Johann von Staupitz war vom 17. August 1522 bis zu seinem am 28. Dezember 1524 erfolgten Tode Abt des Benediktinerstiftes St. Peter in Salzburg. Er ist auch in der St.-Veit-Kapelle dieses Stiftes begraben, und sein Grabdenkmal ist erhalten geblieben. Wenn er trotz dieses Verbleibens in der römisch-katholischen Kirche unter die „Wolke von Zeugen“ aufgenommen wird, die in diesem Kalender als Zeugen des Evangeliums dargestellt werden, dann deshalb, weil er nicht nur wesentlichen Einfluss auf den Werdegang des Reformators Dr. Martin Luther hatte, sondern weil er auch bis zuletzt bestimmte Ansichten vertreten hat, die mindestens auf ein Verständnis für die Reformation und ihre „Sache“ Jesus Christus hindeuten.

In einem Brief vom 1. April 1524 an Luther bekennt er sein Festhalten am Evangelium und an seiner Zuneigung zu seinem ehemaligen Schüler. Er wünsche, dass es ihm doch noch vergönnt sein möge, wenigstens eine Stunde mit Luther zu sprechen und diesem die Geheimnisse seines Herzens zu öffnen. Allerdings tadelt er im selben Brief das Abtun vieler katholischer Übungen, insbesondere das Verwerfen der Gelübde.

Staupitz blieb wohl Zeit seines Lebens innerlich in jener „Demutstheoloqie“ stehen, die auch durch einige Zeit die Theologie Luthers geformt hatte und die sich in ihrer Ausdrucksweise und den von ihr verwendeten Gedankengängen gar nicht so deutlich von dem abhob, was eigentlich reformatorische Theologie zum Inhalt hatte. So mag es richtig sein, dass Staupitz Luthers Anliegen, die Rechtfertigung aus Gnade und ihren Gegensatz zur Herzenstheologie, nicht unbedingt verstanden hat. Am 3. Oktober 1519 schrieb Luther an Staupitz, der auch damals wahrscheinlich in Salzburg war, einen Brief, in dem er darüber klagte, dass Staupitz und er sich innerlich entfernten: „Ihr verletzt mich gar zu sehr. Ich bin über Euch heute so betrübt gewesen wie ein entwöhntes Kind über seine Mutter. Diese Nacht hat mir von Euch geträumt. Es war, als wenn Ihr von mir Abschied nehmet. Da habe ich bitterlich geweint und geklagt. Ihr hobet die Hand auf und sagtet, ich solle stille sein, Ihr wolltet bald wieder zu mir kommen!“

Aus © Bildarchiv Austria, ÖNB

Johann von Staupitz ist etwa im Jahre 1468 in Obersachsen geboren worden und war ein Jugendfreund des späteren Kurfürsten Friedrich des Weisen von Sachsen. Nach seinem Eintritt in den Augustinerorden und verschiedenen Studien wurde er im Jahr 1500 in Tübingen zum Doktor promoviert, und im selben Jahr wurde er Prior des Münchner Augustinerkonvents. 1502 berief ihn Friedrich von Sachsen nach Wittenberg, wo Staupitz am Aufbau der neugegründeten Universität mitzuwirken hatte und gleichzeitig mit der Errichtung eines neuen Augustinerklosters beauftragt wurde. Schon im Jahre 1503 wurde Staupitz Generalvikar für alle „reformierten“ deutschen Augustiner Eremiten. Dieses Amt bekleidete er bis zum 28. August 1520. Es war wohl die Luthersache, die ihn bewogen hatte, auf diese Funktion zu verzichten, weil er sich vermutlich dem Ganzen nicht mehr gewachsen fühlte.

Vorher war er es aber, der nicht nur Luther den Weg zum Studium wies, sondern auch die theologische Entwicklung dieses seines Beichtkindes maßgeblich beeinflusste. In seinem letzten Brief an Staupitz vom 17. September 1523 versicherte Luther, durch ihn, Staupitz, habe das Licht des Evangeliums in seinem gequälten Herzen zu leuchten begonnen. Es ist ja auch bekannt, dass Luther jene Professur für Bibelwissenschaften erhielt, die vor ihm Staupitz an der Wittenberger Universität innegehabt hat.

Es ist hier nicht der Ort, über die Bedeutung von Staupitz für die Entwicklung des Augustinermönchsordens in den Jahren vor der Reformation zu sprechen. Wichtig ist lediglich, dass damals der Münchner Konvent des Ordens in Salzburg eine Sammelstätte für das Almosensammeln besaß (Terminierhaus), über die Staupitz bald nach seiner Ernennung zum Generalvikar in Beziehungen zu Salzburg trat. Vor allem war es der im Jahr 1519 verstorbene Erzbischof Leonhard von Keutschach, zu dem Staupitz Beziehungen anknüpfen konnte. Obwohl er damit in den Gegensatz zum Coadjutor und Nachfolger von Keutschach trat, scheint er sich öfter in Salzburg aufgehalten zu haben. Er stand auch mit dem Delegierten des Papstes in der Luthersache, Thomas de Vio aus Gaeto, in positiver Verbindung; Cajetan war es, der Luther in Augsburg verhörte.

Diese Beziehungen ermöglichten Staupitz seinen Übertritt von einem Orden in den anderen und die Betrauung mit der Leitung des ehrwürdigen Stiftes St. Peter. In einem Schreiben an seinen Nachfolger als Generalvikar und späteren treuen Gefolgsmann Luthers, Wenzeslaus Link, vom 4. Jänner 1521 schrieb Staupitz so etwas wie einen Abschied von der reformatorischen Bewegung: „Martinus hat Schweres begonnen und er handelt mit großem Mut, von Gott erleuchtet, ich aber stammle wie ein Kind und verlange nach Milch.“

Obwohl sich Staupitz in Salzburg zeitweise nicht sehr wohl fühlte, blieb er doch hier, weil ihm diese Stadt in seiner Erschöpfung (die auch geistlich war) doch zum Ort der Ruhe geworden war.

Die Inschrift auf der Grabtafel zeigt deutlich die Tatsache, dass Staupitz mit seiner Demutstheologie eine Stufe vor der Reformation stehen geblieben ist: „Siehe die Gräber, o Mensch, der Sterblichen, welche hier ruhen, und bedenke den Wert menschlichen Stolzes und Glücks: allein ein Haufe gar dürr von vertrockneten makellosen Knochen; o erkenne daraus, worauf dein Hochmut sich stützt, den Rechenschaft und Glaube und Tugend erfüllten, der, was die Heilige Schrift lehrt, im Glauben besaß: Staupitz, der Salzburger Abt. Er liegt und ruht hier im Grabe; werd‘ ihm, ich flehe darum, himmlische Ruhe zuteil.“

 

Gustav Reingrabner: Eine Wolke von Zeugen – Johann von Staupitz
Aus: Glaube und Heimat 1986, S.32-33.

 

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