Was ist das – „ein Greuel für Gott?“ Antwort: Etwas, wovor es Gott graut – weshalb „Greuel“ nach der neuen Rechtschreibung mit „Umlaut ä“ zu schreiben sein wird: Gräuel.“ Etwas, wovor Gott graut, was er verabscheut, was er hasst. Schauen wir uns ein wenig um, was das alles sein kann, wovor es Gott graut – zuerst im Alten Testament. An erster Stelle ist hier zu nennen: Alles, was in irgendeiner Weise mit Aberglauben und Heidentum in Verbindung steht.
Die Greuel der Völker
In den beiden Büchern der Könige ist nachzulesen, wie das Volk Israel unter der Führung eben dieser Könige seinem Gott untreu wurde. Das begann schon im 10. vorchristlichen Jahrhundert mit Salomo: „Als er älter wurde, verführten ihn seine Frauen zur Verehrung anderer Götter, so daß er dem Herrn, seinem Gott, nicht mehr ungeteilt ergeben war wie sein Vater David“ (1. Kön. 11,4). Und so ging es weiter. Nehmen wir als zweites Beispiel den König Manasse im 7. Jhdt.: „Er tat, was dem Herrn mißfiel, und ahmte die Greuel der Völker nach, die der Herr vor den Israeliten vertrieben hatte. Er baute die Kulthöhen wieder auf, die sein Vater zerstört hatte, errichtete Altäre für den Baal, ließ einen Kultpfahl anfertigen … und warf sich vor dem ganzen Heer des Himmels nieder und diente ihm. … Er ließ seinen Sohn durch das Feure gehen, trieb Zauberei und Wahrsagerei, bestellte Totenbeschwörer und Zeichendeuter“ (2. Kön. 21,2ff).
Aus der Zeit des Königs Rehabeam ist noch ein besonderer Greuel überliefert: „Sogar Hierodulen gab es im Land“ (1. Kön. 14,24). „Hierodulen“ – dieses griechische Wort bedeutet wörtlich „heilige Mägde“. In der katholischen Einheitsübersetzung wird dazu erklärt: Es sei hier „die in der Umwelt Israels geübte kultische Unzucht im Dienst heidnischer Götter“ gemeint, mit einem anderen Wort: Sakrale Prostitution – im Altertum im Vorderen Orient weit verbreitet. Seltsam ist, daß die Einheitsübersetzung von Hierodulen spricht, und damit offensichtlich Frauen meint, während in der Lutherübersetzung der Bibel von „Hurern“, also von männlichen Prostituierten, de Rede ist. Wie dem auch sei: Im Buch Deuteronomium, welches ebenso wie die Verkündigung der Propheten das Volk Israel immer wieder zum reinen Glauben zurückführen wollte, gibt es eine Stelle, die eindeutig zeigt: Es gab beides – sakrale Prostitution von Frauen und Männern. In der Einheitsübersetzung: „Unter den Frauen Israels soll es keine sakrale Prostitution geben, und unter den Männern soll es keine sakrale Prostitution geben … Kein Gelübde kann dazu verpflichten; denn auch diese beiden Dinge sind dem Herrn, deinem Gott, ein Greuel“ (Dtn. 23,18.19b). In der Übersetzung nach Luther: „Es soll keine Tempeldirne sein unter den Töchtern Israels, und kein Tempelhurer unter den Söhnen Israels.“
Welchen Sinn hatte diese sakrale Prostitution? Ob sie nun geschah im Kontakt mit Frauen oder mit Männern, ob der Kontakt nun ein heterosexueller oder ein homosexueller war – der Sinn war derselbe wie bei jenen anderen heidnischen und abergläubischen Praktiken, die anzuwenden das Volk Israel immer wieder in Versuchung kam und die etwa auch dem König Manasse vorgeworfen wurden. Ihr Sinn war, mit göttlicher Macht in Beziehung zu treten, sich diese Macht verfügbar zu machen.
