Während zuweilen heute noch einige von unseren Herren Professoren in ihren Vorlesungen das Calvin-Klischee der Gegenreformation verbreiten, führt das Quellenstudium zu anderen Ergebnissen. Die nordamerikanische Kirchenhistorikerin Jane Dempsey Douglass, z.B., zeigt, dass der französischer Reformator Johannes Calvin im Vergleich zu den anderen vor und nach ihn ein geradezu feministischer Theologe ist.

Verdankt er die reformatorische Grundkenntnis von der Gewissensfreiheit eines Christenmenschen, der Freiheit vom Gesetz durch die Rechtfertigung aus Gnade auch Luther und Melanchthon, so ist er doch in einem entscheidenden Punkt weiter, „radikaler“ als sie: Er ist der einzige unter den Reformatoren, der das paulinische Gebot „die Frau schweige in der Gemeinde“ als unwesentlich, als gleichgültig abtut. Er macht aus dem ewigen, göttlichen Gesetz des Redeverbotes für Frauen eine menschliche von Zell und Ort abhängige, situationsbezogene Verordnung, die in christlicher Freiheit geändert werden kann.

(Ludwig SCHEIDER)

 

  • CALVIN, DER FEMINIST UNTER DEN REFORMATOREN
    von LUDWIG SCHEIDER
    Aus: Thomas Hennefeld und Peter Karner (Hg.), Johannes Calvin – Vom Katholikenschreck zum Mann der Ökumene. Ein Lesebuch zum 500. Geburtstag des Reformators. (2009, Verlag Der Apfel, Wien) S. 130-131.