Dimensionen der Spiritualität Calvins

Calvins Spiritualität bezieht das ganze Leben des Frommen und die ganze Gesellschaft ein, in der die christliche Gemeinde lebt. Glaube heißt, sich intensiv dessen bewusst zu sein, dass wir jede Sekunde coram Deo leben, zu erkennen, dass wir es in jedem Augenblick mit Gott zu tun haben (negotium cum Deo: Inst. II.7.2.). Praktische Richtlinien für diese Frömmigkeit werden im Goldenen Buche des christlichen Lebens zusammengefasst (Inst.III.6-10); der ethische Charakter dieses Lebens zeigt sich in der dritten Anwendung des Gesetzes (Inst.II.7.12). Die Bedeutung dieses Materials für die Spiritualität des 16. Jahrhunderts wird bestätigt durch die separate Veröffentlichung des Goldenen Buches und de Popularität von Calvins Predigten über Psalm 119 und den Dialog (Peter/Rudolphe 1991, 322.254.378.537.542; Peter/Rudolphe 1994, 648.692.720.935.938.966; Peter/Rudolphe 2000, 305.335.359). Die christliche Gemeinschaft ist der Ort, wo Spiritualität erlernt und sichtbar gelebt wird, gemäß den Kennzeichen der Christen: dem Bekenntnis des Glaubens, dem diesem Bekenntnis angemessenen Verhalten, der Teilnahme an den Sakramenten (Inst. IV.1.8). Eltern müssen ihre Hausgemeinschaft unterweisen und sie zum Gottesdienst und Katechismusunterricht mitnehmen; Taufen sind öffentlich und Taufpaten wie Eltern müssen den Glauben bekennen und ausüben (Ordonnances ecclésiastiques, CO 10,25.28). Alle Gläubigen haben die Pflicht, ausreichend gebildet zu sein, nicht nur, um ihre eigene Hausgemeinschaft zu unterrichten, sondern auch, damit sie erkennen und ihre Stimme erheben können, wenn Führer vom rechten Weg abgekommen sind (Komm.Mi 3,8). In Genf bildet der regelmäßige Gottesdienst den Mittelpunkt der geistlichen Unterweisung, aber das Konsistorium hatte auch die Aufgabe, der Gemeinde das richtige Wissen einzupflanzen und für gottgefällige soziale Beziehungen zu sorgen (Kingdon 1997; Lambert 1998). Oft wird die Meinung vertreten, die reformierte Tradition habe sich gegen Rituale gestellt, weil sie die meisten der traditionellen Formen verbannte – aus theologischen Gründen und nicht als Ablehnung des Rituals per se -, und sie habe ein distanziertes Verhältnis zu den Sakramenten gehabt, weil das Abendmahl nicht häufig angeboten wurde. In Calvins Genf wurde Frömmigkeit in sozialen Formen des Rituals gelehrt und ausgedrückt. Die Strukturen der Vorbereitung auf das Abendmahl umfassten ein Geflecht religiöser Handlungen wie die gemeinschaftliche Prüfung von Erkenntnis und Leben, die Versöhnung mit dem Nächsten und die Teilnahme an den Sakramentsgottesdiensten – Rituale, die bezeugen, welche integrale und entscheidende Rolle das Abendmahl in Calvins Spiritualität einnahm (Grosse 2004; Gerrish 1998). Herman J. Selderhuis, Calvin Handbuch

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