Von den Pfarrern im westungarischen Grenzgebiet, das seit 1921 das Burgenland bildet, ist Gottlieb August Wimmer der bekannteste geworden. Neben ihm standen aber andere, die es auch wert sind, als Bekenner Christi genannt und als ein Teil der „Wolke der Zeugen“ gesehen zu werden, weil auch sie für ihren Herren Jesus Christus gezeugt, gekämpft und gelitten haben.

Einer derselben ist der mit Wimmer fast gleichaltrige Matthias Haubner. Er ist am 19. September 1794 in Veszprem geboren worden, sein Vater war Handwerker, die Mutter hielt an der Sitte der Hausandacht fest und legte in den Buben den Keim zur Wahl des Berufes, der für Matthias mehr als nur das werden sollte. Trotz der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse und der Zahl der Geschwister durfte er das Lyceum in Ödenburg besuchen, das in nahezu ununterbrochener Folge seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nicht nur für die gymnasiale Ausbildung im westungarischen Raum gesorgt hatte, sondern auch bis zur Verlegung der Theologischen Akademie die aus ihm herausgewachsen war, nach Budapest, (im Jahre 1948) die theologische Ausbildung der angehenden lutherischen Lehrer und Pfarrer besorgte.

Haubner nahm den damals „normalen“ Weg eines angehenden Geistlichen. Nach Ende der Lycealzeit nahm er eine Stelle als Hauslehrer in einer Preßburger Bürgerfamilie an, ging dann aber als Student nach Jena, kehrte als Hauslehrer wieder nach Ungarn zurück, bereitete sich vollends auf seinen Beruf vor, wurde Lehrer der Grammatik am Preßburger Lyceum, erhielt aber bereits nach kurzer Zeit seinen Ruf als Pfarrer in die Gemeinde Stadtschlaining.

Der amtierende Superintendent des Kirchendistrikts jenseits der Donau, Johann von Kis, ordinierte ihn zum geistlichen Amt, und im Jahre 1821 trat er die Pfarrstelle an.

Schlaining war eine der unmittelbar nach dem Toleranzpatent entstandenen Gemeinden im heutigen Burgenland, damals wohl auch eine der größten, gehörten doch mehr als zehn Filialen zur Pfarrgemeinde. Der Bau der großen Kirche hatte die Kräfte der Gemeinde mehr, als ihr gut getan hätte, angespannt, eine Reihe von Tochtergemeinden strebte darnach, selbständig zu werden, und die Probleme der Kirchenzucht, der Schulbildung der Kinder waren noch lange nicht gelöst.

Haubner suchte alle diese Probleme zu meistern. Es gelingt ihm, die Bauvorhaben in den Filialen abzuschließen; so konnte 1823 die Kirche in Großpetersdorf geweiht werden; er vermochte aber dennoch, diese Gemeinde bei der „Mutter“ zu halten. Er ging mit jener Strenge, die damals als Seelsorge angesehen wurde und sich tatsächlich als mehr denn bloße Kirchenzucht erwies, den Fragen der Lebensgestaltung und des christlichen Wandels nach; dabei suchte er die vorehelichen Beziehungen durch Verbot und Überwachung unter Kontrolle zu bringen, was natürlich nur teilweise gelingen konnte. Immerhin aber nahm er sich auch der Mütter unehelicher Kinder an und suchte für diese Kinder eine entsprechende Kapitalanlage zu sichern, aus der einmal das Lehrgeld gezahlt werden konnte oder eine Aussteuer angeschafft werden sollte.

Sein besonderes Augenmerk galt aber den Schulen. Hier sorgte er einerseits dafür, daß die Kinder regelmäßig zur Schule gingen, daß in möglichst vielen Filialen Schulen errichtet wurden, aber auch dafür, daß die Lehrer einen Stand des Wissens und der pädagogischen Fertigkeiten erlangten, der zeitgemäß war. Er nahm sich also der bereits im Amt befindlichen Lehrer an und suchte nach Wegen für ihre Fort- und Weiterbildung. Dem dienten die von ihm regelmäßig unter seinem Vorsitz eingerichteten Lehrerkonferenzen, die später zahlreiche Nachahmer fanden (auch durch Wimmer) und die noch eine Weile später sogar durch ministerielle Anordnung verpflichtend gemacht wurden. Für Haubner war Glaube und Vernunft eng verbunden. Er war von den Ausläufern der Theologie der Aufklärung geprägt worden und verband diese mit dem idealistischen Ansatz ungarischen Luthertums. Sein Biograph schreibt über ihn, „er greift in das reale Leben hinein, in die Wirklichkeit, um auf psychologischem Grunde den Beweis zu erbringen, daß die ewigen Wahrheiten der Heiligen Schrift dort, wo gesundes Leben pulsiert, Fleisch geworden sind“.

