Von Gustav REINGRABNER

Als im Jahre 1783 die beiden evangelischen Gemeinden in Wien entstanden, war die Sorge um die nötige Anzahl von Geistlichen für ihre Gemeinden wesentlichster Teil der Aufgaben der Vorsteher dieser Gemeinden. Sie wandten sich dabei zunächst an die Gesandtschaftskapellen beziehungsweise an die in Wien tätigen ausländischen Gesandten und Reichshofräte, ob diese nicht Geistliche für den neuen Gottesdienst zur Verfügung stellen konnten. So war der erste Pfarrer, der für die lutherische Gemeinde bestellt werden konnte, vorher königlich dänischer Gesandtschaftsprediger geworden und hatte sich als solcher das Vertrauen der neuen Gemeinde erworben. Danach legte man fest, dass die Gemeinde einen Prediger und einen Vikar haben sollte. Dabei lag es in der Natur der Sache, dass die Inhaber der Vikarsstellen, wenn sie nicht in kürzerer Zeit zum Prediger aufrücken konnten, sehr bald ihre Stelle wechselten. Das war auch bei Karl Traugott Held der Fall, der 1789 von der Wiener lutherischen Gemeinde als Vikar berufen wurde. Er war vorher beim Grafen zur Lippe, also einem der Reichshofräte, als Hofmeister tätig; das bedeutete, dass er die Kinder des Herrn Reichshofrates, der übrigens reformiert war, zu erziehen und ihnen die nötigen Erkenntnisse fürs Leben beizubringen, nicht zuletzt aber auch als deren Begleiter entsprechende Reisen zu unternehmen hatte.

Held kam aus der Niederlausitz, also aus Sachsen, und war anscheinend auch durch diese Tätigkeit im Hause des Reichshofrates mit den öffentlichen Verhältnissen wohl vertraut. Er zählte zu jenen evangelischen Predigern in Wien, die bereits bald nach dem Toleranzpatent an den geistigen Strömungen der Zeit aktiv teilgenommen haben. Einige von ihnen waren Freimaurer, ein reformierter Prediger wurde in einer Loge sogar ein wichtiger Funktionär. Karl Traugott Held wurde in die sogenannte Jakobinerverschwörung verwickelt. Bereits kurz nach seiner Ernennung zum Vikar fand er Eingang in jene Kreise, die auf Grund der 1789 erfolgten Französischen Revolution begonnen hatten, die Ideale dieser Revolution, die man damals noch als rein und unbefleckt ansehen mochte, auch in Österreich zur Geltung zu bringen. Vor allem erwarteten sie sich von dem Nachfolger Josefs II., also von dem im Jahre 1790 Kaiser gewordenen Leopold II. eine Unterstützung ihrer Ziele. Sie ergriffen lebhaft Partei für die Revolutionäre, sorgten einerseits dafür, dass revolutionäres Gedankengut in Wien bekannt wurde, sammelten andererseits Vorschläge, die zu einer weitgehenden Umgestaltung der österreichischen Monarchie bei Anpassung an demokratische Grundsätze geführt hätten und nahmen auch Kontakt mit den französischen Patrioten auf. Einer von ihnen, ein Offizier namens Franz von Hebenstreit, konstruierte sogar eine Kriegsmaschine, die er bei den 1792 ausbrechenden Kriegen gegen die Französische Revolution dieser anbieten wollte, weil sie nach seiner Meinung die zahlenmäßige Überlegenheit der gegen Frankreich ankämpfenden Königreiche und Länder ausgleichen könnte. Held scheint in diesem Kreis der Verschwörer – man nannte sie dann ein wenig später Jakobiner – mit für die Verbindungen zum deutschen Ausland, etwa nach Frankfurt, verantwortlich gewesen zu sein. Es dürfte wohl in Verbindung mit seinen Studien gestanden haben, dass er Personen kannte, die in den Rheinlanden die revolutionäre Sache vertraten. Zudem scheint Held des Französischen mächtig gewesen zu sein und bildete von daher für die Verschwörer eine wichtige Persönlichkeit. Das kam auch zum Ausdruck, als man im Mai 1794 eine Delegation nach Paris senden wollte, die das Hebenstreit’sche Modell der Kriegsmaschine dort zu repräsentieren hatte. Held sollte sich darunter befinden.

Man kann sich vorstellen, dass Vikar Held in diesen Jahren zwischen zwei Polen pendelte: Da waren die Dienstverpflichtungen in der Gemeinde, wobei dem Vikar vorwiegend die Tätigkeit in der Schule übertragen war. Dort hatte er nicht nur Religionsunterricht zu erteilen, sondern auch die Schulmeister zu unterstützen. Daneben galt es, Gottesdienste und Amtshandlungen zu vollziehen. Auf der anderen Seite war die ihn wahrscheinlich ganz stark in Anspruch nehmende Beschäftigung mit den politischen Fragen. Held verließ mit dem Arzt Dr. Denkmann Wien, hatte aber in Paris keinen Erfolg. Er wurde zunächst als Spitzel angesehen und erst später wieder freigelassen.

In Wien selbst hatten sich im Juni 1794 die Verhältnisse so stark verändert, dass die Regierung die angebliche Verschwörung dieser patriotisch gesinnten und revolutionär eingestellten Männer rund um den Baron Andreas Riedel aufdeckte und alle Beteiligten verhaften ließ. In Wien – wie in der ganzen Monarchie – sind damals eine Reihe dieser „Jakobiner“, unter denen sich sehr viele aufrechte und ehrenwerte Männer befunden haben, hingerichtet worden. Da Karl Traugott Held am 14. April 1794 seine Stelle als Vikar niedergelegt hatte und aus Wien abgereist war, ist er der Verhaftung entgangen, und so kam es nicht dazu, dass ein evangelischer Geistlicher schon wenige Jahre nach dem Toleranzpatent sich unter den Angeklagten eines geheimen Prozesses befunden hat.

Wir wissen über Helds weitere Tätigkeit so gut wie nichts. Es ist auch das, was aus seinen Wiener Jahren bekannt ist, nicht überzeugend und gibt keinen Anlass, von einer besonderen Bedeutung Helds zu sprechen. Held war aber der erste unter den Wiener Pfarrern, für den sich die Frage nach der öffentlichen Verantwortung der Kirche und ihrer Amtsträger stellte. Er war freilich auch der erste, der in einer gewissen Schwärmerei kritiklos eine politische Ideologie als vom Evangelium her geboten angesehen hat.

Die Fragen, die Held damals aufgeworfen hat und für sich durch seine aktive Beteiligung an dem Kreis der Jakobiner beantwortete, sind in der Entwicklung des Protestantismus in Österreich weiter geblieben. Es war immer die Frage: Von welchen äußeren Faktoren her orientiert sich der österreichische Protestantismus, was seine Stellung in der Welt betrifft. Die Versuchung, irgendeinem „-ismus“ zu verfallen, war stets groß. Anscheinend öffnet die Predigt des Evangeliums Zugänge zu ausgeprägten Überzeugungen, die dann, wenn man sie nicht kritisch betrachtet, dazu führen, dass man nichtchristlichen Ideologien erliegt. Held wollte Zeuge seines Herrn Christus sein – wie es ausgegangen ist, zeigt sich. Die Frage ist aber durch seine Flucht sicher nicht gelöst und beantworte.

 

Aus: Glaube und Heimat 1990, S.38-40.