Von Gustav REINGRABNER

Am 17. April 1939 verstarb der im Ruhestand befindliche Präsident des Evangelischen Oberkirchenrates in Wien, Dr. theol. h. c. Dr. jur. Wolfgang Haase. Er war der letzte in der Reihe der Präsidenten des k.k. Oberkirchenrates, hatte die Aufgabe, diesen nach dem Zerfall der Monarchie zu liquidieren und gleichzeitig das Haus einzurichten, das der österreichische Protestantismus in der klein gewordenen Republik Österreich beziehen sollte. Auch wenn Haase seine Absichten nicht voll zu verwirklichen vermochte und aus diesem Grund bereits mit 55 Jahren in den dauernden Ruhestand trat, so hat er doch in diesen ersten Jahren der Evangelischen Kirche in Österreich als Oberkirchenratspräsident und dann auch, nach seinem Rücktritt in den Ruhestand, als Mitarbeiter in vielen kirchlichen Vereinigungen mit dafür zu sorgen gewusst, dass manches von dem, was von außen her für das Leben einer Kirche notwendig ist, geschaffen werden konnte.

Dabei stammt er aus einer Familie, die in Österreichisch-Schlesien ansässig war. Sein Vater war Superintendent in Teschen, sein Großvater Superintendent in Lemberg; beide waren mehrere Male Präsidenten der lutherischen Generalsynoden und hatten weitere Aufgaben in der Kirche und auch als Vertreter der Kirche nach außen. In dieser Umwelt wuchs Wolfgang Haase auf und hat von Anfang an aktiven Anteil an dem kirchlichen Leben genommen. Es war vermutlich das überragende Vorbild des hochverehrten Vaters, das ihn dazu bewogen hat, nicht Theologie zu studieren. Aber bereits nach einer kurzen Tätigkeit im Justizdienst hat er sich um die Stelle eines Sekretärs im Wiener Evangelischen Oberkirchenrat beworben. 1901 wurde er dazu ernannt. Hier machte er relativ rasch Karriere. 1907 wurde er Regierungsrat, hatte in diesem Jahr den Oberkirchenrat während der Tagung der 8. Generalsynode zu vertreten; 1909 wurde er als weltlicher Rat Kollegiumsmitglied und nach dem frühen Tod des Präsidenten Dr. Hermann Pfaff bereits im Jahr 1911 mit der Leitung der Geschäfte des Oberkirchenrates betraut. Zwei Jahre später wurde er definitiv Sektionschef und Oberkirchenratspräsident und nach 1914 als Vertreter der Evangelischen Kirche zum Mitglied des Herrenhauses des österreichischen Reichsrates berufen. 1917 verlieh ihm die Wiener Evangelische Fakultät das Ehrendoktorat.

So hat Wolfgang Haase in wenigen Jahren eine Berufslaufbahn absolviert, die ihn an die Spitze der Evangelischen Kirche in Österreich führte. Denn wenn auch der Präsident des Oberkirchenrates ein vom Kaiser ernannter Beamter war, so hat er doch – Haase hielt es hier wie seine Vorgänger – in vielfacher Weise unmittelbaren Einfluss auf das kirchliche Leben zu nehmen gehabt. Zudem hat sich Wolfgang Haase immer auch gegenüber den staatlichen Behörden als Amtsträger der Evangelischen Kirche gefühlt.

Die Voraussetzungen für diese Tätigkeit hat Haase nicht zuletzt dadurch gefunden, dass er viele Jahre hindurch Amtsgeschäfte seines Vaters übernommen hat. Superintendent Dr. Theodor Haase hatte 1899 einen Schlaganfall erlitten. Nachdem sich dies wiederholte, hat sein Sohn durch die Führung der Superintendentialakten, die er auf regelmäßigen Reisen von Wien nach Teschen bearbeitete, die Amtsführung seines Vaters bis zu dessen Tode im Jahre 1909 ermöglicht. Damit hat Wolfgang Haase nicht nur seine Gesundheit schwer belastet, sondern auch eine subtile Kenntnis des evangelischen Kirchenwesens erlangt.

