Von Gustav REINGRABNER

Die evangelische Kirche in Österreich hat es Frauen nicht ganz leichtgemacht, in ihr tätig zu sein. Und die Theologische Fakultät hat es auch nicht leichtgemacht, dass Frauen an ihr zu lehren vermochten. Erst im Oktober 1996 trat die erste ordentliche Professorin ihr Amt an der Fakultät an. Vorher gab es auch kaum Frauen unter denen, die als Assistenten hier tätig sein konnten. Die erste Dozentin, die dann aufgrund ihrer erfolgreichen Tätigkeit in Forschung und Lehre vom Bundespräsidenten mit dem Titel ‘ordentlicher Universitätsprofessor’ ausgezeichnet wurde, ohne ein solcher zu sein, war Grete Mecenseffy.

Dabei war es eigentlich gar nicht zu erwarten gewesen, dass sie einmal in dieser bahnbrechenden Weise tätig sein würde — sie war auch unter denen, die in der Kirche das Recht der Frauen auf Ordination mit zu erstreiten geholfen hat —, schien doch ihr Lebensweg ganz anders vorgezeichnet zu sein.

Dieses Leben hat bereits mehrfach Darstellungen erfahren, sodass hier lediglich auf wenige und bekannte Ereignisse hingewiesen werden soll. Am 15. Feber 1952 teilte der Dekan der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien dem Bundesministerium für Unterricht Folgendes mit: „Frau Dr. theol. et phil. Margarethe Mecenseffy, geb. am 9.8.1898 in Wien, hat am 7.12.1951 beim Professorenkollegium der Evang.-theol. Fakultät der Universität Wien um die Erteilung der Lehrbefähigung als Privatdozent für das Fach der Kirchengeschichte an der genannten Fakultät angesucht. Nachdem die von ihr vorgelegte Habilitationsschrift Zwei evangelische Städte und ihre Ratsbürger. Freistadt und Steyr im 16. Jahrhundert approbiert worden war, hat die Genannte sich am 18.1.1952 mit vorzüglichem Ergebnis dem Habilitationskolloquium unterzogen und am 24.1.1952 die vorgeschriebene Probevorlesung über das Thema Die Anfänge der Reformation in Freistadt gehalten. Am gleichen Tag hat das Professorenkollegium der Evang.-theol. Fakultät der Universität Wien einstimmig den Beschluss gefasst, der Habilitationswerberin, deren hohe wissenschaftliche Begabung wie pädagogische Befähigung außer Zweifel steht, die Venia docendi für das von ihr angegebene Fachgebiet zu erteilen.“ Das Ministerium bestätigte unter dem 21.3.1952 diesen Beschluss des Professorenkollegiums, sodass Grete Mecenseffy, die damals eben als Visiting lecturer in Princeton tätig war, mit Beginn des Wintersemesters 1952/53 ihre Lehrtätigkeit in Wien aufnehmen konnte.

Ein Aushängeschild des Protestantismus

Dabei hatte sie erst im Jahr 1951 mit einer Arbeit über das Evangelische Glaubensgut in Oberösterreich das theologische Doktorat erworben. An sich war sie Historikerin, hatte bei Alfred F. Pribram studiert und nach einer Tätigkeit an Schulen die Habilitation in Geschichte vorgehabt. Die Ereignisse des Jahres 1938 und deren Folgen hatten das verhindert. Und nach dem Krieg war Grete Mecenseffy selbst in Schwierigkeiten, die ihre Berufsausübung betrafen. Erst von da an ist die bewusste Zuwendung zur kirchlichen Arbeit — und dann auch zur Theologie — festzustellen.

Grete Mecenseffy hat sich dann in ihrer reformierten Kirche sehr stark engagiert, hat Aufgaben in der Pfarrgemeinde, aber auch in der ‘Gesamtgemeinde’ übernommen, war zeitweise Schriftleiterin des Reformierten Kirchenblattes, Mitglied der Synode H.B. und der Generalsynode, hat immer wieder Predigtdienste geleistet, bei internationalen kirchlichen Tagungen ihre Sprachkenntnisse eingesetzt, war also im ‘staff’ tätig und so ein Aushängeschild des österreichischen Protestantismus.

Geschichte der Täufer

Natürlich hat sie auch Anteil an den Bemühungen genommen, in der Kirche eine schrittweise Gleichstellung der Frauen und Männer im geistlichen Amt zu erreichen. Und man sollte auch nicht vergessen, dass sie in der reformierten Kirche daran beteiligt war, dass im Jahr 1957 das passive Wahlrecht für Frauen in Gemeindevertretungen und Presbyterien endlich möglich wurde.

