Bereits das EKG war ein gemeinsames Gesangbuch aller evangelischen Landeskirchen in Ost- und Westdeutschland sowie der Evangelischen Kirche A.B, und der Evangelischen Kirche H.B. in Österreich, wobei jede Kirche neben dem gemeinsamen Liederteil (1-394) auch noch einen landesspezifischen zweiten Liederteil hatte. Dies ist auch beim EG so geblieben. Der gemeinsame Teil an Liedern und Gesängen ist allerdings mit 535 Nummern größer geworden. Der Österreichteil umfasst Die Nummern 550-672).

Foto: EPD Uschmann
Foto: EPD Uschmann

Das EKG ist erwachsen aus den Erfahrungen des Kirchenkampfes, der Singbewegung und der Neuentdeckung der liturgischen Funktion gottesdienstlichen Singens. Der Abstand zu der Zeit, in der das EKG entstand (in Deutschland wurde es bereits 1950 eingeführt), wurde freilich immer größer. Auch fehlten in diesem ökumenische Lieder, Lieder aus anderen Ländern und Kirchen und naturgemäß vor allem Lieder, die nach 1950 entstanden sind. So entwickelte sich immer mehr der Bedarf nach einem neuen Gesangbuch, das diesem Mangel abhelfen sollte und auch dem inzwischen reichlich entstandenen neuen Liedgut Raum bot.

Das EG – ein Buch mit langer Vorbereitung

Die Vorarbeiten des neuen Gesangbuches gehen bereits auf das Jahr 1980 zurück. Die lange Dauer der Vorbereitung hing auch damit zusammen, dass in der Gesangbuchgeschichte noch nie ein Gesangbuch auf so demokratische Weise und unter Einbeziehung so vieler Kirchen und Einzelpersonen entstanden ist. Die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, die Evangelischen Kirchen in Österreich sowie in Elsass-Lothringen entsandten ihre Vertreter in einen gemeinsamen Gesangbuchausschuss. Dieses Gremium von ca. 50 Personen, das einen Großteil der Arbeit in verschiedenen Unterausschüssen leisten musste, hatte die Ergebnisse immer wieder den einzelnen Kirchen als den Auftraggebern zur kritischen Stellungnahme vorzulegen. Insgesamt vier mal hatten die Kirchen Gelegenheit, ausführliche Stellungnahmen abzugeben: zunächst zu den „Grundsätzen“, dann zur vorläufigen Liederliste sowie zum Entwurf des Textteiles und schließlich zum „Vorentwurf“. Die Entscheidung, ob ein neues Lied aufgenommen bzw. ein altes Lied nicht mehr aufgenommen werden soll, war nicht immer leicht zu treffen und erfolgte oft erst nach langer Diskussion. Über jedes Lied ist einzeln abgestimmt worden. Die Arbeit, die in den Unterausschüssen geleistet wurde, war gewaltig. Mehr als 3000 neue Lieder behandelte allein der Unterausschuss „Neues Liedgut“.

Das EG – ein Buch der Tradition

Was das EG mit dem EKG verbindet, ist der Umstand, dass auch dieses neue Gesangbuch ein Buch der Tradition mit vielen alten Liedern ist. Über 300 Lieder des gemeinsamen Teiles des EKG finden sich auch im neuen Gesangbuch wieder. Dadurch soll deutlich gemacht werden: Schon vor uns haben Generationen von Christen gesungen und mit ihrem Lied ihren Glauben zum Ausdruck gebracht. Die christliche Kirche ist von Anfang an eine singende Kirche gewesen und jede Epoche in der Geschichte dieser Kirche hat auch ihr eigenes spezifisches Lied hervorgebracht.

Das EG – ein Buch neuer Lieder

Freilich ist es nun auch die besondere Aufgabe eines neuen Gesangbuches, das „neue Lied“ zu vermitteln. Aus dem überreichen Angebot des 1970 einsetzenden „Liederfrühlings“ wurden viele Beispiele ausgewählt, die teilweise auch schon durch die Ergänzungshefte zum EKG in den Gemeinden in Gebrauch waren.

Das EG – ein Buch vielfältiger Singformen

Neu ist im EG auch, dass es im Liedteil nicht nur das gewohnte Strophenlied enthält, sondern eine Mehrzahl an Singformen anbietet. Dazu gehört das Kehrverslied ebenso wie der Kanon, der Singspruch oder ein vierstimmiger Satz. Das Singen in der Gemeinde muss nicht immer nur einstimmig erfolgen. Mehrstimmiger Gesang kann das Singen bunter und abwechslungsreicher gestalten.

