Von Gustav REINGRABNER

Frauen haben von Anfang an die reformatorische Bewegung mitgetragen. Sie haben in nicht wenigen Fällen sogar ganz wesentlich dazu beigetragen, daß sich diese Bewegung entfalten konnte oder Profil bekommen hat. Und in den Zeiten der Bedrängnis waren es nicht selten wieder Frauen, die den Geängstigten und von Unterdrückung Bedrohten Rückhalt und Mut gegeben haben.

Es ist nur so, daß diese Frauen, die an der evangelischen Bewegung und ihrer Entfaltung einen derart hohen Anteil gehabt haben, nur in seltenen Fällen nach außen hin in Erscheinung getreten sind. Die offiziellen Verhandlungen, die Verträge, Berufungsbriefe und Entscheidungen haben in den meisten Fällen Männer durchgeführt, bzw. getroffen.
So fällt es gar nicht so leicht, den Anteil festzustellen, den Frauen wirklich am Werden des Protestantismus hatten. Und es fällt ebenso wenig leicht, ein Lebensbild einer bestimmten Frau zu geben, weil dafür allgemeine Nachrichten nur in seltenen Fällen zur Verfügung stehen. Der Forschende ist auf Selbstzeugnisse und Briefe von solchen Frauen, ob adelig oder bürgerlich ist gleich, angewiesen. Aber gerade solche Selbstzeugnisse, also Tagebücher oder chronikale Aufzeichnungen, Erinnerungen oder Belehrungen für die Kinder, sind nicht eben viele bekannt. Die wenigsten von ihnen sind auch so geartet, daß sie etwas von der Persönlichkeit und dem Glauben der Verfasserin verraten. Die wenigen erhaltenen Zeugnisse dieser Art stammen zudem fast immer von adeligen oder großbürgerlichen Damen, wobei sie auch nur selten durch wirklich lange Zeit derartige Aufzeichnungen geführt haben

Ein solches „Gedächtnisbuch“ hat Esther von Gera hinterlassen. Es setzt sich aus eher zufälligen und nur fallweise niedergeschriebenen Erinnerungen, Gedanken, Nachrichten und Gedichten zusammen. In diesen Reflexionen ist aber die ganze Zeit eingefangen, in der die Schreiberin lebte. Und es war eine für den Protestantismus in Österreich wenig erfreuliche Zeit

Die Verfasserin ist vermutlich gegen 1563 als Tochter des Obersthofkämmerers Erzherzog Karls von Innerösterreich, Wolfgang von Stubenberg und seiner ersten Gattin Susanna von Pögl, in Kapfenberg geboren worden. Im Jahr 1583 heiratete sie den steirischen Edelmann Hans Christoph von Gera, der sechs Jahre später mit seinem Bruder und seinen in Niederösterreich ansässigen Vettern von Kaiser Rudolf II. in den Freiherrnstand erhoben wurde. Das Ehepaar besaß die steirischen Herrschaften Arnfels und Oberwildon, sowie die oberösterreichischen Herrschaften Waxenberg und Freistadt, letztere allerdings nur als Pfand. Im Jahr 1604 übersiedelte die Familie – ziemlich sicher aus religiösen Gründen – aus der Steiermark nach Oberösterreich, wo sie in Schloß Eschelberg im Mühlviertel (im Rodl-Tal oberhalb von Ottensheim) ihren Wohnsitz nahm. Hans Christoph von Gera wurde 1608 – mitten in einer bewegten Zeit – Verordneter, also Vertreter des oberösterreichischen Herrenstandes; stand damit neben Georg Erasmus von Tschernembl, starb aber schon im September 1609 im Gefolge eines Schlaganfalls im Landhaus zu Linz. Esther war bei seinem Tod anwesend und beschreibt in ihrem Gedächtnisbuch recht genau ihre Gefühle und Empfindungen

Der Ehe entstammten mehrere Kinder; vier Söhne und drei Töchter sind jedenfalls bekannt, deren einer im Jülich-Cleve’schen Erbfolgekrieg als Soldat diente, dort verwundet und gefangen genommen wurde, was der Mutter einige schlimme Wochen bescherte. Sie selbst starb schon recht bald nach den Tod ihres Gatten, nämlich am 20. Oktober 1611 in Eschelberg nach einer Zeit der Kränklichkeit

Die Geschehnisse der Zeit haben immer wieder in ihr Leben eingegriffen. Zunächst war es die Ferdinandei’sche Gegenreformation, dann war es der Bruderzwist in Habsburg, in dem die oberösterreichischen Stände unter Tschernembl eine besondere Rolle spielten, und dessen Aufregungen ihren Mann das Leben kosteten, aber auch der unter Landeshauptmann Löbl in Linz vorangetriebenen Gegenreformation vorerst einmal ein Ende machten, schließlich waren es noch die Plänkeleien, die auf den baldigen Ausbruch der großen Auseinandersetzung um Macht und Religion hinwiesen, der dann 1618 erfolgte. Den hat sie aber ebenso wie die Zerstörung des adelig-evangelischen Einflusses im Lande ob der Enns nicht mehr erlebt

