Er war ein internationaler Star unter den Medizinern des beginnenden 20.Jahrhunderts, nicht nur in Wien und der k. k. Monarchie, sondern auch im übrigen Europa und in Amerika. Bei einem seiner New-York-Besuche mussten wegen des Menschenauflaufs die Straße vor dem Hotel gesperrt werden, Präsident Roosevelt empfing ihn, und mit einer Reise verdiente er einmal eine Million Dollar, die er in seinem Landsitz in Altenberg in einer mondänen Villa anlegte. Seine Karriere begann als Chirurg bei Eduard Albert (1841-1900), der seit 1881 Professor in Wien und dann Vorstand der 1. Chirurgischen Klinik wurde. Vorstand der 2. Klinik war Theodor Billroth. Albert stand im Schatten Billroths, war aber ein hervorragender Arzt, Vorkämpfer der Antiseptik, Lehrer und Diagnostiker. Er förderte die theoretische Orthopädie und veröffentlichte als Erster Werke über die Arthrodese, die Skoliose u.a. Zu seinen Schülern gehörte neben Adolf Lorenz auch Julius von Hochenegg. Als Chirurg spezialisierte er sich auf die operative Heilung von angeborenen Hüftgelenksverrenkungen und anderen anatomischen Missbildungen. Da es bei diesen Methoden immer wieder zu Todesfällen durch Blutvergiftungen kam, begann er sehr frühzeitig, an alternativen Heilmethoden zu arbeiten, bei denen Streckverbände und Gipsschalungen eingesetzt wurden.

Albert war es, der seinem Lieblingsschüler Lorenz, als dieser eine Allergie gegen das Desinfektionsmittel Karbolsäure bekam und nicht mehr operieren konnte, empfahl, sich der von ihm schon entdeckten »trockenen« orthopädischen Chirurgie zuzuwenden. Nach jahrelanger Forschung und Testreihen, die Adolf Lorenz in der Klinik und in einem eigenen Häuschen im Garten eines Landhauses durchführte, entwickelte er eine Methode, die wesentlich weniger gefährlich war als die Operation am offenen Gelenk, die berühmte »unblutige« Einrichtung der angeborenen Hüftverrenkung.

Von da an begann sein märchenhafter Aufstieg zum weltweit gefeierten Starmediziner. Wien war die Hochburg der medizinischen Forschung und Lorenz half den »Lahmen, wieder zu gehen«: das gab er jedenfalls Kaiser Franz Josef zur Antwort, als dieser anlässlich der Verleihung des Hofratstitels fragte, was er eigentlich mache. Mit seiner Behandlung des Klumpfußes und mit der Einrenkung und konservativen Behandlung der angeborenen Hüftgelenksluxation wurde er zum »Vater der Orthopädie«. Er gründete in der aufgelassenen Spitalsküche im 2. Hof des Allgemeinen Krankenhauses in Wien das »Universitätsambulatorium für orthopädische Chirurgie«. 1889 wurde er als unbesoldeter Extraordinarius bestellt. Das erste Röntgengerät der Ambulanz zahlte er selbst, da er keine öffentliche Förderung bekam.

Die Familie seiner Frau Emma Lechner, deren Vater als Universalgelehrter galt, gab Lorenz die gesellschaftliche Eintrittskarte in das damalige geistige Wien. Im Hause Lechner verkehrten Peter Rosegger, Karl Schönherr und Richard Engländer, der sich aus Liebe zur Schwester Emmas dann Peter Altenberg nannte. Altenberg hieß der Ort, in dem die Familien Lechner und Lorenz wohnten. Lorenz umgab sich gerne mit Künstlern und war mit Johann Strauss befreundet. Als seine erster Sohn Albert – genannt nach seinem verehrten Chef Eduard Albert – geboren wurde, schickte der Walzerkönig »Glückwünsche und alles Liebe dem kleinen Bubikatzi«. Diesen Kosenamen behielt Albert lange bei.

Mit seinen Söhnen Konrad und Albert Lorenz wuchsen Karl Popper, die Familie Pflaum und die Familie La Roche auf. Auch die literarische Ader wurde im Hause Lorenz gefördert. Sein Sohn Albert, später Arzt und ebenfalls Orthopäde, schrieb Geschichten und Romane und die Familiengeschichte »Wenn der Vater mit dem Sohne« (1952). Als sein Sohn Konrad geboren wurde, war Adolf schon 50 Jahre alt und ein Mann des Großbürgertums. Als Kompensation zur Armut seiner Jugend kaufte er teuerste Pferde, Fahrräder, Motorräder und war einer der Ersten, die in Österreich ein Auto besaßen. Über seinen Garten verfügte er, 100 Jahre lang alles Blumenpflücken zu verbieten – frühe Anklänge an den späteren Naturschützer Sohn Konrad. Für diesen wurde er ein lebenslängliches Vorbild. Beide, Vater und Sohn, traten in die Evangelische Kirche H.B. ein. Der Vater war mit seinem Sohn einfach in die nächstbeste Kanzlei in die Dorotheergasse gegangen und das war, wie sich später herausstellte, die Reformierte Kirche (H.B.), da beide Kirchen, Dorotheergasse 16 – die Reformierte Stadtkirche – und Dorotheergasse 18 – die Lutherische Stadtkirche (A.B.) -, bis heute nebeneinanderliegen und manchen Verwechslungen Tür und Tor öffnen.

Der berühmte Verhaltensforscher, Nobelpreisträger und Vater des Naturschutzes in Österreich, Konrad Lorenz, war somit auch Protestant geworden, trat aber später wieder aus der Kirche aus. Beide hatten lange in einer Welt gelebt, in der es viele Protestanten als Freunde gab. Während des Ersten Weltkriegs verlor Adolf Lorenz sein Vermögen, das er in österreichischen Kriegsanleihen investiert hatte. Er praktizierte nach Ende des Krieges gemeinsam mit seinem mittlerweile ebenfalls zum Mediziner ausgebildeten Sohn Albert, u.a. auch wieder in New York. Konrad Lorenz zwang er, zuerst ein Medizinstudium zu absolvieren, bevor dieser sich seiner eigentlichen Neigung, der Zoologie, zuwenden durfte.

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 103-105.