Von Gustav REINGRABNER

Anlässlich der Eröffnung des „Universitätscampus Altes Allgemeines Krankenhaus“ im Oktober 1998 erhielten die Eingangstore (Durchgänge) in die verschiedenen Höfe des großen Gebäudekomplexes, der zum Teil von Instituten der Universität Wien genutzt wird, zum Teil aber auch als Einnahmequelle der Universität (nach Bezahlung der Baukosten) dienen kann, Namen von Professoren der Universität, und zwar so, dass jede der acht Fakultäten der Universität durch einen Namen vertreten sein sollte. Verdiente Professoren (Professorinnen) sollten dadurch geehrt und ihr Wirken dem Vergessen entrissen werden. Jener Durchgang aus der Spitalgasse, der für die Evangelisch-Theologische Fakultät bestimmt wurde, trägt nunmehr den Namen von Karl Beth, der von 1906 bis 1938 ordentlicher Universitätsprofessor für Systematische Theologie A.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät gewesen ist und auch in den Jahren 1927/28, 1933/34 und 1937/38 der damals schon in die Universität eingegliederten Fakultät als ihr Dekan gedient hat.

Als er im Jahr 1906 als Nachfolger eines kurzzeitig tätigen Lehrers, der auf den Oberkirchenrat und Professor Gustav Frank gefolgt war, nach Wien berufen worden war, war die Fakultät noch eine selbständig bestehende Anstalt, deren Lehrer erst im Jahr 1912 das Recht erhielten, sich „Universitätsprofessoren“ zu nennen. Und nach Bewältigung der Frage, ob die Fakultät das Ende der Monarchie überhaupt überleben würde, ob sie nicht im Jahr 1932 wieder eingespart würde, obwohl sie nun schon Teil der Universität geworden war, kam mit dem März 1938 das Ende der Tätigkeit von Beth an dieser Fakultät. Er wurde seines Dekanatsamtes entsetzt und verließ dann auch relativ rasch mit seiner Gattin, Dr. Marianne Beth geb. von Weisl, Wien und die Fakultät. So ist die Erinnerung an ihn zugleich ein Eingeständnis des Unrechts, das man ihm damals angetan hat.

Wer war aber Karl Beth? Er war eher ein zurückhaltender Mann, der über seine persönlichen Empfindungen und Gefühle kaum etwas selbst zum Ausdruck gebracht hat. Er war am 12. Februar 1872 in Sachsen als Sohn eines Lehrers geboren worden, hatte seine Kindheit aber in Brandenburg verbracht, wo sein Vater als Rektor wirkte. Seine Eltern hätten – so schrieb er einmal – „religiösem Glauben und sittlichem Ernst das Fundament“ gelegt. Beth war seit seiner Jugend naturwissenschaftlich interessiert, dennoch begann er nach dem Abitur mit dem Studium der Theologie, zuerst in Tübingen, dann in Berlin, wo  Adolf von Harnack, Otto Pfleiderer und Wilhelm Dilthey seine Lehrer waren. Im Jahr 1897 erwarb er den Titel eines Licentiaten der Theologie, ein Jahr später den eines Doktors der Philosophie. Und in ganz kurzer Zeit gelang ihm die Habilitation. Das in seiner Berliner Antrittsvorlesung gewählte Thema „Die Bedeutung der allgemeinen Religionsgeschichte für die Erforschung des Wesens des Christentums“ beschäftigte ihn dann einen großen Teil seines Lebens, zeigt aber auch den Einfluss von Harnack auf seine Position und Meinung.

Nach der Habilitation unternahm der junge Gelehrte eine fünfmonatige Forschungsreise in die Länder des östlichen Mittelmeeres, um für seine religionsgeschichtlichen Forschungen eigene Anschauungen zu finden. Nach seiner Rückkehr beschäftigte ihn aber zunächst ein anderes Thema. Er erhob seine Stimme in dem damals heftig geführten Streit, der durch das Buch „Die Welträtsel“ des Jenenser Professors Ernst Haeckel entfacht worden war, und in dem kirchlichen Kreise heftig gegen die auf Darwins Schultern ruhende, darüber hinaus aber doch auch durch eine ausgeprägte Wissenschaftsgläubigkeit geprägte Position Haeckels ankämpften.

Beth wagte es damals, darauf hinzuweisen, „welche Bereicherung das Christentum durch die Benützung der entwicklungsgeschichtlichen Naturauffassung gewinnen kann“ und erregt damit Aufsehen.

