Die Begeisterungsfähigkeit der Wienerinnen und Wiener ist legendär. Als erstmals eine Giraffe Schönbrunn betrat – ein Geschenk des Vizekönigs von Ägypten 1828 –, reagierten sie außerordentlich: Mode, Kunsthandwerk und Gesellschaftsleben wurden durch die Giraffe geprägt, die einen nie da gewesenen Zustrom von Besucherinnen und Besuchern anzog. U. a. entstanden Kleider, Handschuhe und Gebrauchsgegenstände mit Giraffenmotiven, Frisuren und ein Parfum ä la Giraffe. Auch eine Giraffentorte und die »Giraffeln« wurden erfunden, ein Mürbgebäck, das noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs im Sortiment der Wiener Bäcker zu finden war. Der älteste Tiergarten der Welt mit prächtigen Barockbauten, dem wunderschönen achteckigen Mittelpavillon (1759) und der vom Hofgärtner Adrian van Steckhoven angelegten Parkgestaltung hatte schon früh Tiere aus aller Welt beherbergt, wenn auch in winzigen Käfigen. Unter Otto Antonius wurde die »Menagerie« ein richtiger »Tiergarten«, mit einem Wissenschaftler als Leiter. Anlässlich der 1926 in Wien abgehaltenen Konferenz der Vereinigung der Direktoren mitteleuropäischer zoologischer Gärten wurde die Bezeichnung »Menagerie« offiziell durch den Begriff »Tiergarten« ersetzt.

Im Volksmund und in der Presse wurde allerdings noch bis in die 1960er Jahre gern von der »Menagerie Schönbrunn« gesprochen. Antonius war der erste Biologe als Leiter des Tiergartens. Unter seiner Direktion \von 1921–1945 stieg der Stand bis 1930 wieder auf 3000 Tiere. Die Kontakte zu den Universitäten und Museen wurden wesentlich intensiver gepflegt als zuvor und es fand ein reger wissenschaftlicher Ausrausch statt – davon zeugen bis heute zahlreiche Präparate in den verschiedenen Schau- und Lehrsammlungen. Neben Adaptierungen bestehender Tierhäuser wie dem Affenhaus oder zwei der drei Großkatzenhäuser konnten auch Neubauprojekte realisiert werden. Die große Greifvogel-Voliere etwa, die heute für die Erhaltungszucht von Waldrappen genutzt wird, und zusätzliche Teichanlagen für Schwimm- und Stelzvögel.

Antonius führte in Schönbrunn die Idee der Nachzucht vorn Aussterben bedrohter Tierarten ein, wobei er sich besonders für die von der Ausrottung bedrohten Wisente einsetzte. Er engagierte sich auch in der Volksbildung, warb für den Naturschutz und intensivierte den immer wichtiger werdenden Kontakt zu den Medien. Nach der Neukonstitionierung der Zoodirektoren-Vereinigung (Basel, 1935) wurde Otto Antonius 1938 Präsident des nunmehrigen »Internationalen Verbandes der Direktoren Zoologischer Gärten«.

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 28–29.