Als Künstlerin und schöne, erotische, intelligente und auch fordernde Frau, der Konventionen egal waren, gehörte sie zu einer kleinen Minderheit von Frauen der damaligen Zeit. Berühmte Männer, in die sie verliebt war, mit denen sie leidenschaftliche Affären verbanden oder die sie geheiratet hatte, machten sie zur Kultfigur und bezeichneten sie als ihre »Muse«. Die Beschreibung als »Muse« ist aber mehr Wunschvorstellung männlicher Fantasien als Ausdruck ihrer tatsächlichen Leistungen.

In ihrem Leben wird die ganze Ambivalenz eines Frauenlebens ihrer Zeit nachvollziehbar. Auf der einen Seite hatte sie Sehnsucht und Kraft, selbst kreativ zu sein und als Komponistin wahrgenommen zu werden, auf der anderen eine beklemmend wirkende Bereitschaft, im anderen aufzugehen, sich unterzuordnen und gleichsam mit dem männlichen Genie zu verschmelzen. Auch die Ambivalenz zwischen der Sehnsucht nach Geborgenheit in der alles erfüllenden Liebesbeziehung und der Enttäuschung, als Objekt und nicht als Mensch geliebt zu werden, brachte in ihrem Leben auch Hass und Enttäuschung hervor.

Frauen, die ein unangepasstes Leben bevorzugten, standen einer aggressiven, frauenverachtenden männlichen intellektuellen Elite gegenüber, die aus Angst die emanzipatorischen Bestrebungen von Frauen, die sich auch in sexueller Freiheit ausdrückte, kritisierten. Mahler-Werfel konnte ihre Ambivalenzen nicht auflösen – sie fanden auf der einen Seite in ihrem Masochismus Ausdruck: Sie half Männern grenzenlos, die sie geistig anbetete oder schätzte und retten wollte. Auf der anderen Seite konnte gerade diese Objekte ihrer Hilfe auch Aggression, ja sogar Sadismus treffen. Ihr schroffer und abstoßender Antisemitismus, der auch vor ihren jüdischen Freunden und ihren Partnern nicht Halt machte, war eine besondere Eigenheit ihrer Person, die ihr einige Zeitgenossen nicht verziehen, viele aber ertrugen.

Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem musikalischen Schaffen Alma Mahler-Werfels erfolgte durch den österreichischen Musikwissenschaftler und Komponisten Robert Schollum, der ihr eine musikalische Hochbegabung zuspricht. Er weist darauf hin, dass sich die Tonsprache ihrer Arbeiten stark von der ihres Mannes Gustav Mahler unterscheide. Ähnlichkeit bestehe dagegen zu dem Werk von Alexander von Zemlinsky, ihrem Kompositionslehrer, und zu Richard Wagner und Johannes Brahms. Schollum spricht ihr eine melodische Begabung zu und bezeichnet ihre Kompositionen als kühn und originell. Er vergleicht die Werke Alma Mahler-Werfels mit den frühen Kompositionen von Alban Berg, den Gurre-Liedern von Arnold Schönberg, den Arbeiten von Franz Schreker und den nach 1909 entstandenen Kompositionen von Joseph Marx.

In den Kompositionen von Gustav Mahler, in den Bildern von Oskar Kokoschka, in den Werken Alexander Zemlinskys und Ernst Kreneks, Erich Wolfgang Korngolds, Arnold Schönbergs, Benjamin Brittens u. a. wurde sie entweder selbst zum Inhalt oder es wurde auf sie Bezug genommen. Zahlreiche Theaterstücke und Filme widmeten sich dem »Phänomen Alma«. Friedrich Torberg versuchte, wie so viele andere, dem Geheimnis Mahler-Werfels und ihrer Anziehungskraft auf die Spur zu kommen. Er war mit ihr befreundet und schrieb in seinem Nachruf, der 1964 erschien: »Wenn sie von jemandes Talent überzeugt war, ließ sie für dessen Inhaber – mit einer oft an Brutalität grenzenden Energie – gar keinen anderen Weg mehr offen als den der Erfüllung. Dazu war er dann sich und ihr und der Welt gegenüber verpflichtet und sie empfand es als persönlichen Affront, wenn eine von ihr erkannte oder gar geförderte Begabung nicht allgemein anerkannt wurde. Das geschah übrigens nur wenigen, und denen blieb sie rührend treu. Erfolg betörte sie, aber Erfolglosigkeit beirrte sie nicht. Ihre Einsatzfreude, ihre Hingabe, ihre Aufopferungsfähigkeit kannte keine Grenzen und musste schon deshalb faszinierend und aneifernd wirken, weil sie nichts von kritikloser Vergötterung an sich hatte, weil ihre Urteilskraft sich durch nichts vernebeln ließ.«

