In Diskussion war der Religionsunterricht in den letzten 50 Jahren immer wieder: Als eines der klassischen Überschneidungsfelder von Kirche und Staat, und diese wurden und werden unter dem Vorzeichen der Forderung nach Trennung von Kirche und Staat von einigen politischen Kräften natürlich sehr kritisch gesehen. Ist der konfessionelle Religionsunterricht – besonders an Pflichtschulen – ein „Privileg der Kirchen, um Kinder zu indoktrinieren“?
Wir wissen heute, dass Religion ein anthropologisches Merkmal ist, das heißt, jeder Mensch ist – explizit oder implizit – religiös. Und: Religion ist eng verwoben mit Emotion und damit auch anfällig dafür, missbraucht zu werden. Mit Hilfe von Religion kann man Menschen manipulieren und sie zu extremistischen Positionen und Handlungen verführen. Religion kann Herrschaftsverhältnisse stabilisieren und an der Unterdrückung von Menschen beteiligt sein.

Andererseits kann Religion Menschen motivieren, sich für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen, kann Religion Menschen ungeahnte Kräfte verleihen und ihnen ermöglichen, über sich selbst hinaus zu wachsen mit ihrer Hoffnung auf eine gerechtere und friedlichere Welt.

Wie ist die eine von der anderen Seite von Religion zu unterscheiden? Wie ist es möglich, Menschen mit verschiedenen religiösen Hintergründen und Überzeugungen zu einem friedlichen Miteinander zu motivieren? Die Antwort lautet: Durch Bildung!

Deshalb gewinnt gerade in den letzten Jahren, in denen die Multikulturalität auch der österreichischen Gesellschaft immer deutlicher sichtbar wird, die religiöse Bildung als Teil der Allgemeinbildung eine immer größere Wichtigkeit.
Daher ist Religionsunterricht als Teil der Allgemeinbildung ein fester Bestandteil der österreichischen Schule und als solcher ein Dienst an der Gesellschaft.

Religiöse Bildung wird im Idealfall in Auseinandersetzung mit gelebter Religion vermittelt: Sie nimmt ihren Ausgangspunkt von der eigenen religiösen Erfahrung der Kinder und Jugendlichen in ihren Lebenswelten, begegnet der religiösen Erfahrung der Lehrkraft und der Mitschüler in deren Lebenswelten, setzt sich mit der religiösen Überlieferung auseinander und führt so zu einem Zuwachs an Kompetenz, der wieder in die eigenen Lebenswelten zurückverweist. Deshalb wird in Österreich der konfessionelle Religionsunterricht nach wie vor als die beste Möglichkeit angesehen: Also der Religionsunterricht, der getrennt nach Konfessionen gehalten wird von einer Lehrkraft, die ebenfalls konfessionell gebunden ist, ein Unterricht, der aber selbstverständlich offen ist für ökumenische und interreligiöse Zusammenarbeit und Begegnungen.

Allerdings ist die Realität auch in Österreich – regional sehr unterschiedlich -, dass die Zahl von Schüler, die keiner gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft angehören oder den Religionsunterricht nicht besuchen, wächst. Daher begrüßt die Evangelische Kirche die Einführung des Ethikunterrichts für Schüler, die keinen Religionsunterricht besuchen. Eine Ausweitung dieses Schulversuchs, der derzeit nur im Bereich der Sekundarstufe II angeboten wird, auch auf den Pflichtschulbereich, wäre durchaus überlegenswert.

Rechtliche Grundlagen des Religionsunterrichts in Österreich

Das so genannte Schule-Kirche-Gesetz aus dem Jahr 1868 (!) ist nach wie vor die richtungweisende Rechtsquelle für die Stellung des Religionsunterrichts an Österreichs Schulen („Gesetz vom 25. Mai 1868, wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältniß der Schule zur Kirche erlassen werden.“ www.ris.bka.gv.at, Reichs-, Staats- und Bundesgesetzblatt 1848 – 1940, 48/1868). Darin wird geregelt:

„§. 1. Die oberste Leitung und Aufsicht über das gesammte Unterrichts- und Erziehungswesen steht dem Staate zu und wird durch die hiezu gesetzlich berufenen Organe ausgeübt.
§. 2. Unbeschadet dieses Aufsichtsrechtes bleibt die Besorgung, Leitung und unmittelbare Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes und der Religionsübungen für die verschiedenen Glaubensgenossen in den Volks- und Mittelschulen der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft überlassen.
Der Unterricht in den übrigen Lehrgegenständen in diesen Schulen ist unabhängig von dem Einflusse jeder Kirche oder Religionsgesellschaft.“

Das Religionsunterrichtsgesetz aus dem Jahr 1949, immer wieder novelliert auch heute noch als Gesetz gültig, das nur mit 2/3 – Mehrheit im Nationalrat geändert werden kann (www.ris.bka.gv.at, Bundesrecht, Kurztitel Religionsunterrichtsgesetz), greift diese Bestimmungen auf. Und auf Grund dieses Gesetzes ist „Für alle Schüler, die einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft angehören, … der Religionsunterricht ihres Bekenntnisses Pflichtgegenstand an den öffentlichen und den mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten“ Schulen, wobei er an Berufsschulen nur in Tirol und Vorarlberg Pflichtgegenstand ist, ansonsten Freigegenstand. Und – das ist eine für die Organisation des Unterrichts zum Teil zu dramatischen Problemen führende Bestimmung – die Schüler (bzw. bis zu ihrem 14. Lebensjahr deren Erziehungsberechtigte) haben das Recht, sich innerhalb der ersten 5 Tage eines Schuljahres vom Religionsunterricht abzumelden.