Diese Kenntnis kam ihm bei all den Unternehmungen zugute, die er zugunsten der Kirche auf sich nahm. Das begann mit der Schaffung des Theologenheimes in Wien, das aus Anlass des 65. Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Josef ins Leben gerufen wurde. Das setzte sich dann aber auch fort, als nach dem Zerfall der Monarchie die mühsamen Liquidationsverhandlungen einsetzten. Hierbei galt es, die zahlreichen Fonds und Vermögenswerte der Kirche auf ihre Nachfolgeeinrichtungen aufzuteilen. Mit welcher Sorgfalt Wolfgang Haase diese Aufgabe durchführte, zeigen eine Reihe von Aktenstücken im Archiv des Evangelischen Oberkirchenrates. Zugleich versuchte er auch, wo er um Rat gefragt wurde, helfend bei der Organisationsarbeit der neuen evangelischen Kirchen einzugreifen; dies war nicht zuletzt in Galizien und in der Deutschen Evangelischen Kirche der Tschechoslowakei der Fall.

Für Österreich war er der Meinung, dass die Verfassung so umgestaltet werden müsste, dass ein Bischof an ihrer Spitze zu stehen hätte. Haase wollte dabei einen Weg der kleinen Schritte einschlagen, wusste er doch, dass jede kirchliche Verfassungsänderung nur mit einer Novellierung des Protestantenpatentes von 1861 Hand in Hand gehen konnte. Eine radikale Gruppe innerhalb der Synode hat gemeint, man sollte sofort alles mit einem Schlag erledigen. Die späteren Ereignisse haben gezeigt, dass der von Haase gewählte Weg wahrscheinlich der erfolgreichere gewesen wäre, konnten doch die großen Verfassungsentwürfe der Synoden der Jahre 1925 und 1931 niemals Rechtskraft erlangen.

Durch diese Vorgangsweise fühlte sich Haase persönlich betroffen; allerdings hat sein Arbeitsstil damals auch nicht mehr die Zustimmung aller Teile der Kirche gefunden. So trat er am 31. März 1925, unmittelbar vor Beginn der Generalsynode, in den dauernden Ruhestand. Es war jedoch kein Ruhestand der Verbitterung, sondern ein Ruhestand der Arbeit im Dienste des Herrn. Diese Jahre waren für Haase dadurch auch angenehm, dass er im Jahre 1921 noch einen eigenen Hausstand gründen konnte. Wenn ihm auch Kinder versagt blieben, so hat er doch durch die Fürsorge seiner Frau noch Jahre der Freude am Abend seines Lebens erlebt.

Die Bedeutung Wolfgang Haases wurde mehrfach von Männern gewürdigt, die ihn kannten, wie etwa Gustav Entz, Hans Koch oder Johann Molin. Er soll daher an dieser Stelle lediglich aus der Würdigung seitens Molins einiges angeführt werden:

D. Dr. Wolfgang Haase besaß alle Eigenschaften und Fähigkeiten, welches das hohe und schwierige Amt eines Präsidenten der Obersten Kirchenbehörde erfordert: ein ausgezeichnetes treues Gedächtnis, scharfen Verstand, gründliche juristische Bildung und Erfahrung, Liebe zum Evangelium Christi und zur Evangelischen Kirche, eingehende Vertrautheit mit der Heiligen Schrift, genaue Kenntnis der Evangelischen Kirche in Österreich, dazu ein warmes Herz für alle ihre Bedürfnisse, nicht minder aber auch die Bedürfnisse ihrer einzelnen Glieder; große Milde, gepaart mit ebensolcher Entschiedenheit und Tatkraft. Ein überzeugter Lutheraner, wusste er auch den reformierten Gemeinden gerecht zu werden; seinem Vater, dem Vorkämpfer für die deutschen Belange in Österreich, völlig gleichgesinnt, verstand er es auch, die Wünsche der nichtdeutschen Gemeinden, soweit sie berechtigt waren, zu befriedigen. Den staatlichen Stellen nach Tunlichkeit entgegenkommend, war er unnachgiebig, wo es galt, die Rechte der Evangelischen Kirche zu wahren, und dieses auch dann, wenn ihm von dem vorgesetzten Minister mit der Disziplinierung gedroht wurde. Für sich völlig bedürfnislos, gab er sein Letztes her, um einem Armen zu helfen oder ein Werk der Liebe zu fördern.

 

Aus: Glaube und Heimat 1983, S.37-39.