Mit dem Namen Oskar Werner schwingt Wien in seiner Ambivalenz mit wie bei keinem anderen Schauspieler: eine Zerbrechlichkeit und Innigkeit, die in seiner besonderen Sprache zum Ausdruck kam und die Menschen aufs Tiefste berührten, und das aufrührerische, schwierige Temperament, das ihm den Ruf des Stars und des Rebellen einbrachte. Hans Moser sah in ihm einfach ein Wunderkind. Mit Oskar Werner wurde die nach dem Zweiten Weltkrieg wiedergewonnene Freiheit der Republik identifiziert. Der grauenhaften Zeit des NS-Regimes, die auch das Burgtheater und ihn selbst als Burgschauspieler systematisch in ihren Beschlag genommen hatte, folgte ein neuer Aufbruch. Oskar Werner bediente den Auferstehungsmythos. Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags im Mai 1955 und der Eröffnung des Burgtheaters im Oktober schien die zweite Eröffnungspremiere mit Don Carlos einen therapeutischen Charakter zu haben: »Im Ausdruck und in der innigen Beschwörung der Herzen findet er gleicherweise den Ton, der uns sofort für diese Gestalt gewinnt, der uns alle einbezieht in das schwere Geschick des Infanten und seiner unglückseligen Liebe zu seiner Stiefmutter, seines Schwankens zwischen Persönlichstem und völkerbefreiender Staatsaufgabe.« (Die Presse, 25.10.1955)

So glücklich, sagte Oskar Werner, sei er noch nie gewesen wie bei den Don-Carlos-Proben mit Werner Krauß unter der Regie von Josef Gielen. Während im Burgtheater auf die Forderung nach Gedankenfreiheit des Marquis de Posa applaudiert wurde, tanzten am Rathausplatz zur Wiedereröffnung der Burg die Wienerinnen und Wiener Strauß-Walzer.

Schon als Kind war Oskar Werner ein Theater- und Filmfan. Die Großmutter nahm ihn ins Theater auf den Stehplatz mit und Onkel Franz brachte ihn als Statisten dann bei der Sascha-Film unter. Oskar Bschließmayer – wie Oskar Werner bei seiner Geburt hieß – war damals in der Realschule. Die eindrücklichsten Erlebnisse seiner Jugend waren die Schrecken nach dem »Anschluss«, als in Wien die Synagogen brannten, jüdische Mitbürger verhöhnt und misshandelt wurden und er als 16-Jähriger zuschauen musste. Er war daher sein Leben lang ein unbeugsamer Gegner von Faschismus und Diktatur.

Mit 20 Jahren sprach er nach kurzer Ausbildung in einer Schauspielschule am Burgtheater vor und wurde sofort aufgenommen. Acht Wochen später musste er in den Krieg. Vom Arbeitsdienst, der ihn fast in den Selbstmord trieb, befreite ihn der von den Nationalsozialisten tolerierte Burg-Direktor Lothar Müthel durch ein Engagement an die Burg. In der Bahnhofwachkompanie tagsüber und nachts in der Burg lebte er drei Jahre ein Doppelleben, bis er 1944 desertierte und bis Kriegsende untertauchen konnte. Die Schauspielerkollegin Elisabeth Kallina, die er 1944 heiratete, und sein Kind flüchteten mit ihm.

In der Burg feierte er von 1941 bis 1949 Erfolge. Er verließ sie jedoch abrupt, weil er keine Chance sah, seine Visionen verwirklichen zu können. Der für ihn zu aufgeblähte Beamtenapparat ersticke bei ihm jeden Keim von Kreativität. Er wolle nicht mehr mit »Analphabeten« verhandeln, die mehr Theaterpolitiker als Theaterkünstler seien. Im Theater in der Josefstadt fand er die Rolle, die ihm seelisch verwandt war und die größten Erfolge bescherte: Hamlet. 1951 bis 1955 und 1960 bis 1961 spielte er erneut an der Burg. 1953 konnte er auch international ein großes Publikum begeistern: in Frankfurt am Main mit dem Regisseur Müthel. Die Rolle? Hamlet. »Dieser junge Schauspieler erschüttert seit Monaten das sonst so kühle und kritische Publikum der Goethe-Stadt und reißt es zu unerhörten Beifallsstürmen hin«, schrieb Franz Theodor Csokor. Seine größten Rollen am Theater waren Tasso, Don Carlos, Heinrich V. und Hamlet.

1948 gelang ihm mit dem Film »Der Engel mit der Posaune« sein erster Filmerfolg, weitere Filme brachten Weltruhm: »Entscheidung vor Morgengrauen« (1950), »Der letzte Akt« (1955), »Jules und Jim« (1962), »Das Narrenschiff« (1965, Oscarnominierung), »Der Spion, der aus der Kälte kam« (1965), »Fahrenheit 451« (1966). Als das Regietheater zunehmend an Bedeutung gewann, stürzte Werner in eine schwere Krise. Seine Antwort war: »Ich bin ein Protestant, ich protestiere gegen den heutigen Zeitgeist«. Und an anderer Stelle: »Ich werde nie gehorchen – nie«.

Ernst Haeussermann, Burgdirektor von 1959 bis 1968, bat ihn 1961 zu bleiben: »Als ersten Schritt der Autonomie des Burgtheaters möchte ich dich nochmals bitten, dem Burgtheater und unserer Freundschaft treu zu bleiben. Wie sagt Carlos? – »Es ist mein letzter, verzweifelter Versuch.«« Oskar Werners Antwort kam prompt: »Dank für nachgesandtes Telegramm, muss mir selber treu bleiben. Posa sagt: – »Ich kann nicht Fürsten Diener sein.« – Ich nicht von Beamten und Regisseuren – sehr herzlich dein Oskar Werner«. Wie Romy Schneider wurde Oskar Werner ein internationaler Nachkriegs-Filmstar, der aus der kulturellen Tradition des Theaters in Wien kam und in ihr lernte und zugleich die Enge Österreichs nicht ertragen konnte und ausbrach.

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 151-153.