Das EG – ein Buch für den Gottesdienst

Wie bereits das EKG will auch das EG ein Buch für die Gemeinde und ihren Gottesdienst sein. Daher stehen die Rubriken „Kirchenjahr“ und „Gottesdienst“ auch in diesem Gesangbuch am Anfang des Liederteiles. Auch die Gottesdienstordnungen, die dem Liedteil vorangestellt sind und die Gottesdienstliturgie der lutherischen und der reformierten Kirche in Österreich und die Gottesdienstliturgie nach der Erneuerten Agende enthalten, sowie die vier Tagzeitengottesdienste (Morgen-, Mittag-, Abend- und Nachtgebet), aber auch ein Gebet nach der Ordnung von Taizé weisen das EG als liturgisches Handbuch der Gemeinde aus. Vor allem im Bereich der liturgischen Gesänge wurden Erweiterungen vorgenommen, die den Mitvollzug des Gottesdienstes lebendiger und bunter gestalten helfen möchten. Dabei wurden auch Anleihen bei anderen christlichen Traditionen gemacht, wie etwa der Orthodoxie. Aber auch Gesänge aus Taizé und im gregorianischen Stil gehören zu der angebotenen Auswahl an liturgischen Akklamationen und Rufen. Zählte das EKG lediglich 13 liturgische Gesänge, so sind es im EG bereits im gemeinsamen Teil 50 und im Österreichteil weitere 20.

Das EG – ein Buch für die Familie

Das EG trägt nicht mehr die Bezeichnung „Kirchengesangbuch“, sondern heißt nur mehr schlicht „Gesangbuch“. Diese Bezeichnung wurde bewusst gewählt. Wenn auch das EG in seiner Rolle als Gottesdienstbuch eher noch verstärkt worden ist, wurde es bewusst auch als Buch für die Familie konzipiert. Damit sollte an die lange Tradition evangelischer Frömmigkeitsgeschichte erinnert werden, in der das Gesangbuch neben der Bibel zu einem wichtigen Lebensbegleiter für den Einzelnen wie für die Familie gewesen ist. Das Gesangbuch war so auch immer persönlicher Besitz und es wurde zu den verschiedensten Anlässen aus dem Regal geholt, darin gelesen, daraus gesungen und gebetet. Die meisten Lieder eignen sich nicht nur für den Gottesdienst und verschiedene Gemeindeveranstaltungen, sondern auch für den häuslichen Gebrauch.

Das EG – ein Gebetbuch

Dass das EG auch ein Begleitbuch für das Leben des Einzelnen wie für die Familie sein möchte, wird auch darin deutlich, dass es einen reichhaltigen Schatz an Gebeten enthält. Es ist also nicht nur ein Lieder-, sondern auch ein Gebetbuch. Auf vielen Seiten sind Morgen-, Mittags- und Abendgebete, Gebete zu einzelnen Gedenktagen und Lebenssituationen (z.B. in Erwartung eines Kindes, zum Schulanfang, beim Heranwachsen der Kinder, zum Geburtstag, am Gedenktag der Hochzeit, aber auch für kritische Zeiten der Ehe, in Einsamkeit, für Arbeit und Beruf etc.) gesammelt. Sie können und wollen das Beten mit eigenen Worten nicht ersetzen, aber sie können und wollen eine Hilfe sein, wenn die eigenen Worte zum Beten fehlen.

Das EG – ein Kommentar zur Bibel

Bibel und Gesangbuch ergänzen einander. Das Wort der Bibel und die dieses auslegende und aktualisierende Verkündigung löst dem Menschen immer wieder die Zunge und macht ihn zum Singen fähig. Ohne die Bibel gäbe es auch kein Lied der Kirche. Andererseits transportiert das Lied immer wieder biblische Inhalte, kommentiert und vertieft sie und kann sie noch einmal anders als das gesprochene Wort zu Bewusstsein bringen. Die im EG enthaltene neue Gattung „Biblische Erzähllieder“ will biblische Inhalte zu Gehör bringen. In einer Zeit, in der biblische Inhalte immer mehr verloren gehen, will diese Liedgattung einen Beitrag dazu leisten, dass zentrale Aussagen der Bibel im Gedächtnis bleiben.

