Marcus kam 1852 nach Wien und machte sich 1860 als Mechaniker selbständig. Der Kaiser schätzte und würdigte seine technischen Leistungen. Und Marcus war gefällig. Er legte in der Wiener Hofburg eine Klingelleitung für Kaiserin Elisabeth an und gab dem Kronprinzen Rudolf naturwissenschaftlichen Unterricht. Er besaß mehr als 100 Patente, davon allein in Österreich 38. Sein magnetisch-elektrischer Zündapparat brachte den größten finanziellen Erfolg, als »Wiener Zünder« bei der österreichischen Marine und den Pionieren sowie bei der preußischen und russischen Armee eingeführt. Diesen Zünder und andere seiner Erfindungen wie eine Thermosäule, einen magnet-elektrischen Rotationsapparat und einen Feldtelegrafen führte er auf der Weltausstellung 1867 in Paris vor.

Siegfried Marcus war eines der größten technischen Genies des 19.Jahrhunderts. Im wissenschaftlichen Wien galt er nicht nur als »Pionier der Elektrizität«, sondern wurde auch mehrfach ausgezeichnet und mit Preisen bedacht. Seine größte Leistung aber muss man in der Schaffung der Gesamtkonstruktion des Automobils erblicken. Er entdeckte nicht nur das Benzin als vorteilhaftesten Treibstoff für das Auto, sondern schuf auch den Vergaser und die magnet-elektrische Zündung für den ersten mobilen Viertakt-Benzin-Automotor der Welt. Sein erster handwagenähnlicher Versuchswagen brachte ihm die ersten Erfahrungen mit dem selbstfahrenden Straßenwagen (1864). Die zweite Konstruktion jedoch bewies eindeutig, dass er auf dem richtigen Weg war. Dieser Wagen von 1875 präsentiert sich auch heute noch als der erste Entwurf des modernen Automobils, das bereits mit allen wichtigen Konstruktionsdetails ausgestattet war. Marcus war aber auch ein fortschrittlicher Motorenbauer und Erfinder unzähliger Neuerungen in der Technik.

Hat nun Marcus das erste Auto vor den Deutschen Gottlieb Daimler und Carl Benz erfunden? In diesem Zusammenhang sprechen Historiker gerne vom »Marcus-Mythos«, denn natürlich seien die Deutschen früher dran gewesen. Die Sache ist noch nicht endgültig geklärt, ist aber ein »schönes« Beispiel für einen deutsch-österreichischen Technikstreit. Wird Marcus zu Unrecht gerühmt, oder handelt es sich lediglich um die historische Konkretion teutonischen Hochmuts?

Der Techniker Alfred Buberl hat übrigens 1950 das zweite Auto von Marcus mit Erfolg wieder in Betrieb genommen. In seiner Kurzgeschichte »Der Kilometerfresser« hat der österreichische Dichter Emil Ertl 1927 Marcus ein literarisches Denkmal gesetzt; ohne Wirklichkeitsbezug und ohne seinen Namen zu nennen. In dieser Geschichte wird Marcus »Spinnerrich« genannt und behauptet, er sei Webstuhlmechaniker gewesen.

1852 ging Marcus nach Wien, wo er bis zu seinem Tod blieb. Ab 1854 arbeitete er als Laborant und Mechaniker am k. k. Physikalischen Institut. 1855-1856 war er in der Geologischen Reichsanstalt tätig. 1856 eröffnete er sein erstes Labor in der Wiener Mariahilfer Straße, das er »Telegraphenbauanstalt« nannte. Von 1890 an entstanden in der nahen Mondscheingasse Geräte für das grafische Gewerbe. Dazu Telegrafenapparate, elektrische Zünder für militärische und zivile Zwecke; elektrische Beleuchtungskörper, Gas-, Alkohol- und Benzinlampen. Bekannt gemacht haben ihn seine Vergaser, Benzinmotoren und seine zwei Motorwagen (»Autos«). Viel hat Marcus selbst erfunden und weiterentwickelt.

Der Autopionier Albert Hermann Curjel hat mit Marcus dessen ersten Automotor auf der Schmelz ausprobiert – und sie wurden prompt von der Polizei wegen »Erregung öffentlichen Ärgernisses« festgenommen. Dessen Sohn Arthur Curjel war der erste große Wiener Händler für Nähmaschinen, Fahrräder, Motorräder und Autos. Hier kaufte das Kaiserhaus ein und alles was Rang und Namen hatte. Als einer der ersten Autofahrer musste Arthur Curjel noch keinen Führerschein haben.

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 108-109.