Kaiser Leopold II. starb ebenso durch einen Aderlass wie vermutlich Wolfgang Amadeus Mozart. Der Aderlass war modern, ein Allheilmittel und ein Symbol ärztlicher Kunst. Für viele Krankheiten wurde er angewendet und schien die einzige Lösung – selbst bei Pferden. Johann Gottlieb Wolstein war der Erste, der in seiner viel beachteten Schrift »Anmerkungen über den Aderlass bei Menschen und Thieren« auf die lebensgefährlichen Folgen des Aderlasses aufmerksam machte. Er bezeichnete die Blutabnahme als ein Mittel, das den kräftigen Körper niederwerfe und einen Schwächling sogar an den Rand des Grabes bringe.

Lithografie von Jes Bundsen nach einem älteren von Johann Jakob Stunder gemalten Original.
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Wolstein war entscheidend an der Entwicklung der Veterinärmedizin beteiligt. Schon Maria Theresia Unterzeichnete 1765 die Gründungsurkunde der Veterinärmedizinischen Universität, damals k.k. Pferde-Curen- und Operationsschule: «… ich habe beschlossen, hier eine Lehrschule zur Heilung der Viehkrankheiten errichten zu lassen …« Wolstein legte Jahre später einen Entwurf für ein »Thierspital« vor. 1776 konnte er Josef II. sein Buch »Entwurf einer Vieharzneyschule« überreichen. So wurde die Gründung einer Zweiten Wiener Veterinärschule 1777 beschlossen. Ab 1777 hieß diese Lehranstalt »k.k. Thierspital«, die Wolstein 17 Jahre leitete. Sie war die Bildungsstätte für Tierärzte.

Im Zuge einer Kampagne gegen die Jakobiner wurde Wolstein 1794 verhaftet und zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Nur seinen Freunden im Hofkriegsrat war es zu verdanken, dass er die Strafe nicht absitzen musste, sondern 1795 begnadigt und des Landes verwiesen wurde. Zweifellos gehörte er dem Kreis der »Wiener Jakobiner« an, aber eher intellektuell und sozialreformerisch. Als »Jakobiner« bezeichnete man die Anhänger der Französischen Revolution innerhalb und außerhalb Frankreichs, die sich auch nach der Hinrichtung des Königs noch zu den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bekannten und republikanische Staatsformen anstrebten. In Wien wurde 1794 der Prozess gegen die sogenannten »Wiener Jakobiner« gemacht. Viele Anhänger der Aufklärung aus Beamtenschaft und Armee wurden im Zuge dieses Prozesses eingesperrt oder hingerichtet. Der Kopf des damals ermordeten republikanischen Offiziers Franz Hebenstreit (1747-1795) wird heute paradoxerweise im Wiener Kriminalmuseum zur Schau gestellt.

Noch an eine weitere biografische Note ist zu erinnern: Wolstein war der erste im österreichischen Staatsdienst angestellte Protestant.

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 160.