Das alles war für sie so etwas wie die eine Seite des Engagements. Die andere war ihre wissenschaftliche Arbeit. Diese galt zwei Richtungen. Zum einen ging es — angefangen von Dissertation und Habilitationsschrift — um die vertiefte Erforschung der Geschichte des österreichischen Protestantismus, insbesondere in seiner Entwicklung und Verdrängung vor dem Toleranzpatent von 1781. Hierbei wurde ein vorher vorhandener polemisch-apologetischer Standpunkt überwunden, ohne dass ein Hehl aus der Überzeugung der Verfasserin gemacht wurde. Ein Satz aus dem Gutachten über ihre Habilitationsarbeit kann dafür als Beweis stehen: „Vor allem entfaltet sich vor dem geistigen Auge des Lesers der Reichtum und die Vielgestaltigkeit eines Glaubenslebens, das sich in zwar nach fremden Mustern gestalteten, zugleich aber manche eigentümlichen Züge tragende gottesdienstliche Ordnungen nicht minder offenbart wie in oft ergreifend wirkenden Bekundungen individueller Frömmigkeit.“ Insbesondere ist ihre Geschichte des Protestantismus aus dem Jahr 1956 für die Zeit bis 1781 ein bis heute noch nicht überholtes Werk.

Je länger, desto mehr nahm freilich eine andere Aufgabe die Forscherin gefangen: es war die Erforschung der Geschichte der Täufer in den österreichischen Ländern. Drei Bände mit Quellen, zahlreiche Aufsätze und Vorträge über die Entstehung und Eigenart der Täuferbewegung in Osterreich, von Jakob Huter aus St. Lorenzen im Pustertal angefangen bis zu Untersuchungen über die Herkunft des oberösterreichischen Täufertums sind da zu nennen. Leider war es Grete Mecenseffy nicht mehr möglich, eine abschließende Gesamtdarstellung zu verfassen. In ihren entsprechenden Untersuchungen wird jede Polemik, wie sie sich in zeitgenössischen — und späteren — reformatorischen Quellen und Darstellungen findet, aufgegeben. Es geht um eine kritische, aber das Phänomen aus sich heraus verstehen wollende Darstellung dieses Teils des ‘linken Flügels’ der Reformation.

Dabei kamen Mecenseffy zahlreiche persönliche Kontakte, die sie vor allem mit amerikanischen und Schweizer Forschern gehabt hat, ebenso zugute wie die Tatsache, dass sie ungebunden war und sich voll für eine Sache einzusetzen vermochte. Darin mag auch ein Stück weit jener Offiziersmentalität enthalten gewesen sein, die sie ihrem Vater, einem im Ersten Weltkrieg an der Front gefallenen Feldmarschall-Leutnant, oder ihrem Großvater, einem bedeutenden Fachmann in Finanzfragen und Generalsekretär der Österreichisch-ungarischen Bank, verdankte.

Sie war hartnäckig, wenn es darum ging, etwas zu erforschen — es soll manch ein Archivar oder Bibliothekar Schrecken empfunden haben, wenn sie auftauchte; sie war auch fordernd in ihren Vorlesungen — manch ein Student verdankt ihr die Vertrautheit mit der französischen Reformation.

Abstecher: Lehrerbildungsanstalt Oberschützen

Sie war aber auch bereit, selbst für eine Sache Opfer zu bringen und eigene Pläne zurückzustellen. So erklärte sie sich bereit, für ein Jahr die Leitung der neu gegründeten Evangelischen Lehrerbildungsanstalt in Oberschützen zu übernehmen (1956), als diese Gründung fast daran zu scheitern drohte, dass kein formal qualifizierter Leiter mit kirchlichem Hintergrund gefunden werden konnte. Und sie ist jede Woche nach Oberschützen gefahren — damals durchaus eine Tortur — und hat dort — unter den entsetzlichen Verhältnissen angesichts des totalen Umbaus der Gebäude bei gleichzeitigem Schulbetrieb — die Funktionen der Leiterin versehen, also mit Behörden verhandelt (auch mit widerstrebenden kirchlichen), Unterricht erteilt und die Sache so weit geführt, dass ein Jahr später ein ortsansässiger Lehrer die Leitung zu übernehmen wagte.

Bekenntnis zur Freiheit

Das theologische Ehrendoktorat von Basel, staatliche Auszeichnungen und Anerkennungen in der Welt der Gelehrten waren Zeichen der Wertschätzung, die sie erfahren hat. In Österreich hat man ihre Bedeutung vielleicht unterschätzt, möglicherweise doch auch, weil sie eine Frau war.

Das war aber etwas, was sie nach jeder Richtung hin gestört hat, wenn man aus der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht eine bevorzugte Behandlung ableiten wollte oder wenn eine solche Tatsache zur Benachteiligung führte. Sie verstand ihr reformiertes Bekenntnis durchaus als ein Bekenntnis zur Freiheit und Emanzipation, aber auch zur Gleichheit des Wertes und der Stellung in der Welt und vor Gott. Jede Ghettoisierung oder sexistisch begründete Privilegisierung waren ihr ebenso fremd wie eine Hierarchisierung oder falsche Legitimierung von Ämtern in der Kirche.

Auch das ist wohl ein Beitrag zur evangelischen Identität, zumal wenn dieser noch aus einem bestimmten Bekenntnis gespeist ist.

Grete Mecenseffy verstarb hochbetagt und nach einer Periode, in der ihre Kräfte schier völlig versiegt waren, am 11. September 1985 in Gallneukirchen.

 

Aus: Glaube und Heimat 1997, S. 40-43.