Die Adresse Rahlgasse 4 im 6. Wiener Gemeindebezirk hat eine längere Geschichte. Das bekannte Gymnasium Wiens ist der Nachkriegsgeneration noch als erstes Wiener Mädchengymnasium in Erinnerung, in dem schon in den 1960er Jahren die Emanzipation selbstverständliches Unterrichtsprinzip war. An derselben Adresse, unter der Rahlstiege, die an den Maler Carl Rahl erinnert, fand der Beginn der österreichischen Frauenbewegung statt.

1866 wurde die erste große wirtschaftliche Frauenorganisation, der Wiener Frauen-Erwerb-Verein nach dem Berliner Vorbild, dem »Lette-Verein«, gegründet, zuerst, »um den Witwen und Waisen nach den im Krieg Gefallenen zu Arbeit und Brot zu verhelfen«. Außerdem hatten unverheiratete Frauen aus dem Bürgertum wenige Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt standesgemäß zu verdienen. Weitere Berufsfelder – außer als Lehrerin oder Gouvernante tätig zu sein – waren verschlossen. Iduna Laube gründete gemeinsam mit anderen bürgerlichen Frauen, Auguste Littrow-Bischof, Helene Hornbostel, Amalie Koppel und Marie Kompert, den Verein, dessen Präsidentin sie 1867-1868 auch war. Aus einer ersten unentgeltlichen Nähstube entwickelte sich 1868 eine erste Handelsschule, die 1908 zu einer Frauengewerbeschule erweitert wurde.

1892 wurde unter Marianne Harnisch nach zähem Ringen das erste Mädchengymnasium gegründet. Die Forderung nach Einrichtung eines Mädchengymnasiums stellte eine dramatischere Veränderung in Aussicht als die Berufsschulen. Eine Petition, unterzeichnet von sechs Frauenorganisationen, zur Gründung des Gymnasiums und zur Zulassung von Frauen als ordentliche Hörerinnen an den philosophischen und medizinischen Fakultäten wurde 1890 im Reichsrat ohne Erfolg eingebracht. So eröffnete der Verein ohne staatliche Anerkennung die erste Klasse einer privaten Mädchengymnasialschule. Sie war die Erste ihrer Art im deutschen Sprachraum.

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 100–101