Kaum jemand weiß, dass das Wiener Rathaus von einem evangelischen Architekten gebaut wurde. Schmidt war einer der Preisträger im Wettbewerb um die Votivkirche in Wien. So begann sein Kontakt in Wien, wo er zu dem neugotischen Meisterarchitekten seiner Zeit werden sollte. 1857 ließ ihn Erzherzog Ferdinand Maximilian durch den Unterrichtsminister Graf Leo Thun-Hohenstein an die Akademie in Mailand berufen. Dort leitete er die Abteilung für mittelalterliche Architektur. Er musste feststellen, dass seine evangelische Konfession ein Hindernis für seine weitere Karriere in Österreich war, und konvertierte bereits in Mailand zum Katholizismus. 1859, als Mailand für Österreich verloren ging, wurde er an die Wiener Akademie für bildende Künste berufen. Eine Spezialschule für Architekten ebendort leitete er bis zu seinem Tod. Bald wurde er Dombaumeister von St. Stephan (Verstand er sich vielleicht insgeheim als interkonfessioneller Architekt?) und entwickelte sich in kurzer Zeit auch zu einer der führenden Künstlerpersönlichkeiten der Ringstraßenära. Unter Bürgermeister Cajetan Felder wurden 64 Entwürfe von Architekten aus Österreich, Belgien, Deutschland, Frankreich und Italien für den Bau des Wiener Rathauses eingereicht. Der Entwurf von Friedrich Schmidt gewann die Ausschreibung von 1868 schließlich. 1883 konnte der Neubau eingeweiht werden.

Wiener Rathaus, 2015, Foto Thomas Ledl.
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Er war es, der der Neugotik im Sakral- wie im Profanbau zum Sieg verhalf. Er war mehrfach Rektor der Akademie und Vorsteher des »Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins«. Schmidt war auch Experte für die Restaurierung bzw. Umgestaltung gotischer Bauten, wie des Südturms des Stephansdoms und des Stiftes Klosterneuburg. Einer seiner bemerkenswerten Sakralbauten ist die »Kirche Maria vom Siege« (geistlich der Gegenreformation verhaftet), in der er Elemente der Gotik mit dem barocken Zentralkuppelschema verschmilzt. Vielen Widerständen zum Trotz wurde Schmidt auch mit der Errichtung zahlreicher neugotischer Profanbauten betraut, etwa dem Akademischem Gymnasium (1860-1863) oder dem Sühnhaus 1882-1886 (an Stelle des abgebrannten Ringtheaters am Schottenring; im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt).

Dazu kamen mit den Jahren unzählige große Aufträge im europäischen Ausland. Etwa die Restaurierungen und Umbauten Santa Maria dell‘Orto, Venedig; Burg Karlstein, der Dom zu Zagreb, die Burg in Meran, das Postgebäude in Basel, der Dom zu Pecs usw. Da wundert es nicht, dass seine Tätigkeit schulbildend wirkte und viele junge Architekten seine »gotischen Idealvorstellungen« übernahmen.

Um das Jahr 2000 tauchte ein Entwurf Schmidts für den Umbau des evangelischen Teils der Wiener Dorotheergasse auf. Dieser Entwurf war bis dahin unbekannt. Dass die Reformierte Stadtkirche 1887 eine neobarocke Fassade erhielt, wurde oft kritisiert. Schmidt sah für die Reformierte Kirche getreu der europäischen Tradition die Form des klassizistischen Tempels vor. Die Lutherische Stadtkirche sah er als neugotische Kirche – und zwischen den beiden Kirchen die Evangelische Schule. Ein Auftraggeber für diesen Entwurf ist bis jetzt nicht bekannt. Ob es eine Eigeninitiative des Meister war? Bei aller Würdigung: Gott sei Dank ist nichts daraus geworden!

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 127-128.