Vergegenwärtigung dämonischer Macht
Jenes Kapitel, in welchem der Religionswissenschaftler Gerardus van der Leeuw in seiner Einführung in die Phänomenologie der Religionen“ die Hierodulen erwähnt, hat die Überschrift „Vergegenwärtigung der Macht durch geweihte, heilige und dämonische Menschen.“ Und im Text heißt es dann: „Die Vergegenwärtigung besteht … in der völligen Hingabe an den Gott, der seine Macht im Geschlechtsverkehr offenbart.“ Dieser Gott war vom Standpunkt des Glaubens des Volkes Israel aus ein Götze. Diesen Götzen sich dienstbar zu machen – und sich davon Machtzuwachs, Überlegenheit durch übernatürliche Kräfte zu erwarten – war Verrat am Gott Israels, ein Greuel für Gott.
Eine Zwischenbemerkung: Ein Verrat am Gott Israels konnte es bekanntlich auch sein, das Fleisch von Tieren zu essen, die in den alttestamentlichen Vorschriften als „unrein“ bezeichnet werden. Anders gesagt: „Du sollst nichts essen, was ein Greuel ist“ (Dtn. 14,3). Bekanntestes Beispiel: Das Verbot des Essens von Schweinefleisch. Manchmal wird gesagt, für dieses Verbot wären ästhetische und hygienische Gründe maßgeblich gewesen. Aber da wird ein moderner Gesichtspunkt hereingebracht, der im Altertum keine Rolle gespielt hat. Nein, die Gründe für diese Speisevorschriften liegen woanders: Menschen, die dem heiligen, von aller Befleckung freien Gott dienen wollen, „müssen sich von allem fernhalten, was an heidnische Bräuche erinnert. Dazu gehören der Genuß von bei heidnischen Opfern geschlachteten Tieren und die meisten Trauerriten. Darum machen bestimmte Tiere und Speisen und alles, was mit dem Bereich des Todes zu tun hat (z.B. Leichen und Aas), ‚unrein‘.“ (Einheitsübersetzung, Einleitung zum Buch Levitikus) Die Israeliten wußten übrigens sehr gut, daß umgekehrt ihre Speisesitten bei den Angehörigen anderer Völker und Religionen auch abgelehnt wurden. Als die Brüder des Josef zu ihm nach Ägypten kommen, werden sie von Josef reichlich bewirtet – er ist ja der zweitmächtigste Mann in Ägypten nach dem Pharao. In der Schilderung dieses Festessens heißt es: „Man trug ihm – dem Josef – besonders auf und ihnen – den Brüdern – besonders, und ebenso den Ägyptern, die mit ihm aßen. Denn die Ägypter dürfen nicht mit den Hebräern essen; das ist den Ägyptern ein Greuel.“ (Gen. 43,32; vgl. 46,34; Ex. 8,22)
Also: Sich übernatürliche Kräfte verfügbar zu machen durch Opferung besonderer Tiere an die Götter – oder eben auch durch völlige Hingabe an die sexuelle Ekstase, mit welchen Praktiken auch immer –, das war unmöglich in der Religion des Volkes Israel. (Worterklärung für Ekstase aus dem Lexikon: „Außersichsein, Entrücktheit, das Gefühl übernatürlicher Aufnahme- und Erlebnisfähigkeit“)
Blicken wir nun auf jene Schichten des Alten Testamentes, die aus noch späterer Zeit stammen. Hier ist die Abgrenzung gegen alles Fremde und die Sorge um die Reinerhaltung des eigenen Glaubens noch um einige Grade deutlicher zu spüren. Ich meine die Zeit nach dem Babylonischen Exil, als das Volk Israel keine eigenen Könige mehr hatte, sondern weitgehend seiner Eigenstaatlichkeit beraubt und fremden Mächten unterworfen war: zuerst Babyloniern, dann Persern, Ägyptern, Syrern, Griechen. Immer wieder neu war da die Versuchung, sich nicht nur die politische, sondern auch die religiöse Vorherrschaft dieser fremden Mächte aufzwingen zu lassen. Das ist die Zeit, in der die Priesterschaft größte Autorität