In den alten Tramways gab es noch die Werbung: »Worauf freut sich der Wiener, wenn er vom Urlaub kommt? Auf Hochquellwasser und Ankerbrot.« Ein Spruch, der vielen in Erinnerung geblieben ist. Tatsächlich mochten Reisende in den Nachkriegsjahren diese Werbung, waren sie doch in südliche Länder gereist, die weder Schwarzbrot noch Hochquellwasser hatten: Wien hatte sie wieder! Auf die gute Wasserqualität der Voralpenberge Schneeberg und Rax ist Wien bis heute stolz.

Radierung von William Unger.
Aus Bildarchiv Austria, ÖNB

Zu verdanken ist das gute Trinkwasser Eduard Suess. Als Politiker im Wiener Gemeinderat und als Abgeordneter der Liberalen im Niederösterreichischen Landtag beschäftigte er sich mit der Donauregulierung bei Wien und dem Bau der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung – zwei visionäre Projekte. Noch während der Weltausstellung, deren Erfolg durch den Ausbruch einer großen Choleraepidemie gefährdet war, konnte am 23. Oktober 1873 die I. Wiener Hochquellenwasserleitung gemeinsam mit dem Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz feierlich von Kaiser Franz Josef I. eröffnet werden. Am Beckenrand des Brunnens befinden sich 365 kleine Springbrunnen, die die Tage des Jahres symbolisieren. Die sechs Springbrunnen zwischen Beckenrand und innerer Insel und diese selbst entsprechen den sieben Wochentagen. Zwölf hohe Strahlen versinnbildlichen die Monate, 24 niedrige die Stunden des Tages und die 30 Strahlen in der mittleren Insel die Tage des Monats.

Eduard Suess war vor allem Geologe und Experte für die Tektonik der Alpen, Thesen zur Entstehung der Alpen begann er 1857 zu entwickeln. Mit der Einführung des heute noch gebräuchlichen Konzepts der eustatischen Meeresspiegelschwankungen lieferte er eine plausible Erklärung, warum sich unterschiedliche geologische Einheiten wie Jura, Kreide u. a. ausbildeten. Der Kernsatz seines geologischen Weltbildes klang apokalyptisch: »Der Zusammenbruch des Erdballs ist es, dem wir beiwohnen.« Suess kam zu dem Schluss, dass Afrika und Europa einstmals eng verbunden waren. Er begriff als Erster, dass der Ostafrikanische Graben auf Grund von lateralen Ausdehnungsbewegungen entstanden sein musste, die zur Ausdünnung der Erdkruste und zur Bildung eines Grabenbruchs führten. Sein Buch »Der Boden der Stadt Wien« 1862 begründete seinen Ruf, 1875 veröffentlichte er »Die Entstehung der Alpen«, 1883 »Das Antlitz der Erde«, das viele Jahre als Lehrbuch der Geologie galt. Er führte den Begriff der Biosphäre ein, der später von Teilhard de Chardin und dem Geochemiker Vladimir Ivanovitsch Vernadskij weiter ausgebaut wurde. Als Landesschulinspektor half er mit, das Reichsvolksschulgesetz umzusetzen, das bis 1962 in Kraft blieb. Zahlreiche seiner Thesen gelten bis heute, einige sind wissenschaftlich überholt. Das Trinkwasser Wiens wird jedenfalls für immer mit seinem Pioniergeist verbunden bleiben. Der Name Suess ist in der Lutherischen Kirche geläufig, weil sein Großneffe Emil Suess eine Stiftung gründete, die bis heute evangelisch-diakonische Organisationen unterstützt.

Carl Adolf Eduard Suess wurde als Sohn eines Industriellen geboren und kam 1846 mit seiner Familie nach Wien, wo er am Polytechnikum studierte. Seine politische Betätigung im Rahmen der Revolution 1848 brachte ihn vor ein Kriegsgericht, vor den Folgen bewahrte ihn der Direktor der  „kaiserlich-königlichen geologischen Reichsanstalt“ in Wien (nunmehr Geologische Bundesanstalt), Wilhelm Karl Haidinger. 1855 heiratete er Hermine Anna Strauß und hatte mit ihr sieben Kinder. 1852 wurde er Assistent am Hofmineralienkabinett, 1857 a.o. Professor für Paläontologie, 1862 übernahm er die Lehrkanzel für Geologie. 1863 wurde Suess in den Gemeinderat gewählt (1863-1873, 1882-1886). Zahlreiche politische und wissenschaftliche Betätigungen folgten. 1873 wurde er Ehrenbürger der Stadt Wien und wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er war außerdem Mitglied fast aller europäischen Akademien.

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 144-145.

 

Die Eduard-Suess-Gasse im 15. Wiener Gemeindebezirk wurde 1947 nach Eduard Suess benannt, die Tethysgasse im 2. Wiener Gemeindebezirk (seit 2014) erinnert an einem im Erdmittelalter existierenden und von Suess Tethys genannten Ozean. In der Grünanlage am Schwarzenbergplatz befindet sich das von Franz Seifert stammende Suess-Denkmal.
Auch in Linz, in St. Pölten, in Marz und in Hirschwang an der Rax sind Straßen nach ihm benannt; des weiteren der Suessgletscher im ostantarktischen Viktorialand, der Mount Suess im Transantarktischen Gebirge, der Marskrater Suess sowie der Mondkrater Suess, und die Österreichische Geologische Gesellschaft vergibt seit mehr als 100 Jahren die Eduard-Sueß-Gedenkmünze.
Sein Geburtshaus in 4 Duncan Terrace, London N1 wurde von der Geological Society of London mit einer Gedenktafel versehen.