagen seines Studiums in Halle an der Saale kennengelernt; Bartning war damals eben dabei, sich zu einem der führenden Architekten im Bereich des evangelischen Kirchenbaus zu entwickeln. Bartning hat den Entwurf für die Kremser Kirche vorgelegt, die seinem Verständnis von Gemeinde und Kirche entsprach: Die Gemeinde sollte sich um Kanzel und Altar sammeln, wenn Gottes Wort sie erreichen sollte, darum konnte es keinen Mittelgang geben, der vorwiegend menschlicher Eitelkeit diente, darum waren um den fünfeckigen Kirchenbau geschlossene dreiteilige Bänke gereiht, die rechts und links je einen breiten Gang hatten. Die Kirche in Krems konnte allem Widerstand und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zum Trotz gebaut werden, sie stellt einen der wenigen frühen modernen Kirchenbauten im evangelischen Österreich dar.

Es war kein Zufall, dass Pommer auf die Gestaltung des Raumes für den Vollzug des Gottesdienstes besonderen Wert legte, hat er doch von seinem Vater nicht nur die Verankerung im deutschnationalen Denken geerbt, sondern auch die Verbindung von Glaube und Zuwendung zur Welt. Kirche war für ihn nie eine Ghettoangelegenheit, Glaube nicht eine Sache des frommen Konventikels. Beide hatten sich in der Auseinandersetzung mit der Welt zu bewähren und beiden konnte es nur darum gehen, dass man die Dinge, die in dieser Welt und dem Leben in geistigen Werten vorhanden waren, benutzte und aufgriff und mit dem Glauben und dem Bekenntnis, soweit es nur ging, verband. Der Kirchenbau durch Otto Bartning in Krems ist ein Beispiel dafür, wie Helmuth Pommer dachte.

Das zweite Beispiel für die geistige Haltung Pommers war die Weiterführung der Ansätze, die der Vater im Bereich der Volksliedforschung aufgegriffen hatte. Dr. Josef Pommer  war einer der Pioniere der Volksliedforschung in Österreich gewesen, das jüngste seiner Kinder, Helmuth, hat vom Vater die musikalische Fähigkeit und das organisatorische Talent geerbt. Schon in den zwanziger Jahren kam es in Bregenz dazu, dass Helmuth Pommer eine Sängerrunde „Deutsches Volkslied Bregenz“ gründet. Diese erwies sich als Sammelstelle der mannigfachen und vielfältigen Bemühungen Helmuth Pommers um die Sammlung und Darbietung volksmusikalischer Schätze. Dabei hat Pommer weit über Vorarlberg hinaus gewirkt. Wichtig waren etwa 21 Volksliedwochen auf der Wülzburg  bei Weißenburg in Bayern. Jede dieser Volksliedwochen wurde mit einem Schlusssingen in der evangelischen Lorenzkirche in Nürnberg  beendet. Dieses Schlusssingen tat kund, dass im Zeugnis der Choräle und ihrer alten Sätze das Herzstück von Helmuth Pommers Wesen und Leben verborgen war.

Neben solcher Arbeit stand für den Bregenzer Pfarrer die Sorge um die angemessene Vertretung des Protestantismus im „Ländle“. Dort war es trotz der Existenz vieler angesehener evangelischer Familien dennoch nicht so einfach, evangelisch zu sein. Noch 1950 musste es Helmuth Pommer erleben, dass die Marktgemeinde Lustenau den bis dahin zur Verfügung gestellten alten Schulraum der Kirchengemeinde kündigte. Proteste dagegen hatten keinen Erfolg. Pommer war genötigt, in Lustenau eine Notkirche errichten zu lassen; das gelang ihm in wenigen Monaten. Als Mitglied des Landesschulrates, als Sprecher der Vorarlberger Protestanten kam Helmuth Pommer durch viele Jahrzehnte eine wichtige Rolle zu. Dabei ist zu sehen, dass sich während seiner Zeit die Situation der Vorarlberger Gemeinden innerlich wie äußerlich verbessert hatte, dass die Zahl der Evangelischen zugenommen hat, wobei ein allmählich immer deutlicher werdendes Überwiegen der Lutheraner gegenüber den Reformierten festgestellt werden musste. Das kam allerdings in der konkreten Arbeit nicht so sehr zum Ausdruck. Die Vorarlberger Gemeinden waren interkonfessionell-ökumenisch-evangelisch. Da fragte man nicht nach dem konfessionellen Zuhause, da wusste man sich im gemeinsamen Haus des Protestantismus geborgen. Und Helmuth Pommer konnte aus seiner Überzeugung von Glaube und Bekenntnis dazu voll und ganz „Ja“ sagen.

Natürlich gab es die Enttäuschung, die der Nationalsozialismus dem durchaus national eingestellten Pommer bereitete. Er konnte seine Enttäuschung nicht verbergen als 1938 in Vorarlberg jeder der in der NSDAP eine Verantwortung hatte, zum Austritt aus der Evangelischen Kirche genötigt wurde. In seinem Jahresbericht 1938 hat Pommer das auch sehr deutlich gesagt, dass viele Parteigenossen, vor allem auch solche in leitenden Stellen, „über Nacht vergessen haben, was die evangelische Kirche in Österreich für den nationalen Gedanken, abgesehen vom Religiösen, geleistet hatte, wie sie in der Systemzeit sich der Verfolgten angenommen und vielen Heimat und Heimstätte ihrer Gesinnung und ihrer völkischen Hoffnung bot, und sich nun darin gefallen, in die Ludendorffsche Kerbe von der Unvereinbarkeit des Christentums mit nationaler Gesinnung kirchlicher Zugehörigkeit und Nationalismus einzuhauen und so die Köpfe und Gewissen unsicher zu machen.“ Es war nicht einfach, unter diesen Umständen die Spannung von nationaler Begeisterung, die sich auf Luther berief, und der evangelischen Überzeugung, die erst recht ihren Berufungsgrund in Luther hatte, auszuhalten. Dass aber Pommer stets den Vorrang des Evangeliums bekannte und vertrat, ist einleuchtend, und dass nicht nur er, sondern auch seine Familie das Zeugnis vom Evangelium als Grund ihres Lebens akzeptierte und weiterzugeben bemüht war, beweist nichts besser als das, dass auch einer seiner Söhne Pfarrer geworden ist.

Pommer selbst hat durch seine Tätigkeit in Vorarlberg viele Spuren hinterlassen, wichtige Entwicklungen der Nachkriegszeit sind durch ihn initiiert worden, der Umbau der Gemeinden, wie er sich aus der Veränderung der sozialen Schicht ergeben hat, ist im wesentlichen Pommers Werk gewesen. So war er ein Zeuge für seinen Herrn Jesus Christus.

 

Aus: Glaube und Heimat 1990, S.42-45.