Von Gustav REINGRABNER

Die geistige Kultur des deutschen Sprachraumes war seit den Tagen der Reformation in hohem Maße von evangelischen Pfarrern mitgetragen. Pfarrer haben wesentliche Anstöße in allen kulturellen und wissenschaftlichen Bereichen des Lebens gegeben.

Ganz besonders war dies natürlich in jenen wissenschaftlichen Disziplinen der Fall, die in einer gewissen Beziehung zur eigentlichen Amtstätigkeit standen, wie etwa im Bereich der Landeskunde, der Geschichte und der historischen Forschung. Die Tätigkeit dieser Pfarrer war dort am wichtigsten, wo andere Träger der geistigen Kultur nicht oder nicht in genügendem Maße vorhanden waren. Das galt natürlich für den ländlichen Raum und in nicht unbeträchtlichem Maße für die Deutschsprachigen, die unter einer fremdsprachigen Regierung zu leben und zu wirken hatten. Im westungarischen Grenzraum hatten zu allen Zeiten evangelische Pfarrer einen erheblichen Anteil an der Erforschung des Landes und der Darstellung seiner Geschichte.

Unter diesen Begründern der burgenländischen historischen Landeskunde befand sich auch der am 28. Juli 1964 in Mörbisch verstorbene Pfarrer und Senior Karl Fiedler. Bei ihm ist auffällig, dass er je länger desto mehr Gelegenheit fand, neben seiner Berufserfüllung der heimatkundlichen Forschung dienlich zu sein. Eine ganze Reihe von burgenländischen Pfarrgemeinden verdankt Fiedler die Darstellung ihrer Geschichte. Hier seien nur Lutzmannsburg, Rust, Bernstein, Allhau, Stadt Schlaining und Mörbisch genannt.

Fiedler selbst beschrieb sein Leben in einer Sammlung von Kurzbiographien der evangelischen Pfarrer und Lehrer des Burgenlandes : „Ich wurde am 19. Dezember 1887 als elftes und letztes Kind meiner Eltern, die – das Irdische betreffend – mittelmäßige -, das Himmlische betreffend tiefgläubige, fromme Bauersleute waren, in Mörbisch am See geboren, besuchte nach fünf Volksschulklassen der Heimatgemeinde das Gymnasium in Ödenburg, studierte sechs Semester Theologie in Ödenburg und zwei Semester in Tübingen. Im August 1911 durch Bischof Franz Gyuratz zum Pfarrer ordiniert, war ich zehn Monate in Uraiújfalu, dann je eine kurze Zeit in Lutzmannsburg, Györköny, Paks und Tolnabikacs Vikar. Im Februar 1912 gleichzeitig und einstimmig als Vikar zur deutschsprachigen Gemeinde in Budapest und zum Pfarrer der Gemeinde Lutzmannsburg gewählt, nahm ich den letzteren Ruf an, ging nach Lutzmannsburg und wurde dort am Palmsonntag, dem 16. März 1913, durch Senior Edmund Scholz, Agendorf, in mein Amt eingeführt. Am 10. Mai 1914 verehelichte ich mich mit der Pfarrerstochter meines Geburtsortes, Theodora Hermine Breyer. Überzeugt von der Wichtigkeit der Jugendarbeit, gründete ich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1919 einen ,Jugendbund‘, dem die gesamte männliche und weibliche Jugend der Gemeinde angehörte und den ich bis zum übermäßigen Eindringen der Hitlerbewegung 1935 mit sichtbarem Erfolg leitete. 1936 wurde ich zum Senior des Mittleren Evangelischen Seniorates im Burgenland und – nach Auflassung der Seniorate – 1950 zum Senior der Evangelischen Superindendentur A. B. im Burgenland gewählt. Im August 1944 verließ ich auf oberkirchenbehördlichen Rat wegen meiner antinazistischen Einstellung Lutzmannsburg und bekleidete das Pfarramt in der Freistadt Rust bis zu meiner am 1. Jänner 1953 erfolgten Pensionierung. Anlässlich des 400- jährigen Reformationsjubiläums 1917 verfasste ich die Geschichte der evangelischen Pfarrgemeinde in Lutzmannsburg, die auch in Druck erschien. 1952 erschien die von mir verfasste Geschichte der evangelischen Pfarrgemeinde in Rust. Aufsätze und Artikel von mir erschienen in dem von Pfarrer und Senior Paul Nitschinger, Pinkafeld, redigierten Evangelischen Kirchenboten für das Burgenland und in dem vom Burgenländischen Volksbildungswerk herausgegebenen Kultur- und Bildungsblatt ,Volk und Heimat’.“

Mit seinen zahlreichen Aufsätzen, Büchern und Schriften war Fiedler nicht nur ein Träger der kirchlichen Bildungsarbeit, sondern auch der öffentlichen Geltung und Stellung des burgenländischen Protestantismus. Die Absicht seiner historischen Forschung war ja nicht die objektive Darstellung vergangener Ereignisse. Am Schluss der Geschichte der Pfarrgemeinde Rust, in der er neun Jahre lang tätig war, steht der Satz: „Das Wort, für das die Väter stritten, das Erbe, das sie dir erstritten – halte, was du hast!“

Er tat diese Arbeit bewusst als Zeugnis für seine Kirche und seinen Glauben, und in diesem Glauben ertrug er auch die Last des Alters und der Krankheit, die immer drückender wurde. In der Predigt bei seinem Begräbnis, das am 30. Juli 1964 in Mörbisch stattfand, wurde über ihn folgendes gesagt:

Die Gnade stand auch über dem, wie ein immer schwerer werdendes Leiden geduldig ertragen wurde und wie es ruhig und getrost dem Sterben entgegenging. Das führt uns zu dem anderen, das dem Wort des treuen Knechtes im Alten Bund zu entnehmen ist und das wir von Christus her verstehen wollen: ,Lasset mich, dass ich zu meinem Herrn ziehe.’ Das Sterben derer, die auf Christus ihr Vertrauen und ihre Hoffnung setzen, ist nicht ein Versinken und Verlöschen, sondern das Heimgehen zu dem, der auch im Grauen des Todes unsere Zuflucht bleibt, der uns ein Haus bereitet hat, das nicht mit Händen gemacht ist, das ewig ist, im Himmel. Es ist eine seltsame Fügung, dass über dem letzten Tag im irdischen Leben die tröstende Zuversicht steht, die im Lehrtext des Losungsbuches enthalten ist: ,Der Herr wird mich erlösen von allem Übel und mir aushelfen zu seinem himmlischen Reich’.

 

Aus: Glaube und Heimat 1986, S. 35-37.