Von Gustav REINGRABNER

Am 19. März 1858 verstarb der Besitzer des Kreitner Gutes in der Gemeinde Gröbming, Matthias Keimprecht. Er war nicht nur Landwirt sondern stand auch an der Wiege der evangelischen Gemeinde seiner Heimat. Und so erschien auch bald nach seinem Tode ein Nachruf auf ihn in einer evangelischen Zeitschrift der nicht nur etwas über das Leben dieses Mannes aussagt, sondern auch ein lebendiges Bild von der Lage der österreichischen Toleranzkirche gibt. So soll dieser ein wenig gekürzt – hier in der „Wolke von Zeugen“ seinen Platz finden, war der Mann, dem er galt, doch einer jener nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehenden Evangelischen in unserem Lande, die Entscheidendes zur Entwicklung der Kirche beigetragen haben. Dieses Lebensbild ist weit über die konkrete Biographie des „Kreitners“, wie er nach seinem Hause genannt wurde, hinaus von Bedeutung.

„Wenn du, lieber Leser, durch das freundliche Ennstal von Schladming nach Gröbming wanderst, so liegt eine Viertelstunde östlich vom Dorfe Pruggern der schöne Kreitnerhof vor dir, mit seinen ebenen, weit ausgebreiteten Feldern. Schon die äußere Gestalt des Hauses selbst und der dasselbe umgebende neu angepflanzte Obstgarten zeigen. uns sichre Spuren von der Wirksamkeit eines verständigen Landmannes. Nun aber wollen wir einen Blick in das Innere dieses Hauses werfen. Hier am Dachboden desselben befindet sich der Betsaal, in welchem sich die evangelische Gemeinde Gröbming beinahe durch zehn Jahre versammelte, um das tröstliche Wort vom Kreuze zu vernehmen; hier wurde alle drei Wochen durch den Herrn Vikarius Haupter aus der Muttergemeinde Schladming Gottesdienst mit Christenlehre, zuweilen auch Abendmahl und Taufe gehalten. In diesem Betsaale, der die ganze Länge des Hauses einnimmt, sind regelmäßig Stühle angebracht, ein förmlicher Altar hergestellt, der dem Prediger jedoch auch zur Kanzel dienen musste. Die Seitenwände des Betsaales, so wie auch die Decke bestehen aus weiß angestrichenen Brettern. Die Herstellung desselben mag trotz seiner Einfachheit dennoch einige Hundert Gulden gekostet haben, welche der greise Verstorbene größtenteils aus eigenen Mitteln bestritt. Wenn der Sonntag nahte, an welchem wieder Gottesdienst in seinem Haus gehalten werden sollte, so war eine große Bemühung, den Betsaal rein herzustellen und für Tafelgedecke des Herrn Pfarrers Sorge zu tragen. Oft hörte ich auch aus seinem Munde den Ausruf: „Wir können dem lieben Gott nicht genug dafür danken, dass wir noch einen Gottesdienst haben können; wir sind nicht wert, was Gott an uns tut.“

Ebenso beschäftigte sich Matthias Keimprecht mit der Errichtung einer eigenen Schule. Die evangelische Gemeinde Gröbming kaufte im Jahre 1844 im Dorfe Pruggern zum Zwecke einer Schule ein Bauernhäuschen mit zwei kleinen Grundstücken. In dieser morschen und elenden Hütte, wo man nicht, ohne Gefahr zu laufen sein Leben durch Einsturz einbüßen zu müssen, wohnen konnte, musste J. Mayer durch beinahe ein Jahr die Schule halten, bis sie niedergerissen wurde und die Gemeinde ein neues Schulhaus aus Holz erbaute. Fehlte zu diesem Bau Holz oder war Mangel an anderen Materialien, so brauchte man sich nur an den Kreitner wenden; er war der Mann, der in den meisten Fällen half. Da ich volle sieben Jahre als Lehrer an der neu gegründeten Schule zu Pruggern wirkte und den vertrautesten Umgang mit Keimprecht hielt, so kann ich viele seiner edlen Taten aufzählen, die er nicht nur an mir, sondern auch an vielen seiner Mitmenschen, ohne auf die irdische Belohnung Anspruch zu erheben, ausübte. Mit vollem Recht verdient Matthias Keimprecht als einer der ersten Gründer der evangelischen Gemeinde Gröbming genannt zu werden. Als die neue evangelische Kirche zu Gröbming zum gottesdienstlichen Gebrauche hergestellt worden war, ließ Keimprecht den Betsaal noch zum Andenken in seinem Hause stehen und verwendete denselben zu seinen Erbauungsstunden, indem er seine große Bibel dort stets aufgeschlagen hielt.

Wer den Kreitner sprechen hörte, der glaubte, ein noch jugendliches Gemüt vor sich zu haben. Seine Erzählungen, besonders die religiösen, waren so lehrreich, dass sich jedermann daran erbauen konnte: Als der evangelische Glaube in Schladming aufkam, fing ein geborener Schladminger, namens Waldhuber, an, mit einigen Kindern von evangelisch gesinnten Eltern Unterricht zu halten. Als dieses die Geistlichen erfahren hatten, wurde Waldhuber sonntags von den Dienern abgeholt und in die Kirche zum Gottesdienst gebracht. Dort musste er seinen Platz unter der Kanzel nehmen und den Geistlichen während der Predigt gerade ins Gesicht sehen. Da dieser Zwang zu einer Bekehrung fruchtlos blieb, so führte man denselben in das Kloster Admont zum Herrn Prälaten. Dieser führte ihn in die große, im Kloster befindliche Bibliothek. Waldhuber staunte, als er die vielen Tausend Bände erblickte und sagte: ‚Hier wird der rechte Grund wohl liegen.‛ Der Prälat zeigte auf ein großes Buch und sagte: ‚Hier ist er.‛ Waldhuber fragte: ‚Hier im Kloster werden doch alle davon wissen?‛ Der Prälat antwortete: ‚Nein, davon weiß nur ich und noch einer im Kloster.‛ Waldhuber wurde wieder entlassen, und als das Toleranzpatent veröffentlicht wurde, berief man Waldhuber zum ersten evangelischen Lehrer zu Schladming. Dergleichen Geschichten wusste Keimprecht eine Menge zu erzählen. Sein frommes Andenken wird in der evangelischen Gemeinde Gröbrninq, wo er so viel Gutes stiftete, fortleben.“

 

Aus: Glaube und Heimat 1983, S.36-37.

 

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