Die Vertreibung der Evangelischen aus Salzburg wird eigentlich am stärksten mit der Person des Josef Schaitberqer in Verbindung gebracht, der freilich schon 1685 seine Heimat zu verlassen hatte und nur aus der Ferne, dafür aber umso nachhaltiger auf das konfessionelle Bewußtsein seiner Landsleute einwirken konnte. Von den vielen, die 1731/32 das Fürsterzbistum zu verlassen hatten, sind nur wenige wirklich bekannt beziehungsweise haben einen über die enge Fachwelt hinausreichenden Bekanntheitsgrad erreicht. Dabei war das nicht immer so.

Im Jahr 1732, also dem Jahr der Vertreibung, erschien in Berlin eine Schrift mit dem Titel „Besondere Gespräche in dem Reiche derer Todten zwischen D. Martin Luthern und einem am 15. Juni 1732 zu Altenberg verstorbenen Saltzburgischen Emigranten Hannß Moßegger“. Ein – wahrscheinlich idealisiertes – Konterfei Moseggers schmückte den Kupferstich, der das Frontispiz bildete. Und in der „Vollkommenen Emigrationsgeschichte von denen aus dem Ertz-Bistum Salzburg vertriebenen Lutheranern des Gerhard Göcking, die in Leipzig 1734 erschienen ist, wurde sogar das Leichenbegängnis des Mooseggers beschrieben. Also war er damals bekannt und galt als ein besonderes Beispiel für den Glaubensmut und die evangelische Überzeugung. So ist es wohl gerechtfertigt, wenn etwas aus seinem Leben berichtet wird.

Er ist gegen 1680 in Wagrain, wo seine Familie schon seit der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts ansässig war, geboren worden. Er hat Zimmermann gelernt und war verheiratet. Von Kindern wird nichts gesagt. Bei Freunden und anderen galt er als ein besonders fest überzeugter Evangelischer und hat – wenigstens seit 1729 – in der Nähe von Wagrain, unterhalb seines Anwesens, regelmäßig evangelische Gottesdienste gehalten. Schon wegen ihres großen Zulaufs wurde er angezeigt. Und dann kam dazu, daß er am 13. Juli 1731 bei der Versammlung der Führer der Evangelischen in Schwarzach auch mit dabei war. Er hat dort auch „Salz geleckt“, sich also diesem Bund angeschlossen. Daraufhin ist er am 28. September verhaftet und bei Nacht und Nebel nach Salzburg gebracht worden. Sein Haus wurde durchsucht; dabei fand man die Postille des Martin Moller.

Im Verhör erklärte er, daß er zwar nicht in Schwarzach gepredigt hätte, aber ansonsten wohl Gottesdienste gehalten habe. Dabei habe ihm das, was er in Mollers Postille und in der „Himmelspostill“ gefunden habe, geholfen. Anscheinend war er auch predigend auswärts unterwegs, weil er angibt, daß er einmal ein Mittagessen und ein Gläsel Branntwein bekommen hätte. Ansonsten aber habe es für ihn keine Entlohnung gegeben. Moosegger gab auch an, daß er zwei Kinder getauft hätte. Dazu habe er eine „Agent“ von einem anderen entliehen, in der alles „Nötige zur Taufe beschrieben“ gewesen sei. Er scheint bei der Taufe nur die allernotwendigsten Worte gebraucht zu haben, also die Taufformel, das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser. Er nahm natürlich kein geweihtes, sondern reines Brunnenwasser zur Taufe. Interessant ist, daß er die Kinder mit dem einen Körnchen Salz eingestrichen habe; dabei habe er aber nichts gesprochen. Der biblische Bezug war wohl Ezech. 16,4 – wer nicht mit Salz gerieben sei, und zwar nach der Geburt, der gehört nicht zum Volk Gottes.

