Zu den Zeugen des Evangeliums in Österreich gehören auch Männer und Frauen, von denen wenig oder gar nichts bekannt ist, die vielleicht nur einmal im Leben zu ihrem besonderen Bekenntnis gestanden oder eine Tat gesetzt haben, von der andere mitgerissen wurden. Einer von diesen so gut wie unbekannten Zeugen des Evangeliums in Österreich ist der „Raitdiener‟ Abraham Suttinger gewesen.

Suttinger gehörte in den Jahren nach 1620 zur Beamtenschaft der niederösterreichischen Stände; damals schritt die Gegenreformation im Lande unter der Enns mächtig voran, und wenngleich sich noch ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung des Landes und der Adeligen im Lande zum Protestantismus bekannte, war doch die politische Macht der evangelischen Stände dahingeschmolzen. Die Versuche, notfalls mit Waffengewalt gegenüber Kaiser Ferdinand II. die Sicherung der religiösen Rechte durchzusetzen, waren fehlgeschlagen. Die Adeligen hatten sich auf Gnade oder Ungnade dem Kaiser ergeben müssen; 76 von ihnen wurden als Landesverräter geächtet und verloren ihr ganzes Vermögen. Natürlich kamen die so beschlagnahmten Herrschaften in die Hand erprobter und treuer Katholiken. Damit war aber auch die Einflussmöglichkeit der Protestanten im Lande und bei der Besetzung der Pfarrstellen wesentlich verringert. Auch die anderen Adeligen, die rechtzeitig Ferdinand II. als Landesherrn anerkannt und ihm gehuldigt hatten, vermochten nicht mehr irgendwelche religiöse Rechte zu behaupten, sondern erhielten von ihrem Landesfürsten lediglich die Zusicherung, dass er sich ihrer Religion gnädig erweisen wolle. Das schloss natürlich den Versuch des Kaisers und seiner Behörden nicht aus, überall dort, wo noch evangelischer Einfluss gegeben war, diesen zurückzudrängen. Dazu gehörte eben die von den Adeligen und anderen Ständen abhängige Verwaltung im Landhaus. Im sogenannten Verordnetenkollegium, also der leitenden Einrichtung dieser Verwaltung, hatten die Evangelischen noch durch eine Reihe von Jahren die Mehrheit. Dies änderte sich erst durch eine besondere kaiserliche Anordnung aus dem Jahre 1623. Nunmehr gab es zwar noch einzelne evangelische Mitglieder dieses Kollegiums, die Mehrheit war aber schon katholisch geworden.

Und wie die leitende Körperschaft noch durch einige Zeit evangelisch war, so war dies auch bei der Beamtenschaft der Fall. Hier versuchte zunächst nicht der Hof, sondern die katholischen Mitglieder des Verordnetenkollegiums die Verdrängung der Protestanten: Sie verlangten von ihren evangelischen Kollegen die „Reformation gemeiner Landschaftskanzlei‟, also die Ersetzung evangelischer Beamter durch andere. Nun weigerten sich die evangelischen Verordneten natürlich, einer Entlassung zuzustimmen, sie konnten aber nicht verhindern, dass nach dem Jahre 1623 nur mehr Katholiken als landschaftliche Beamte angestellt wurden.

Es dauerte fünf Jahre, bis ein kaiserliches Dekret verlangte, dass alle nichtkatholischen Kanzleiangestellten durch Katholiken zu ersetzen seien bzw. dass die beschäftigten Protestanten zum Katholizismus übertreten müssten. Eine Antwort, die von einem dieser Angestellten gekommen ist, ist erhalten geblieben und liegt unter den Akten des Niederösterreichischen Landesarchivs. Sie stammt von dem „Raitdiener‟  Abraham Suttinger.

Er war in der Buchhaltung der Stände angestellt und hatte mit anderen zusammen zu sorgen, dass die Verrechnung der Landschaftssteuern und Begleichung der Verpflichtung der Stände erfolgte. Immer noch waren die Stände für einen Teil des evangelischen Religionswesens zuständig und hatten vor allem die Schulden zu zahlen, die ihr religiös-politisches Handeln in den Jahren 1608 und 1618-1620 hervorgerufen hatten. Suttinger war keineswegs der Leiter dieses Amtes, er zählte vielmehr zu den vielleicht sechs oder acht Angestellten dieser Verwaltungsbehörde.

Auf das Verlangen, katholisch zu werden, antwortete er: „Weil ich von Jugend auf im Augsburgischen Bekenntnis erzogen bin, nunmehr auch ein ziemliches Alter schon erreicht habe, will ich bei derselben Konfession vermittels göttlicher Gnaden weiter verharren und darinnen mein Leben seliglich zu enden und zu beschließen gedenken.‟ Er weist darauf hin, dass er sich ansonsten in der „löblichen Stände Diensten gehorsamlich gebraucht lassen wollte‟, weil das aber nach dem kaiserlichen Verlangen nicht ginge, müsse er seinen Dienst aufkündigen; sein Schreiben war vom 29. März 1629 datiert.

Was Abraham Suttinger weiter gemacht hat, ist nicht bekannt. Er hat also um seiner religiösen Überzeugung willen einen Nachteil entscheidender Art auf sich genommen. Sein Gewissen wollte er nicht „regulieren‟, Widerstand konnte er nicht leisten, also musste er resignieren. So wie ihn, gab es in der Geschichte des österreichischen Protestantismus viele Männer und Frauen, denen ihr Gewissen und religiöses Bekenntnis mehr galt als äußerliche Vorteile. Das mag unserer Zeit fast unmodern erscheinen, weist aber darauf hin, dass letztlich doch nur ein aufrechtes Gewissen und eine gerade Haltung den Menschen in seinem Wesen befriedigen und erfüllen kann. Sicher ist, dass Suttingers Tat nichts am Fortschreiten der Gegenreformation geändert hat. An seine Stelle trat eben ein anderer Beamter. Er selbst hat aber seine Überzeugung bewahren können, und darum verdient er auch in der „Wolke von Zeugen‟ erwähnt zu werden.

 

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen – Abraham SuttingerAus: Glaube und Heimat 1983, S.35-36.