gewann, und sie hat jene beiden alten Bräuche neu den Menschen eingeschärft und bis ins Kleinste gesetzlich geregelt, die nun das Unterscheidungsmerkmal der Israeliten gegenüber andere Völkern wurden. Gemeint sind die Bräuche der Beschneidung und der strengen Sabbatruhe. Unterscheidung, Abgrenzung, Reinerhaltung der eigenen Tradition und Sitte – das war die Parole. Das Ergebnis waren Gesetze, die uns heute als überängstlich erscheinen, wenn wir nicht die geschichtliche, vor allem die religionsgeschichtliche Situation des damaligen Volkes Israel mit bedenken. Gerade für den Bereich des Sexuellen trifft das zu. Um noch einmal den Religionswissenschaftler van der Leeuw zu zitieren: „Der Mensch verlegt in die Dämonen einen guten Teil seiner Angst vor dem Irrationalen, dem Unberechenbaren im Leben.“ Als das Irrationale, das Unberechenbare schlechthin wird immer wieder Geschlechtstrieb erlebt. „Amantes amentes“, sagt der Römer: „Die Liebenden sind verrückt.“ Das konnte nach damaligen Vorstellungen auch heißen: Sie sind dämonisch besessen. So kam also beides zusammen bei jenen Priestern im 5. Jhdt. v. Chr. Und später: Angst um die Reinerhaltung der Religion und die Urangst vor der unberechenbaren, ja dämonischen Macht des Sexuellen. Nur so verstehen wir, daß die Priester „nicht auf Stufen zum Altar hinaufsteigen durften, damit ihre Blöße dabei nicht zum Vorschein komme“ (Ex. 20,26), oder daß sie spezielle Beinkleider anziehen mußten, „damit sie ihre Scham bedecken; von den Hüften bis zu den Schenkeln sollen sie reichen“ (Ex. 28,42). Seltsam – doch verständlich als eine scharfe Abgrenzung gegen die Hochschätzung der rituellen Nacktheit in der damaligen Umwelt Israels!
Nur wenn wir wissen, welche magisch-dämonische Kraft in vielen Kulten dem Blut zugeschrieben wird, verstehen wir die unheimliche Schärfe des Gebotes: „ein Mann, der mit einer Frau während ihrer Regel schläft und ihre Scham entblößt, hat ihre Blutquelle aufgedeckt, und sie hat ihre Blutquelle entblößt; daher sollen beide aus ihrem Volk ausgemerzt werden“ (Lev. 20,18). Aus dieser religionsgeschichtlichen Situation stammt nun auch jenes biblische Gebot, an das bei der Formulierung des Themas gedacht wurde: „Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Greueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft; ihr Blut soll auf sie kommen“ (Lev. 20,13). Wir Heutigen stehen nun vor der Frage: Wie gehen wir mit diesem Gesetz um, das von damals verständlichen, ja damals vielleicht notwendigen Ängsten und Abgrenzungsbedürfnissen motiviert ist? Heißt „die Bibel ernst nehmen“ auch dieses Gebot wortwörtlich zu verfolgen, ohne nach damaligen und heutigen Zeitumständen und Motiven zu fragen?
Partnerschaftliche Beziehungen?
Es wird manchmal bestritten, daß das Verbot homosexueller Praktiken in Israel irgendetwas zu tun hätte mit der Abgrenzung gegenüber heidnisch-abergläubischer Religion. Es wird darauf hingewiesen, das Wort für „Greuel“ komme im Alten Testament (auch abgesehen von der Ablehnung des Heidentums) bloß allgemein als Kennzeichnung eines moralisch abzulehnenden Verhaltens vor. Das stimmt. „Ein Greuel ist dem Herrn der Ränkeschmied, die Redlichen sind seine Freunde.“ (Spr. 3,32) So wie etwa hier das Ränkeschmieden – wird gesagt – müsse auch der Greuel homosexueller Praktiken grundsätzlich und in jedem Fall als von Gott abgelehntes unmoralisches Verhalten verurteilt werden.