Aus der Zeit knapp vor seiner Inhaftierung ist das Konzept einer seiner Predigten erhalten geblieben – Gerhard Florey hat sie vor etwas mehr als einem Jahrzehnt veröffentlicht. Moosegger predigte lange, im Druck sind es 11 ½ Seiten – das dauert also etwa eine Stunde. Er sprach nicht über einen bestimmten biblischen Text, sondern bot eigentlich eine Zusammenfassung wichtiger Inhalte des evangelischen Bekenntnisses, die auf der Zitierung zahlreicher Stellen der Bibel gegründet war und sich natürlich nicht nur mit den kontroverstheologisch bedeutsamen Fragen, sondern auch unmittelbar polemisch gegen den Erzbischof gerichtet, beschäftigte. Es ging schon um die bevorstehende Entscheidung, abzuschwören und dafür in der Heimat bleiben zu können oder standhaft zu bleiben, dafür aber aus der Heimat vertrieben zu werden.

Der Inhalt dieser Predigt ist die klare Widerlegung aller jener Beschuldigungen, nach denen diese heimlich Evangelischen gar keine Kenntnis von Bibel und Bekenntnis gehabt hätten. Sie ist wohl voll beißender Polemik gegen den Erzbischof, tatsächlich aber geht es um die Frage nach der wahren Kirche. Und da befindet sich Moosegger – ohne daß er es wußte – in einem breiten Traditionsstrom des Luthertums. Am Ende sagt der Prediger: „Es geht nit um Haus und Hof und Geld und Guet! Na! Es geht und gilt ünser Leib und SeeI! Aushalten, Leut, aushalten, wie Christus beim Kreuztragen. Er ist für sein Evangeli in den Tod gangen, sein Evangeli ist ünser Evangeli, er hat sichs nit nehma lassen, ist treu bliebn, und wir müssens a so machen.“ Moosegger blieb treu. Er wurde erst nach monatelanger Haft im Mai 1732 aus der Feste Hohensalzburg entlassen und hatte nach einem kurzen Aufenthalt in der Heimat mit seiner Ehefrau Maria Brandstädter mit den Wagrainer Exulanten das Erzstift zu verlassen.

Die Bücher, auch die, die er von der Salzburger Dult (!) auf der Kraxn nach Wagrain gebracht hatte, und unter denen sich auch Schaitbergers Sendbrief und Habermanns Gebetbuch befunden haben, wurden beschlagnahmt.

Moosegger selbst ertrug die Strapazen der langen Wanderung nicht mehr. Am 15. Juni 1732 ging sein Leben in Altenburg zu Ende. Das Begräbnis hielt der dortige Generalsuperintendent, der sich in seiner Parentation darauf beschränkte, davon zu reden, daß Moosegger „über Jahr und Tag im Gefängnis gesessen und der Religion halben in Banden gelegen habe, sey auch erst vor vier Wochen draus befreit worden“.

Die Witwe wanderte mit dem Emigrantenzug bis nach Ostpreußen, wo sie im Kirchspiel Stallupönen eine neue Heimat fand.

Ist es sinnvoll, diese Geschichten heute noch „aufzuwärmen“? Nun, es geht dabei ganz sicher nicht um die Anklage gegen irgend jemand, es geht dabei viel eher um Fragen nach den Seiten: Darf ein Land, darf eine Regierung ihre Bürger unter Druck setzen, bloß weil diese in irgendeiner Art von der „Norm“ abweichen? Ist nicht die Vermengung von weltlicher Gewalt mit geistlich-ideologischer Macht immer noch, wie es Martin Luther gesehen hat, die klassische und übelste Form der Tyrannei, die sich hinter allen möglichen Formen verstecken kann und dennoch des Teufels Werk ist?

Und nach der anderen Seite lautet die Frage: Was ist mir meine Überzeugung wert? In einem Zeitalter der Pluralismen scheint das nicht sehr modern zu sein, es geht auch gegen ein gewisses Konsumverhalten und Besitzdenken – es ist aber doch so, daß irgendwann einmal die Frage nach der eigenen Überzeugung nicht mehr verdrängt werden kann. Ich weiß nicht, wer heute die Kraft hätte, sie so zu beantworten wie Hans Moosegger und seine Gefährten? Ich meine aber, daß seine und ihre Entscheidung immer noch höchsten Respekt verdienen. Und ich meine vor allem, daß diese Entscheidungen für „das Evangelium“ die eigentlichen Schätze des österreichischen Protestantismus darstellen, und zwar über die Jahrhunderte hinweg.

 

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen – Hans Moosegger
Aus: Glaube und Heimat 1993, S.41-44.