Haubner stand damit ganz und gar in der Reihe der vielen Pfarrer jener Gegend und Zeit, für die die Offenbarung Gottes in der Vernunft erkennbar war und der Wille Gottes durch das „vernünftige“ Leben erfüllt werden konnte; freilich wußte er um die Bedeutung des Fühlens und der Emotion im Glauben und suchte dem auch durch die Form der Verkündigung Rechnung zu tragen.

Er sieht auch die Problematik der Sprachenfrage in Ungarn, dessen Bevölkerung ja nur zu einem geringen Teil tatsächlich aus Magyaren besteht. Freilich stellen diese die führenden Teile des Volkes. So bemüht er sich, die Kenntnis des Ungarischen zu fördern.

Nicht lange währt seine Tätigkeit in der Gemeinde Schlaining. 1829 wird er als Pfarrer nach Raab (Györ) berufen und als solcher 1846 zum Superintendenten des Distrikts jenseits der Donau gewählt, nachdem er sich auch als Pfarrer in dieser Stadtgemeinde und darüber hinaus als streitbarer theologischer Schriftsteller“ bewährt hatte. Bald aber nahm ihn die „nationale“ Bewegung gefangen. Aus anderen Gründen als Wimmer, aber doch in einem ähnlichen Engagement, bezog er Steilung in den sich abzeichnenden Auseinandersetzungen der Zeit. Nach Ausbruch der Revolution des Jahres 1848 „folgte Haubner der Stimme seines Inneren, der flammenden Liebe zum Vaterlande, indem er auf Aufforderung der königl. ungarischen Regierung an die Geistlichen und Lehrer seines Distriktes einen Hirtenbrief erließ, in demselben die allgemeine Aufmerksamkeit auf die heilige Sache der Nation hinlenkte und seine patriotische Gesinnung und Überzeugung mannhaft zum Ausdruck brachte“.

Wie Bekenntnis und nationales Gefühl zueinander stehen, welche Bedeutung die Schöpfungsordnungen Staat, Volk und Nation für den Christen haben, sind seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts bis weit in unsere Zeit hinein wichtige Fragen in der lutherischen Theologie gewesen, bei deren Beantwortung nicht selten der Glaube an Gottes gnädigen Erlösungswillen für alle Menschen dem Bekenntnis zur nationalen Identität Platz machen mußte, die man als gottgewollt beschrieben hat. Auch bei Haubner stand dieses Problem, das sich allerdings noch mit seinen Vorbehalten gegen das Haus Habsburg mischte, das für ihn nicht nur Verteidiger antiungarischen Zentralismus, sondern auch eines finsteren Katholizismus war, damals im Vordergrund.

Er mußte nach Niederschlagung der Revolution für seinen Hirtenbrief arg büßen. Er wurde zu Festungshaft verurteilt und konnte erst nach zwölf Jahren wieder nach Raab zurückkehren und sein Amt als Superintendent ausüben.

Freilich war die Last für ihn nun so schwer geworden, daß er 1865 seinen Rücktritt einreichte; Haubner lebte dann als Pensionist bei seinem Sohn. Gerade diese Zeit aber war mit einer ganzen Reihe von literarischen Arbeiten angefüllt, unter denen ein längerer Streit, der in Kirchenblättern ausgefochten wurde, mit einem katholischen Theologen über das Ausmaß und die Bedeutung der Freiheit besonders herausragte. Haubner wußte sehr wohl von den verschiedenen Dimensionen der Freiheit, unter denen er die „evangelische Freiheit“ besonders zu verteidigen wußte.

Das Thema dieser Auseinandersetzung war für diesen freien Geist wohl bezeichnend und zeigt, wie damals das Erbe der Reformation verstanden wurde: als Stück Befreiung des Menschen von allerlei Bindungen und Beeinträchtigungen, als Auftrag zur Verwirklichung im Leben, als wesentliches Gut der Menschheit.

Haubner starb – in hohen Ansehen – am 12. September 1880. Die Form seines Zeugnisses mag eigenartig erscheinen, sicher aber nahm sie manches vorweg, was in unserem Jahrhundert erst recht aktuell wurde, sicher ist es eher die Problemstellung denn die Lösung, die uns heutigen als Vorbild dienen könnte, sicher aber suchte auch Haubner unter Einsatz seiner Gaben seinem Herrn Christus zu dienen.

 

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen – Matthias Haubner
Aus: Glaube und Heimat 1981, S.38-40)