Das EG – ein Buch der Bekenntnisse

Aber nicht nur das Wort der Bibel soll durch das Gesangbuch in Erinnerung gebracht und verinnerlicht werden. Auch die daraus resultierenden Bekenntnisse und Bekenntnisschriften der evangelischen Kirche sind ein wesentlicher Teil des EG. Neben dem apostolischen Glaubensbekenntnis und dem alle christlichen Kirchen verbindenden Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel enthält das Gesangbuch Bekenntnisschriften der Reformationszeit (Kleiner Katechismus Luthers, Augsburger Bekenntnis, Heidelberger Katechismus, Zweites Helvetisches Bekenntnis), wobei der Heidelberger Katechismus trotz seines Umfanges zur Gänze abgedruckt ist. Neu im EG ist die Aufnahme der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen (1934) und ein Auszug aus der Leuenberger Konkordie (Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa).

Das EG – ein Buch der Ökumene

Die grenzüberschreitende Bedeutung des Singens wird im EG dadurch verdeutlicht, dass es im Unterschied zum EKG eine Fülle ökumenischer Lieder enthält und sich so als Buch der Ökumene versteht. Noch mehr als im katholischen Gesangbuch „Gotteslob“ sind im EG Liednummern mit einem „ö“ versehen und somit als ökumenische Lieder gekennzeichnet. Die Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut, die schon die Vorarbeiten für das „Gotteslob“ begleitet hat und auch die des im Entstehen begriffenen neuen katholischen Gesang- und Gebetbuches begleitet, hat auch beim EG wichtige beratende Arbeit geleistet. Heute dürfen wir uns freuen, dass dem ökumenischen und die Kirchen verbindenden Liedgut eine immer größere Bedeutung zukommt. Ein Gesangbuch kann daher heute neben der Wahrung der eigenen Identität nur als ökumenisches Buch konzipiert sein. Ökumene meint freilich nicht nur die Gemeinsamkeit des Singens zwischen katholischen und evangelischen Christen, sondern die Anteilnahme und das Anteilgeben am Liedgut anderer Völker und Nationen, also der weltweiten Ökumene. Durch die ökumenischen Zusammenschlüsse des 20. Jahrhunderts wie Weltrat der Kirchen, Lutherischer und Reformierter Weltbund ist es – bedingt durch die gemeinsamen Gottesdienste – auch zu einem Austausch des Liedgutes gekommen. Das hat im EG seinen Niederschlag gefunden.

Das EG – ein Buch mit neuen Themen

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis und die Gliederung des EG macht deutlich, wie vielfältig die Auswahl der Themen ist, die im diesem Gesangbuch „besungen“ werden. Unter der Gesamtüberschrift „Glaube – Liebe – Hoffnung“ haben nicht nur das Lob- und Danklied, das Lied der Zuversicht, das Lied, das zu Umkehr und Nachfolge aufruft, und das Lied, das die Geborgenheit in Gottes Liebe zum Inhalt hat, Platz gefunden, sondern auch das Lied der Klage und der Sorge um Gottes gute Schöpfung.

Das EG – ein Buch für den Religionsunterricht

Nicht nur der Umstand, dass das EG auch als Schulbuch im Religionsunterricht Verwendung findet, hat Ausschau halten lassen nach geeigneten Kinder- und Jugendliedern. Bei der Vielzahl der gerade in den letzten Jahrzehnten entstandenen Liedern für dieses Alter konnte freilich nur eine Auswahl im EG Aufnahme finden. Aber gegenüber dem EKG wurde der Anteil an kind- und jugendgemäßen Liedern – nicht zuletzt im österreichischen Liederteil – deutlich vermehrt. Ein Verzeichnis dieser Lieder findet sich am Schluss des Gesangbuchs.

Das EG – ein literarisches Zeugnis

Das EG ist auch ein literarisches Zeugnis vieler Generationen und Jahrhunderte, und es war dem Gesangbuchausschuss ein Anliegen, dass jede Epoche der Liedgeschichte angemessen zu Wort kommt – auch das im EKG zu kurz gekommene 19. Jahrhundert. Keine Epoche allein singt das Lob Gottes vollständig. Aber die Vielfalt der Zeugnisse der Liedgeschichte lässt auch das Lob Gottes und das Staunen über seine Taten vielfältiger erklingen. Unvollkommen wird es allemal bleiben, denn erst in einer anderen Welt wird das „Gloria sei dir gesungen“ in Vollendung erklingen.

Univ.-Prof. Mag. Werner Horn
Langjähriger Vorsitzender der Gesangbuchkommission der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich sowie Vertreter dieser Kirche im gesamtdeutschen Gesangbuchausschuss