Das war aber auch nicht ihre Welt. Sie nahm zwar Anteil daran und berichtete in ihrem Gedächtnisbuch auch immer von solchen – und anderen äußeren – Ereignissen, wie etwa einem Erdbeben im Jahr 1602 oder dem Einfall des sogenannten „Pasauer Kriegsvolks“ in das Land ob der Enns; ihre eigentlichen Interessen gehörten aber doch dem häuslichen Leben, der engeren Familie, in der ihre ältere Schwester Sophie, die mit einem Grafen Zrinyi verheiratet war (und im Jahr 1604 verstorben ist) eine besondere Stellung einnimmt, aber auch dem Ergehen der anderen Familienangehörigen. Daß in einem solchen Gedächtnisbuch allerlei Rezepte und nützliche Angaben nicht fehlen, ist dem Brauch der Zeit entsprechend und verständlich. Das, was aber die Aufzeichnungen der Frau von Gera besonders bedeutsam machen, ist die ständige gläubige Reflexion der Grundtatsachen des Lebens, unter denen der Tod, also das gute und gesegnete Sterben begreiflicherweise je länger, desto deutlicher in den Vordergrund tritt. Dabei bedient sie sich aber nicht nur der gängigen, in den Predigten zu hörenden Gedanken und Aussagen, sondern schiebt immer wieder lyrische Elemente zwischen solche Aussagen ein. Diese stehen eindeutig in der aktuellen Tradition des evangelischen Kirchenliedes, stellen aber allem Anschein nach doch eigenständige literarische Leistungen der Verfasserin dar, verschaffen jedenfalls den Notizen und damit dem Denken und Fühlen Esthers von Gera eine religiöse Verinnerlichung, die anscheinend in der Frauenfrömmigkeit der Zeit, anders als bei manchen Männern dieser Jahre, vorhanden gewesen ist

Das Erlebnis des Todes ihres Gatten war für sie kein Grund, in eine melancholische Grundstimmung zurückzusinken, wie eine solche in dieser Zeit unter den Männern gar nicht selten vorkam, sondern eher der Anlaß, Gottes gütige Führung zu prüfen, zu erkennen und zu rühmen. Dieses Lob Gottes steht denn auch im Mittelpunkt der entsprechenden Darlegungen. In diesem Resurnee sieht sie sich in ihrem Lebensweg bestärkt und bestätigt, bringt darin auch ihre Hoffnung ein, daß Gott ihr weiterhin helfen werde, und sieht ihre Aufgabe darin, daß „sein heiliger Name durch mich gepriesen werde.

Nicht immer vermag sie Enttäuschung und Verbitterung zu verarbeiten – daß ihr das aber in vielen Aussagen gelingt, ist ein deutliches Zeichen ihrer Bekenntnistreue und ihrer Überzeugung, den wahren Glauben zu haben. Dabei verzichtet sie weithin auf schablonenhafte Aussagen und Stereotypen. Sie vermag allgemeine Erfahrungen aufzunehmen und zu verarbeiten, aber auch persönliches Leid in Worte zu fassen und gleichzeitig den Trost des Evangeliums dazuzustellen. Einige Zeilen aus ihren lyrischen Bemühungen sollen das zeigen: „Gelobt sei Gott ewiglich, der mich regiert ganz wunderlich“ (= wunderbar). „Des Herren Name sei gepreist, der an mir große Treu beweist.“ Sie kann aber auch im Leid verharren: „Wer wissen will groß Herzesleid, wie sich ein Herz in Trauer waidt, der frag mich drum, ich weiß Bescheid.“ „Wer betrübt ist, der bete.“ „Der grausam Gott mit seiner Macht hat mich nunmehr dahin gebracht, daß ich meines Lebens nicht mehr acht.“ „Des Herren Hand, die ist so schwer, daß man oft denkt, ich kann nicht mehr.

Todessehnsucht und Heimkehr in Gottes ewiges Vaterhaus bilden den Schluß ihrer Aussagen. Sie ist am 27. Juni 1611 krank aus dem Bad von Wallsee heimgekommen, fügte an die entsprechende Notiz im Gedächtnisbuch noch ein Bittgebet um die Erlösung an und läßt die letzten Eintragungen ausschließlich um das Thema des göttlichen Trostes im Leid kreisen

Ein Ende ihres Leidens ist ihr dann auch bald beschert worden. Persönlich und durch ihre Aufzeichnungen hat sie nicht nur ihr Gesinde und ihr „Haus“, in dem sie die Leitung hatte, mit derartigen Gedanken des Glaubens bekannt gemacht, sondern auch ihre Familie beeinflußt. Bekannt ist immerhin, daß ihre Enkelin Maria Susanne siebzehn Jahre nach dem Tod Esthers mit Eintragungen in das Büchlein der Großmutter begann und diese – freilich mit der Beschränkung auf familiäre Ereignisse – durch lange Zeit fortsetzte.

 

Aus: Glaube und Heimat 1999, S.34-35