In ihren Lebenserinnerungen beschreibt sie den Grundtenor, der ihr Leben prägen sollte, in wenigen Sätzen:
»Ich bin die Tochter eines großen Monumentes, gewissermaßen. Mein Vater, Emil J. Schindler, das Vorbild meiner Kindheit, kam aus einem alten Patrizierhaus. Er war der bedeutendste Landschaftsmaler der österreichischen Monarchie … Meines Vaters Onkel Alexander Schindler war eine Verschwendernatur. Er musste eines Nachts aus seinem Schlosse Leopoldskron fliehen, das über und über verschuldet war. Aber er gestaltete diesen unrühmlichen Auszug zu einer großen Theaterszene. Seine Diener, beträchtlich an Zahl, mussten ihm in Eskarpins mit Fackeln den Weg voranleuchten … Meine Mutter kam aus dem Kleinbürgertum Hamburgs und suchte nachzuholen, was meinem Vater im Blute lag.«

Almas Mutter war aus ihrer Heimatstadt Hamburg nach Wien gekommen und entzückte als Soubrette das Publikum. Ihr mädchenhafter Charme und ihre Fröhlichkeit stachen dem renommierten Landschaftsmaler Emil Schindler sofort ins Auge. Am 31. August 1879 gebar sie ihm die Tochter Alma. Nach außen hin war Anna die treueste aller Ehefrauen, als Alma jedoch zwei Jahre alt war, kam sie eine Schwester, Grete (1881-1942), die das Kind eines syphilitischen Vaters war und später von den Nazis euthanasiert wurde.

In Folge eines Auftrags von Kronprinz Rudolf im Jahr 1887 wurde Schindler zu einem der bedeutendsten Künstler der k.u.k.-Monarchie. Im selben Jahr wurde er zum Ehrenmitglied der Wiener Akademie der bildenden Künste, weitere Preise und Auszeichnungen folgten. Nach Schindlers Tod – Alma war 13 Jahre alt – heiratete Almas Mutter den jungen Maler Carl Moll, mit dem sie schon des Längeren ein Verhältnis unterhalten hatte. Carl Moll gehörte der Wiener Secession an. Viele Wiener Künstler verkehrten daher im Haus des Ehepaars Moll, darunter Schriftsteller, Maler und Architekten wie Max Burckhard, Gustav Klimt, Joseph Maria Olbrich, Josef Hoffmann, Wilhelm List und Koloman Moser. Alma lernte die meisten von ihnen gut kennen, weil sie zumindest an den Abendessen mit diesen berühmten Wienern teilnehmen durfte.

In ihrer Jugend war sie selbst künstlerisch aktiv, von ihren Kompositionen sind allerdings nur 17 Lieder erhalten. Die Ängste Mahlers in seinem Brautbrief sind Legende: Ihre künstlerische Tätigkeit könnte dazu führen, die Verpflichtungen ihm gegenüber zu vernachlässigen. Er verbot ihr einfach das Klavierspielen und das Komponieren. Dabei hatte sie im Gegensatz zu ihrer eher unsystematischen Schulausbildung eine gründliche musikalische Ausbildung genossen. Adele Radnitzky-Mandlick unterrichtete sie im Klavierspiel. Seit 1895 hatte sie außerdem Kompositionsunterricht bei dem blinden Wiener Organisten und Komponisten Josef Labor erhalten, ab 1900 bei Alexander von Zemlinsky.

Alma Mahler-Werfel, geb. Schindler, vor 1899.
Aus Wikimedia Commons.

Gustav Klimt machte ihr den Hof, als sie erst 17 Jahre alt war. Mit dem Komponisten Alexander von Zemlinsky hatte sie eine Liebesaffäre, bis sie sich entschied, den wesentlich älteren Komponisten und Wiener Operndirektor Gustav Mahler zu heiraten. Noch zu Lebzeiten Mahlers hatte sie eine Affäre mit dem Bauhaus-Architekten Walter Gropius, den sie nach Mahlers Tod und einer heftigen Liaison mit dem Maler Oskar Kokoschka heiratete. Nach der Scheidung von Gropius wurde sie die Ehefrau des Schriftstellers Franz Werfel, mit dem sie gemeinsam ins Exil in die USA ging.

