Was unterscheidet Johannes Calvin von unseren Urlaubsgästen? Das Gleiche, was ihn auch von Ulrich Zwingli unterscheidet:

Er war nie in Österreich. Daher ist für den größten Teil der hiesigen Bevölkerung der 10. Juli 2009, Calvins 500. Geburtstag, ein Tag wie jeder andere. Und nicht wenige unserer Landsleute würden bei einer der beliebten Quizsendungen bei der Frage: „War Johannes Calvin a) ein Erfinder, b) ein Mathematiker, c) ein Reformator, d) ein Skiläufer?“ mindestens einen Joker verbrauchen. Bestenfalls oder schlechtestenfalls (je nach politischer Einstellung) gilt er manchem als eine Art Chefideologe des Kapitalismus, etwa wie Quesnay oder Adam Smith. Und das ist gerade in Zeiten wie diesen keine besondere Auszeichnung.

Da nur zirka zwei Promille der Österreicherinnen und Österreicher der Reformierten oder, wie es hier heißt, Kirche helvetischen Bekenntnisses angehören, nimmt man also von Calvin bei uns wenig Notiz. Nichts hier erinnert an ihn, während es zum Beispiel in Wien kaum einen Bezirk ohne ein Haus gibt, in dem nicht angeblich irgendwann einmal Ludwig van Beethoven gewohnt hat. Warum hätte auch Johannes Calvin, als er 1533 wegen seines Glaubens aus Paris flüchten musste, ausgerechnet nach Österreich kommen sollen? So intolerant wie die Bourbonen waren die Habsburger auch. Damals regierte gerade einer dieser fürchterlichen Ferdinande, die das zu jener Zeit weitgehend evangelische Österreich durch Terror wieder katholisch machen wollten und dabei nur durch die Einfälle der Türken etwas eingebremst wurden.

Oder können Sie sich den Reformator bei einem Hüttenabend in Tirol oder in Grinzing beim Heurigen vorstellen? Oder die Sonne, die Berge, Theater und Konzerte, die herrliche Donaulandschaft der Wachau oder das pulsierende Leben der Metropole Wien genießend? Calvin war doch – ja, wie war er eigentlich? Ein starrsinniger Dogmatiker? Immerhin hat er ja zwischen Luther und Zwingli in der Abendmahlslehre vermittelt, das passt nicht zu diesem Bild. Das Zerrbild von Calvin stammt leider vom österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig: Calvin, ein finsterer, lustfeindlicher, grausamer Tyrann. Wie anders hingegen der stets fröhlich jodelnde Österreicher, der Wein, Weib und Gesang mehr liebt als jegliche Arbeit. Vielleicht ist es gerade dieses anscheinend völlig konträre Bild, was Osterreicher mit Calvin verbindet: dass nämlich beide Klischees nicht stimmen.

Alfred Heinrich ist Altkurator der reformierten Gemeinde Wien-West und Autor zahlreicher Zeitungs- und Rundfunkbeiträge.

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Die beiden folgnden Ausätze von Univ. Prof. Dr. Ulrich Körtner, dem Inhaber der Lehrkanzel für reformierte Dogmatik an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, informieren Insider und Reformierte in aller Welt über die interessante Reformiertengeschichte Österreichs und die Geschichte der reformierten Lehrkanzel in Wien.

(Peter Karner)

 

  • DIE CALVIN-REZEPTION IN ÖSTERREICH
    von ULRICH KÖRTNER
    PDF aus: Thomas Hennefeld und Peter Karner (Hg.), Johannes Calvin – Vom Katholikenschreck zum Mann der Ökumene. Ein Lesebuch zum 500. Geburtstag des Reformators. (2009, Verlag Der Apfel, Wien) S. 115-129.