Die aktuelle Durchführungsrichtlinie für den Religionsunterricht ist das Rundschreiben Nr. 5/2007 des BMUKK (www.bmukk.gv.at/ministerium/rs/2007_05.xml).
Pflichtgegenstand im Sinne der staatlichen Gesetze ist der Evangelische Religionsunterricht für alle Schüler, die der Evangelischen Kirche A.B., der Evangelischen Kirche H.B. oder der Evangelisch-methodistischen Kirche angehören.

Besondere Herausforderungen des Evangelischen Religionsunterrichts an Pflichtschulen

Im größten Teil Österreichs leben die Evangelischen als kleine Minderheit. Das bedeutet, dass an einer Pflichtschule oft nur sehr wenige Kinder zusammenkommen, in vielen Fällen sind es nur 1 oder 2 Kinder an der ganzen Schule. Also müssen Unterrichtsgruppen aus mehreren Klassen und oft auch aus mehreren Schulen oder sogar Schularten gebildet werden. Das ist meist nur in Randstunden zu Mittag oder am Nachmittag möglich. Für die Kinder und ihre Eltern bedeutet das häufig zusätzliche Schulwege, für die Lehrkräfte einen enormen organisatorischen Aufwand bei der Bildung von Unterrichtsgruppen und beim Erstellen des Stundenplans. Eine Lehrkraft mit einer vollen Lehrverpflichtung von 22 Wochenstunden unterrichtet meist Kinder aus mehr als 10 Schulen, im ländlichen Bereich sind es meist mehr Schulen als Wochenstunden. Manche Lehrkräfte verbringen mehr Zeit im Auto auf dem Weg von Schule zu Schule (und oft auch mit dem Abholen und Heimbringen von Kindern) als in der Klasse. Unter diesen Umständen ist der Kontakt zu einem Team von Unterrichtenden an einer Schule, das Gefühl, ein „Zuhause“ zu haben und integriert zu sein, oft sehr schwer umsetzbar. Die meisten reisen mit unglaublichem Gepäck voller Material, Musikinstrumenten und Jause (für die Kinder) durch die Gegend.

Dabei hat sich das Bild der Religionslehrerin in den letzten Jahrzehnten stark verändert. War es früher häufig die (unverheiratete) Gemeindeschwester, die in sehr enger Anbindung an die Pfarrgemeinde (oft im Pfarrhaus wohnend) und meist in Schwesterntracht ihren Dienst versah, haben Religionslehrer heute meist selbst Familie, gehen in Mutterschutz und Karenz, haben an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule in Wien ein anspruchsvolles Studium der Religionspädagogik absolviert und haben recht unterschiedlich starke Anbindungen an Pfarrgemeinden. Viele von ihnen sind aber weiterhin als Kindergottesdienstleiter, Gemeindepädagogenen und in vielen Bereichen der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit engagiert.

Besondere Chancen des Evangelischen Religionsunterrichts an Pflichtschulen

Es gibt wohl kaum ein anderes Unterrichtsfach, in dem so sehr die Kinder mit ihren Freuden, Sorgen, Fragen und Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen wie den Evangelischen Religionsunterricht. Die (in der Minderheitssituation gegebene) Kleinheit der Unterrichtsgruppen ermöglicht, dass auf jedes Kind individuell eingegangen werden kann. Im Unterricht spielen Atmosphäre und Beziehungsgeschehen eine ganz besondere Rolle.

Natürlich ist der Religionsunterricht für die Evangelische Kirche auch deswegen besonders wichtig, weil er in einer Zeit der zunehmenden Entkirchlichung für viele Familien den einzigen Kontakt zur Kirche darstellt. Auf eine hervorragende Ausbildung, Fortbildung und Begleitung der Lehrkräfte wird daher besonders Wert gelegt ( -> KPH Wien, -> Fachinspektoren für den Religionsunterricht). In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass die evangelischen Pfarrer im Rahmen ihres Amtsauftrages in der Regel 8 Wochenstunden Religionsunterricht erteilen müssen. Es ist eine besondere Chance, dass Pfarrer ihren Wirkungsort auch im säkularen Raum der Schule haben und nicht nur im „Kirchturm“. Und sie haben immer auch wertvollen Kontakt zur Jugend!

Ein besonderes Phänomen ist die steigende Zahl von Kindern und Jugendlichen, die keiner gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft angehören und die am Evangelischen Religionsunterricht als Freigegenstand teilnehmen. Auch sie machen deutlich, dass das offene Angebot des Religionsunterrichts auch angenommen wird und er eine Bedeutung für den säkularen Raum Schule hat.

Und warum tut sich das jemand an …?

Trotz aller wortreichen Darlegungen muss man sie wahrscheinlich erlebt haben: diese Sternstunden, in denen Kinder über die Grundfragen des Lebens nachdenken, ihrem Glauben auf der Spur sind und die entscheidenden Fragen stellen, an die Erwachsene sich oft kaum heranwagen. Dann kommt man selbst nach stundenlanger Fahrerei und Hektik zwischen zig Schulen beglückt nach Hause.

Von Peter Pröglhöf