In der Herbstsitzung 1963 der Jugendkammer wurden drei oder vier Konzeptentwürfe bis lange in die Nacht hinein diskutiert. Das banner wurde damals von Arnulf Pyrker und einem Redaktionsteam – großteils aus Wien-Favoriten – gestaltet. Sein Konzeptvorschlag wurde zwar zum Teil aufgegriffen, der Namensvorschlag „anstoß“ (damals und im ersten Erscheinungsjahr mit „ß“ geschrieben) sogar zum Beschluss erhoben, aber Arnulf Pyrker wurde als Redakteur abberufen. Stattdessen kamen wir Unbekümmerten und Leute um das TUK-Team (Ulrich Trinks, Harald Uhl, Robert Kauer) zum Zug. Als sich um etwa zwei Uhr früh herausstellte, dass ich die Redaktionsleitung übernehmen sollte, verlange ich Wilhelm Dantine als theologischen Fachmann in das Team. Und als er mitten in der Nacht zustimmte, kam es zur Wahl des ersten Redaktionskomitees. Wir nominierten Wilhelm Dantine, Brigitte Rott (verehelichte Uhl), Klaus Schacht und mich, das TUK-Team Karl Schug und Harald Uhl.

Die Umstellung war auch für uns sechs so überraschend gekommen, dass wir gar nicht umhin konnten, unsere Verwunderung über das noch doch rechtzeitige Erscheinen des ersten Heftes im Herausgeberwort einzubekennen. Die vielen Improvisationen lassen sich beim Lesen der Hefte des ersten Jahrganges heute noch deutlich nachvollziehen. Davon zeugen auch die ersten Leserbriefe. Sie haben die Umstellung allesamt negativ beurteilt.

Wilhelm Dantine schrieb im Leitartikel der ersten anstoss-Nummer: „…Eine der merkwürdigsten Bezeichnungen, die sich in der Bibel für Jesus Christus finden, lautet: „Stein des Anstoßes und Fels des Ärgernisses“ (1. Petrusbrief, 2,8; Römerbrief 9, 33; Jesaja 8,14; Lukas 2,34) … Solch ein Stein oder sogar ein Felsklotz zwingt uns einen Umweg zu machen oder umzukehren. Mit dem Trott ist es aus und das macht Ärger. Es könnte passieren, dass der erzwungene Halt zur Umschau und zum Nachdenken führt, denn dieser merkwürdige Stein ist nicht stumm, sondern er redet, ist voller Leben und Willen … Er, der Fels, sagt: „Ich bin der Weg“. Indem wir an ihn anstoßen, gibt er uns den Anstoß zu einem neuen Leben…“

Unsere Leser sagten und schrieben uns, wir wussten es: Von diesem „Stein des Anstoßes“, diesem „Fels des Ärgernisses“, von unserem Redaktionsprogramm waren wir weit entfernt.
Nach dem Erscheinen der September-Nummer sollte sich das schlagartig ändern. Mit den Artikeln „Jugend und Kirche“, „Untergrundorganisation Kirche“, „Untergrundorganisation Kirche“, „Wohltemperierte Kirche“, „Verwöhntes Einzelkind Kirche“, „Die Gemeinde unser Problem“ und den positiven und gegen die kirchliche Zäsur gerichteten Stellungnahmen für die Ingmar-Bergmann-Filme „Licht im Winter“, in späteren Nummern dann „Die Stille“ und „Das Schweigen“, war der Stein des Anstoß gesetzt. Ab da war der anstoss ein ernst zu nehmendes Diskussionsforum geworden. Aber im Jänner 1964 hatte das vorerst einmal zwei aktuelle Auswirkungen.

Der Oberkirchenrat und die Synodalausschüsse verlangten bis spätestens 31. März 1964 die Auswechslung der inzwischen erweiterten Redaktion und meine Entlassung. Begründung: Der anstoss (insbesondere die Nummern 9 und 10) kann nicht den Anspruch erheben, eine evangelische Zeitschrift zu sein.

Die Flut der Pro- und Contra-Leserbriefe zum Thema „Gemeinde“ nimmt einen derartigen Umfang an, dass die Leserbriefseiten monatelang überfüllt waren. Die Pro-Stimmen nahmen gewaltig zu. Einige Professoren der Evangelisch-theologischen Fakultät, der Doyen der evangelischen Presse Deutschlands, Eberhard Stammler, ein Synodaler (er wird später Hauptsponsor), ein Superintendent und mehrere Pfarrer stellten sich hinter uns. Mit Hilfe eines theologischen Gutachtens der Professoren Gottfried Fitzer und Wilhelm Dantine wird die oberkirchenrätliche Aufforderung abgewendet. Am 8. Februar 1964 wird unser Redaktionskonzept von der Jugendkammer ausdrücklich gutgeheißen und der gesamten Redaktion das Vertrauen ausgesprochen.

Später hatte der anstoss-Skandal zur Folge, dass wir unsere redaktionellen Bemühungen gestärkt und unbeirrt weiter verfolgten, dass wir in den deutschsprachigen Medien bekannt wurden und dass jetzt auch prominente Autoren, wie zum Beispiel Hugo Portisch, für uns schreiben wollten.

Nach dem Ausscheiden von Wilhelm Dantine übernahm im Juni 1964 Peter Karner die theologische Fachverantwortung. Verstärkt wurde unsere Redaktion mit Walther Staudacher, einem journalistischen Vollprofi. Er und Eberhard Stammler in Stuttgart waren dann auch meine Lehrredakteure.

Im Hintergrund haben Klaus Schacht und ich in den ersten beiden Jahren, anfangs auch in Nachtschichten, die völlig desolate Verlagsarbeit auf Schuss gebracht. Etwa die Hälfte der Abonnementadressen waren zu korrigieren, manche Abonnenten waren trotz laufender Rückläufer jahrelang nicht aus der Kartei genommen worden, über ein Drittel hatte nicht bezahlt usw. Erst 1965 bekamen wir eine Sekretärin und noch etwas später zusätzlich eine Verlagsangestellte.

Für mich und meine Familie waren dies Jahre unendlich hart. Mehrmals wurde ich vom Jugendwerk aus Geldmangel gekündigt und, wenn ich wieder Geld aufgetrieben hatte, kurz vor dem Kündigungstermin wieder weiter beschäftigt. Gleichzeitig habe ich persönlich und fachlich in Journalistik, Verlags- und Rechnungswesen viel gelernt. Rückblickend möchte ich diese Jahre nicht missen.

Der anstoss war in den elf (neun davon unter meiner Leitung) Jahren seines Erscheinens eine der führenden Diskussionsforen Österreichs und hat ganz wesentlich zur Meinungsbildung aus Sicht evangelischer Christen beigetragen. Er war im besten Sinn ein Produkt der 68er. Und die heute so müde 68er-Generation war damals „voll drauf“. Zu recht hat der anstoss 1972 den „Dr. Karl-Renner-Förderungspries für journalistische Leistung“ erhalten.

(Kurt Schlieben)