Nun, ich hatte betont: Das „Greuliche“ an Heidentum und Aberglauben liegt daran, daß der ein Greuel begehende Israelit seinem Gott nicht voll vertraut, daß er die Weisungen seines Gottes als nicht ausreichend ansieht für ein Gelingen des Lebens und daß er daher diese Weisungen mißachtet – und zugleich glaubt dieser Israelit, zusätzlich zu seinem Glauben oder außerhalb seines Glaubens neue, erfolgreichere, machtvollere Möglichkeiten zur Steigerung der Kraft und des Durchsetzungsvermögens suchen zu müssen. Nehmen wir einmal an, die Gebote zur Gestaltung der Sexualität hätten wirklich nichts mit der Abwehr des Heidentums zu tun – mit der Abwehr von ungerechtem Machtstreben, mit der Abwehr von Selbstherrlichkeit und Rücksichtslosigkeit haben diese Gebote aber ganz bestimmt zu tun! In einer vor kurzem in Neuhofen an der Krems erschienenen Broschüre wird behauptet, mit dem Liegen eines Mannes bei einem Mann „wie bei einer Frau“ sei schon im alten Israel eine „partnerschaftliche Beziehung“ gemeint gewesen – und daher gelte das Verbot durchaus auch für eine solche, und es gelt auch heute noch (Jürgen-Burkhard Klautke, Gegen die Schöpfung. Homosexualität im Licht der Heiligen Schrift. [Evangelisch-reformierte Medien], Neuhofen an der Krems 1998, S. 47. Die Evangelische Kirche H.B., bekannt auch unter der Bezeichnung „Evangelisch-reformierte Kirche“, plant rechtliche Schritte gegen den Gebrauch der Bezeichnung „evangelisch-reformiert“ durch diese fundamentalistische Splittergruppe in Neuhofen.)
Das ist allerhand: Zu behaupten, nach dem Verständnis des Alten Testaments sei das Liegen eines Mannes bei einer Frau (oder überhaupt die Beziehung von Mann und Frau auch in der Ehe) als „partnerschaftlich“ zu bezeichnen. Zwei Verse vor dem Verbot, bei einem Mann zu liegen „wie bei einer Frau“, steht das Verbot, bei der Stiefmutter zu liegen. Begründung: Wer das tut, „hat die Scham seines Vaters entblößt.“ Das heißt: Es geht gar nicht um die Frau, es geht nicht um das, was freiwillig oder unfreiwillig mit ihr geschieht – ihre Scham zählt nur als ein Teil von ihr, der zusammen mit ihr als ganzer nur Besitz des Mannes ist! Seine Ehe wird gebrochen, d.h. sein Besitz- und Herrschaftsrecht an der Frau wird geschmälert, und wer das tut, der maßt sich etwas an, was ihm nicht zusteht, der stört die Ordnung und den Frieden der Großfamilie. Und darum das Verbot! Wenn also nun einer „bei einem Mann liegt wie bei einer Frau“, so ist damit im alten Israel keineswegs gesagt, daß ihn mit diesem Mann eine partnerschaftliche Beziehung verbindet, sondern ganz im Gegenteil: Er demütigt diesen Mann zutiefst, er mutet ihm die untergeordnete Position zu, die in der damaligen Gesellschaftsordnung nur der Frau zukam. So etwas konnte nach damaligem Verständnis nur einer tun, der in selbstherrlichem Machtstreben all das zu zerstören bereit war, was den Israeliten als lebenserhaltende Ordnung für ihre damalige Welt heilig war.
Aber ist die soziale Ordnung der damaligen Welt auch für uns noch lebenserhaltend? Muß sie und müssen ihre Normen auch uns heilig sein? Wir landen wieder bei der Frage: Heißt „die Bibel ernst nehmen“, daß wir auch diese Verbot homosexueller Praxis befolgen müssen, ohne nach damaligen und heutigen Zeitumständen und Motiven zu fragen? Ich formuliere nochmals meine These: Das Verbot homosexueller Praxis im Alten Testament ist damit begründet, daß diese Praxis in jedem Fall nicht anders verstanden werden konnte als ein Gott und Menschen verachtender Versuch der Machtsteigerung; und dies höchstwahrscheinlich auch in Verbindung damit, daß nach heidnischem Vorbild durch sexuelle Hingabe das Einwirken übernatürlicher Kräfte erwartet wurde.