Nach seiner Berufung nach Wien setzte eine Zeit umfangreicher Studien und intensiver wissenschaftlicher Tätigkeit ein, die in zahlreichen Publikationen ihren Niederschlag gefunden hat. Dabei war Beth immer wieder bemüht, den wissenschaftlichen Charakter der Theologie herauszustellen. Den Herausforderungen der Zeit könne sich die Theologie nur dann wirklich stellen, wenn sie sorgfältig methodisch arbeite, den Entwicklungsgedanken als Prinzip alles Naturhaften und Geistigen erfasse, schließlich aber auch den Weg zur Erkenntnis des Metaphysischen suche. Theologie dürfe sich von den übrigen Wissenschaften nicht isolieren, sondern müsse „vielmehr den regsten Verkehr mit ihnen anstreben„.

Wichtig wurde dann sein Buch „Die Entwicklung des Christentums zur Universalreligion“ (1913), in dem er auf die mannigfachen Veränderungen hinwies, die aus der Schar der ersten Christen eine weltumspannende und in sich vielfach geteilte Religion gemacht habe. Es habe eben nie ein einheitlich zu definierendes Christentum gegeben.

Man kann sich vorstellen, dass diese Ansichten nicht von allen in der evangelischen Kirche gerne angenommen wurden. Nach Aufkommen der von Karl Barth geformten neuen theologischen Richtung galt Beth denn auch ein wenig als überholt und nicht mehr zeitgemäß. Dabei hatte er damals schon längst eine persönliche Entwicklung genommen, die ihn über die bloße Religionsgeschichte hinausführte, für die er gleichwohl noch 1920 eine „Einführung in die allgemeine und vergleichende Religionsgeschichte“ geschrieben hat. Zwei Jahre später gründete er – mit seiner von ihm im Jahre 1911 geheirateten Gattin – die „Internationale Religionspsychologische Gesellschaft“, für die es seit dem Jahr 1926 auch eine eigene Zeitschrift gegeben hat. Beth’s Tätigkeit gewann von Wien aus wahrhaft internationale Dimensionen. Ein großer Kongress „Psychologie des Unglaubens“ führte im Jahr 1931 zahlreiche Forscher zusammen – eine neue Wissenschaft macht ihre ersten Schritte.

Diese Tätigkeit forderte die Kritiker in den Reihen der Kirche erst recht heraus. Schon im Jahr 1919 wurde gefordert, dass die Fakultät so auszubilden habe, dass die Absolventen eine solide Berufsausbildung empfangen – ein erhebliches Stück traf diese Kritik an der Fakultät auch die Tätigkeit von Beth.

Im Jahre 1938 war er den neuen Machthabern aus vielen Gründen unangenehm. Dazu trug einerseits die „rassische“ Herkunft seiner Frau, die viele Arbeiten mit ihm geteilt hatte, aber selbst auch einen bedeutsamen Ruf erlangt hatte, andererseits seine eigene politische und wissenschaftliche Haltung bei. Man benahm sich ihm gegenüber, den man zwei Jahre vorher noch für seine dreißigjährige Lehrtätigkeit groß gefeiert hatte, nicht eben sehr anständig. Die Fakultät war willfährig, den Wünschen der Machthaber zu entsprechen – er war ganz schnell als Dekan abgesetzt, schon wenige Wochen später wurde ihm nahegelegt, nicht mehr „zu lesen“, einige Monate später wurde die Gehaltszahlung an ihn eingestellt; es blieb ihm wirklich nichts übrig, als das Land zu verlassen. Einzig drei Studierende suchten ihn noch in seiner Wohnung auf und entboten ihm Dank und Abschied.

Trotz seines Alters – seine früheren Kontakte kamen ihm jetzt zugute – nahm er in den Vereinigten Staaten, wohin er sich wandte, wieder seine Lehrtätigkeit auf, die er noch bis in das Jahr des Kriegsendes weiterführte. In Chicago, wo er vorwiegend als Gastprofessor gewirkt hatte, ist er dann auch am 9. September 1959 verstorben.

Die Wiener Fakultät unternahm einige Bemühungen, nach dem Krieg Kontakt zu ihm zu finden. Beth kam aber nicht wieder nach Wien, sondern begnügte sich mit einigen schriftlichen Grüßen.

Was soll theologische Forschung, welche Bedeutung haben Forscher und Gelehrte an der Fakultät, wie geht man mit jenen um, deren Bedeutung man nur zum kleineren Teil versteht, die einem unangenehm geworden sind – das alles sind Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Karl Beth und ihrem Ende stellen. Sie sind – nicht nur in der evangelischen Kirche – aktuell: Hat Theologie nur die Aufgabe, alte Formeln nachzuerzählen und an immer neuen Sätzen wiederzugeben, oder ist es nicht so, dass der Glaube an Christus als den Herrn stets in neuer Weise, angesichts immer neuer Herausforderungen des Denkens und der Wissenschaft zu befragen und zu bekennen hat?

Zeuge Christi ist wohl nicht nur der, der an der Tradition festhält, sondern auch der, der gewissermaßen als Späher in neue geistige Welten vordringt und dort versucht, die Botschaft von der Liebe Gottes zu artikulieren.

 

Aus: Glaube und Heimat 1999, S.41-43.