Die Salons waren eine wichtige von Frauen inszenierte Gegenöffentlichkeit. Neben Berta Zuckerkandl hatte sich in den 1920erjahren Alma Mahler-Werfel zur Salondame entwickelt. Die Villa auf der Hohen Warte diente in erster Linie der Repräsentation der Inhaberin. Ihr Ehrgeiz war es, Berta Zuckerkandl zu übertreffen. Nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen gelang ihr dies auch. Während Zuckerkandl in einer Wohnung Salon hielt (»Auf meinem Diwan wird Österreich lebendig«), gestaltete sich dieser bei Mahler-Werfel in ihrer Villa mit den drei pompösen Stockwerken und 28 teils mit weißem Marmor verkleideten Zimmern zur spektakulären Sensation. Im Salon stellte Alma Partituren von Gustav Mahler aus und auch das Original von Bruckners Dritter Sinfonie. Eine Mahler- Büste von Auguste Rodin war ebenso geschickt als Blickfang postiert wie zahlreiche Gemälde von Kokoschka oder Makart. Alma hatte 1901 im Salon von Berta Zuckerkandl Gustav Mahler kennengelernt. Salons waren schließlich auch Orte, wo sich die ökonomische und künstlerische Prominenz treffen konnte, um wechselseitige Beziehungen einzugehen, sei es, um Kontakte zu schließen oder Aufträge anzubahnen. Während ab den Dreißigerjahren Alma Mahler-Werfels Salon mit Heimwehroffizieren gefüllt war, konnte man gleichzeitig den nach Prag geflüchteten revolutionären Sozialisten Ernst Fischer bei seinen geheimen Kurzbesuchen in Wien hier antreffen. Nicht zuletzt bot Almas Salon der verhungerten Boheme die Möglichkeit, sich wieder einmal satt zu essen. Egon Friedell hatte Franz Theodor Csokor zu diesem Zweck eingeführt, um ihm damit einen Dauerplatz an der immer reich gedeckten Tafel zu garantieren: »Du weißt, Alma, ich trinke nur – da habe ich mir meinen Esser mitgebracht.« »Meine Erziehung«, schrieb Mahler-Werfel, »war so gut wie areligiös. Da meine Mutter, aus Hamburg stammend, protestantisch war und mein Vater aus einer alten Katholikenfamilie kam, lernten wir Kinder überhaupt keine kirchlichen Gebräuche, und bis auf ein paar primitive Gebete, die uns katholische Dienstboten eintrichterten, wussten wir nicht das geringste.« Zur Katholischen Kirche hatte sie keine innere Beziehung, und wurde, als ihre jüngere Schwester Margarete aus Liebe zu ihrem Bräutigam Wilhelm Legler zum Protestantismus übertrat, »Protestantin ohne Sinn und Überzeugung« … »Ich war süchtig nach allem Mystischen. Mit 15 Jahren begann ich, mir eine Bibliothek anzuschaffen. Meine erste Begegnung mit einem wirklichen Verwandten meiner Lebensanschauung war Max Burckhard. Er war der Erste, der sich meines Irrlichtern den Geistes annahm« … Viel, viel später entdeckte ich für mich zuerst die Kirche und noch viel später Jesus Christus«, schrieb sie in ihren Erinnerungen. Später (1932) ist sie zur katholischen Kirche zurückgekehrt.

Alma Mahler-Werfel begleitete weitere bedeutende Künstler auf deren Lebensweg und war einer Reihe von europäischen und US-amerikanischen Kunstschaffenden in Freundschaft verbunden, darunter Leonard Bernstein, Benjamin Britten, Franz Theodor Csokor, Eugen d’Albert, Lion Feuchtwanger, Wilhelm Furtwängler, Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt, Carl Zuckmayer, Eugene Ormandy, Maurice Ravel, Otto Klemperer, Hans Pfitzner, Heinrich Mann, Thomas Mann, .Alban Berg, Erich Maria Remarque, Franz Schreker, Bruno Walter, Richard Strauss, Igor Strawinsky und Arnold Schönberg. Zu ihrem 70. Geburtstag komponierte Arnold Schönberg, der auch in Kalifornien lebte, einen Kanon mit dem Text: »Gravitationszentrum eigenen Sonnensystems, von strahlenden Satelliten umkreist, so stellt dem Bewunderer dein Leben sich dar.«

Alma Maria Mahler-Werfel war mit Gustav Mahler, Walter Gropius und Franz Werfel verheiratet. Im November 1902 kam ihre Tochter Maria Mahler zu Welt, 1904 ihre zweite Tochter Anna Justina. Maria starb 1907 an Diphtherie. 1910 begann sie eine Affäre mit Gropius, den sie 1915 heiratete (1920 Scheidung). 1912 lernte sie Kokoschka kennen und wurde von ihm schwanger, ließ jedoch das Kind abtreiben. Den Schmerz, den Alma ihm mit der Abtreibung des gemeinsamen Kindes zufügte, verarbeitete er 1913 in den beiden Studien »Alma Mahler mit Kind und Tod« und »Alma Mahler spinnt mit Kokoschkas Gedärmen«. 1916 schenkte sie mit Gropius ihrer Tochter Manon das Leben. Diese starb erst 19-jährig 1935 an Kinderlähmung. 1917 begann bereits das Liebesverhältnis mit Werfel. Ihre Tochter Anna Mahler begann 1922 eine Beziehung mit dem Komponisten Ernst. Krenek. Am 12. März 1938, dem Tag, an dem der sogenannte »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich vollzogen wurde, verabschiedete sich Mahler-Werfel von ihrer Mutter und reiste gemeinsam mit ihrer Tochter, die nun als Tochter eines Juden bedroht war, über Prag und Budapest nach Mailand, wo Franz Werfel auf sie wartete. Alma Mahler-Werfel lebte mit ihm zuerst in Kalifornien, bis er 1945 starb. 1951 über- siedelte sie nach New York. Sie starb im Aller von 85 Jahren in ihrem New Yorker Appartement und wurde am 8. Februar 1965 neben ihrer Tochter Manon auf dem Grinzinger Friedhof in Wien beigesetzt.

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 105-108.