Gegen die Dämonisierung des Sexuellen:
Der Schöpfungsglaube
In den Religionen des alten Orients wurde das Geschlechtliche als etwas Göttliches angesehen. Der sexuelle Akt war auch für die Heiden geradezu ein Offenbarungsgeschehen – nicht aber für die Israeliten. Auch in der israelitischen Religion selbst war dieses und jenes aus dem Bereich des Sexuellen „unrein“ oder ein „Greuel“. Es wäre daher für das Volk Israel naheliegend gewesen, sich überhaupt abzuwenden von diesem so beunruhigenden und gefährlichen Bereich des Geschlechtlichen und den Geschlechtstrieb insgesamt als widergöttlich anzusehen. Aber das ist nicht geschehen! Das verdanken wir vor allem jenen Erzählern, die in ihren Darstellungen über die Erschaffung der Welt auch die Tatsache der Geschlechtlichkeit der guten Schöpfung Gottes zugeordnet haben. Nur werden leider hier – was die Homosexualität betrifft – oft falsche Schlüsse gezogen, besonders aus der herrlichen Erzählung von der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes Literarisch gesehen handelt es sich im 2. Kapitel des Buches Genesis um eine „Ätiologie“, eine „Ursachenerzählung“. Das bedeutet: Hier soll, eingekleidet in eine Geschichte, für einen allgemein bekannten Tatbestand die Ursache und damit auch der Sinn deutlich gemacht werden. Der allgemein bekannte Tatbestand ist „der urgewaltige Drang der Geschlechter zueinander“ (G. v. Rad, Genesis, S. 68). Nach dessen Ursache und Sinn wird gefragt: Handelt es sich um einen Unglücksfall? Und ist seine Folge, der Geschlechtstrieb, etwas, das möglichst unterdrückt werden soll? Keineswegs, antwortet die Erzählung. Gott hat es so gewollt! Der Mann bindet sich an seine Frau. Sie werden ein Fleisch. So wird der allgemein bekannte Tatbestand des Dranges der beiden Geschlechter zueinander als etwas Gutes erklärt. Und der damals weniger oder gar nicht bekannte Tatbestand, daß ein Mensch einen ebensolchen Drang in sich spürt zu einem andern Menschen des gleichen Geschlechts? Daß etwa ein Mann sich an einen Mann bindet? Darüber sagt diese Geschichte nichts. Davon, daß sie es verbietet, kann ich in ihr auch nicht eine Silbe finden. Im Gegenteil: Wird uns da nicht Mut gemacht, uns neu bewußt gewordene Dämonisierungen ebenfalls zu überwinden?
Die bequemste Lösung: Alles in einen Topf
Der Blick ins Neue Testament braucht nur ganz kurz zu sein. Das, was wir schon in der Zeit der Könige Israels als „Greuel“ kennengelernt haben, ist auch im Neuen Testament noch nicht überwunden. Warnungen vor Götzendienst, vor Magie und vor Zauberei als dem Kontaktsuchen zu dämonischen Kräften nehmen in den Mahnungen des Neuen Testaments einen festen Platz ein: „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Mißgunst, Trink- und Eßgelage und ähnliches mehr.“ (Gal. 5,19-21) Wiederum ist gemeint: Ein Gott und die Menschen verachtendes, auf nichts als auf den eigenen Macht- und Lustgewinn ausgerichtetes Leben, und der Versuch, durch heidnisch-magische Praktiken bis hin zur Ausschweifung übernatürliche Kräfte sich dienstbar zu machen.
Ähnlich wie im Galaterbrief finden wir im Neuen Testament diesen Lebensstil in zehn weiteren sogenannten „Lasterkatalogen“ beschrieben. Es wundert uns nicht, daß wir in zweien dieser „Lasterkataloge“ auch homosexuelle Praktiken genannt finden. Im Brief an die Römer spricht Paulus von den heidnischen Götzenbildern, die einen vergänglichen Menschen und alle möglichen Tiere darstellen. Die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes haben die Menschen vertauscht mit solchen Götzenbildern (Röm. 1,23). Wo nun der Mensch sich nicht mehr von Gott geliebt und bei ihm geborgen weiß, wo er sich nicht mehr diesem „herrlichen, unvergänglichen Gott“ anvertraut – dort kommen Selbstsucht und Raffgier über ihn. Dem Ziel der Genußmaximierung wird alles andere untergeordnet. Wertvolles wird mit Wertlosem vertauscht. Da kann dann auch das geschehen, was Paulus hier so beschriebt: „Dann lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht“ (Röm. 1,26f).
Abwendung vom liebenden Gott, Verehrung selbstgemachter Götzenbilder, Selbstvergötzung und rücksichtsloses Streben nach Macht und Genuß – ich frage jetzt: Soll damit auch das Bild von partnerschaftlichen Beziehungen homosexuell orientierter Menschen so ohne weiteres mit gemeint sein? Das ist das Gemeine an der Argumentation der homophoben Fundamentalisten (Homophobie = die von der Tiefenpsychologie untersuchten Ängste von Menschen vor homosexuell orientierten Menschen): Jeder homosexuelle Umgang ist für sie gleich. Und weil der Apostel Paulus über die Motive und die Gestaltung von homosexuellem Verhalten nur Abzulehnendes erwähnt, darum kann es da nichts anders als Abzulehnendes geben. Wo also homosexuelle Praxis auftritt, da braucht man gar nicht näher hinzuschauen – man weiß genau: Motive und Gestaltung homosexuellen Verhaltens sind so und so – die Heilige Schrift sagt mir das. Darum kann und muß das Urteil gesprochen werden: „Ausdruck des Aufbegehrens des Menschen gegen Gott und damit Schuld.“ (Klautke, S. 49) Theologen, die hier Einspruch erheben, stehen daher – so hat es unlängst ein evangelischer Pfarrer in Oberösterreich seinen anders denkenden Amtsbrüdern unterstellt – „unter dem Einfluß eines von Gott losgelösten individualistischen Glücksverständnisses“.
Beim Lasterkatalog in 1. Kor. 6 wird es genauso gemacht: Dort ist von Lustknaben und Knabenschändern die Rede, also von päderastischer Prostitution (Päderastie = Kinderschändung). Anlaß für die Aufzählung des Lasterkataloges ist an dieser Stelle der Vorwurf des Apostels, daß es unter den Christen in Korinth Streit gibt, sodaß man sogar vor heidnischen Gerichtshöfen übereinander herzieht. In brutaler Rücksichtslosigkeit will man sich durchsetzen mit allen Mitteln. „Ihr begeht Unrecht und Raub, und zwar an Brüdern!“ schreibt der Apostel ganz entsetzt. „Wißt ihr denn nicht, daß Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habgierige … werden das Reich Gottes erben“ (VV. 9-10). Das alles steht unter dem Stichwort „Unrecht“. Natürlich ist auch gleichgeschlechtliche Kinderprostitution Unrecht. Und natürlich ist mit dem Apostel zu fordern, daß solches Unrecht nicht weiter geschieht. Es ist gut vorstellbar, daß Gemeindeglieder in Korinth, als sie Christen wurden, das als Unrecht erkannt und damit aufgehört haben. Der Apostel schreibt ja hier: „Solche“ – solche Unrecht-Täter – „gab es unter euch, aber ihr seid gerecht geworden im Namen Jesu Christi.“
Wieder schmeißen homophobe Fundamentalisten alles in einen Topf, und sie behaupten: Auch hier sei ganz einfach jede Art von homosexuellem Umgang gemeint. Und wenn Christen in Korinth mit gleichgeschlechtlicher Kinderprostitution aufhören konnten – so sagt man –, dann können doch selbstverständlich auch alle homosexuell Orientierten ihre Orientierung ändern, wenn sie nur wollen und sich ordentlich zu Jesus Christus bekehren. Ich behaupte: Solche eine lebensfremde, ja lebensfeindliche Selbstaufgabe fordert der Gott der Bibel nicht.
Ich breche hier ab und schließe mit einem Bibelspruch und einem Wort von Martin Luther. Der Bibelspruch: „Halte dich nicht zu streng an das Gesetz, und sei nicht maßlos im Erwerb von Wissen. Warum solltest du dich selbst ruinieren?“ (Koh. 7,16). Und das Lutherwort: „Gott hat seine Gebote nicht gegeben, daß der Leib, die Habe oder die Seele umkomme, sondern daß dies in seinen Geboten vor Schaden bewahrt werde. Darum sind sie immer so zu verstehen, daß du gleichzeitig nicht vergessest, daß Gott den Leib geschaffen habe, die Seele und das Gut, und daß er will, du sollst dich darum bekümmern, auf daß, wenn einer davon – Leib, Seele oder Gut – in Gefahr kommt, du nun wissest, daß seine Gebote nicht mehr Gebote sind“ (Über die Mönchsgelübde, 1521).
Von Klaus Schacht